Young Euro Classic eröffnet: Die Utopie der Kunst
Überirdisch schön: Das Young Euro Classic bringt den Nachwuchs zusammen. Ein Bericht vom Eröffnungsabend.
Erste Erkenntnis dieses Eröffnungsabends von Young Euro Classic: Berlin hat doch einen Regierenden Bürgermeister. Viel hört man nicht von Michael Müller, doch er kann durchaus öffentlich reden, warum nicht öfter? Und was er sagt, hat auch Hand und Fuß: Gerade komme er von einer Veranstaltung mit Nachfahren des Attentats vom 20. Juli, gleich gehe es noch zu den bei der Exzellenz-Initiative ausgezeichneten Berliner Unis. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit von Wissenschaft und Forschung, all das sei nicht selbstverständlich. „Deshalb wünsche ich mir, dass man nicht nur meckert, sondern auch mal würdigt.“ An die jungen polnischen Musikerinnen und Musiker hinter ihm wendet er sich nicht. Ist wohl besser so. Was kann das Polska Orkiestra Sinfonia Iuventus im. Jerzego Semkowa dafür, dass es aus einem Land kommt, in dem Minderheiten drangsaliert, die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt und historische Museen geknebelt werden?
Ein Festival wie Young Euro Classic hat immer auch einen utopischen Zug: Junge Menschen kommen zusammen im Zeichen der Kunst, Begegnung ist wichtiger als Nationalbewusstsein. Und welcher Komponist ist utopischer als Beethoven, der bei dieser 20. Ausgabe des Festivals im Mittelpunkt steht? Wie Ying und Yang verhalten sich seine 5. und die 6. Symphonie zueinander. Klingendes Abbild eines außermusikalischen „Programms“ hier, die reine, tönende Form dort. Dirigent Jakub Chrenowicz gibt für die Pastorale ein langsames, gelassenes Tempo vor, das seine Tiefenwirkung umso schneller entfaltet. Weil es dieses Porträt eines Landausflugs gleichsam ins Metayphysische erhöht. Die Sechste entpuppt sich unter Chrenowicz’ Händen in jedem Takt mehr als perfekte Klimawandelsymphonie, weil sie äußerst schmerzvoll daran erinnert, was wir durch Handeln gerade verlieren: die natürliche Balance mit dem Planeten. Die Polen spielen dabei weit über dem Niveau eines Jugendorchesters, überirdisch schön das Vogelterzett in der „Szene am Bach“, in dem sich die Stimmen von Flöte, Oboe und Klarinette quasi schlafwandlerisch ablösen. Auch beweist der Abend im Konzerthaus wieder einmal, wie grandios Beethoven das Gewitter im Kontrast von noch heiterer Entspannung und bedrohlicher Wolkenballung komponiert hat.
Eine gelungene Eröffnung
Zwischen den Beethoven-Riesen kann sich die kurze „Toccata für kleines Orchester“ des Penderecki-Lehrers Artur Malawski von 1947 mit motorischem Drive überraschend gut behaupten. Das schnellere Tempo, das Chrenowicz bei der Fünften anschlägt, betont deren Charakter als ein beständig aufs Ende zustrebendes Stück, das eben keinen (pastoralen) Zustand, sondern eine Dynamik ausdrückt, lässt aber trotzdem Raum für Subtilität. Höhepunkt: die mit geschliffener Souveränität gespielte Fuge im Trio des Scherzos. Ausgerechnet das triumphale Allegro fällt ab, weil Chrenowicz plötzlich das Tempo halbiert, was den Zusammenhang mit den vorigen Sätzen zerhaut und dem Finale einen teerigen Anstrich gibt. Was er damit aber nicht zerhauen kann, ist die Erinnerung an einen musikalisch gelungenen Eröffnungsabend.