Kultur: Die Täterversteher
„Das Leben der Anderen“, „Der Untergang“, „Der freie Wille“: Wie neue deutsche Filme Verbrecher zu Helden machen
Sie haben viel gemeinsam. Sie sind relativ jung. Sie sind sehr dynamisch. Im Kinofilm-Geschäft gehören sie – noch – nicht zu den allergeläufigsten Namen. Dafür packen sie sehr unbefangen auch schwierigste Stoffe an und machen Filmbrocken draus, die unter zweieinhalb Stunden kaum zu haben sind. Oliver Hirschbiegel (48), der mit dem „Experiment“ erst vor fünf Jahren zum Kino kam, Matthias Glasner (41), der soeben seinen vierten Spielfilm vorgelegt hat, und der Neuling Florian Henckel von Donnersmarck (32). Sie alle arbeiten mit großer Besessenheit und formal verblüffend professionell. Das deutsche Gediegenheitskino, das gern auch aufs Kassenhäuschen guckt, mag das. Und Hollywood sowieso.
Das Wichtigste aber: Die frischen filmischen Schwergewichte dieses Trios – von Hirschbiegels „Untergang“ (2004) über Glasners „Der freie Wille“ (Premiere auf der Berlinale 2006) und Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“, der morgen ins Kino kommt – liegen im Trend. Im seltsamen Trend einer Gesellschaft, die sich in diesem Jahrhundert neu zu definieren scheint. Die Deutschen: Seit einigen Jahren gefällt sich das einstige Tätervolk, mal wissenschaftlich und mal medial intoniert, als Opfermasse – angefangen mit Jörg Friedrichs Bombenkriegsbuch „Der Brand“ bis zum jüngstem TV-Rührstück „Dresden“. Da kann es nicht schaden, wenn das Kino, der große Runterbrecher aufs Individuelle, auch die großen und kleinen Täter als Opfer inszeniert. Gewiss, ohne logische Unebenheiten geht das nicht ab. Hauptsache, der Stoff ist groß. Tragik kommt dann schon ganz von allein.
Der Welthit „Untergang“ über die letzten Tage im Führerbunker und das radikale Vergewaltiger-Psychogramm „Der freie Wille“, das voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte ins Kino kommt: An der Kasse mag sie vieles trennen. Gemeinsam aber ist ihnen der Furor, menschliche Bestien melo-dramatisch zu überhöhen, und – schlimmer noch – das eisige Desinteresse an den Opfern ihrer Bestialität. Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Bewältigungsfilm „Das Leben der anderen“ wird man die Indifferenz gegenüber den Opfern nicht geradlinig vorwerfen können; schließlich bieten sie gewissermaßen das Wärmefutter einer observationstechnisch durchindustrialisierten, unerhört muffigen Diktatur. Das Hauptaugenmerk aber dieses in allen Zeugnisfächern eifrig auf die Note Eins hin inszenierten Erstlings gilt dem erst bösen, dann aber armen Stasi-Schwein Gerd Wiesler (Ulrich Mühe). Und seiner Läuterung zum „guten Menschen“. Mit drei dramaturgischen Ausrufezeichen.
Am Anfang, 1984 in Ost-Berlin, ist dieser Wiesler ein harter Hund, und als „Schwert und Schild der Partei“ lehrt er selbst den Stasi-Nachwuchs das Fürchten. Die Gefühlserweichung dieses vereinsamten Eisblocks von Mann setzt ein, als er den wahren Sinn seines jüngsten Auftrags erkennt. Die Überwachung des eigentlich linientreuen Dramatikers Georg Dreyman (Sebastian Koch), die er zunächst routiniert mit der zügigen Totalverwanzung von dessen Wohnung in die Wege leitet, dient nur dazu, einem geilen Minister (Thomas Thieme) die schöne Freundin des Künstlers zuzuführen. Bald empfindet Wiesler selber Mitleid, vielleicht auch mehr, für Christa-Maria (Martina Gedeck) und die akustische Abschöpfung von Liebesglück und musischen Ergüssen, vor allem einer „Sonate vom guten Menschen“, tut ein Übriges. „Kann jemand, der diese Musik wirklich gehört hat“, fragt der vom eigenen Klavierspiel ergriffene Künstler, „noch ein schlechter Mensch sein?“
Abgesehen davon, dass die Historie allerlei schlechte Macht-Menschen kennt, die sich an guter Musik berauschen: Das Leitmotiv vom „guten Menschen“ dekliniert der Regisseur – fast möchte man sagen: despotisch – bis zum Ende durch. Da ist die Mauer gefallen, und der einst das Paar schützende, seine „Vorgangs“-Berichte fälschende, degradierte und inzwischen als Werbezettel-Austräger jobbende Ex-Stasimann kauft in einer Buchhandlung „Die Sonate vom guten Menschen“. Dreyman hat, nach ausgiebigem Aktenstudium in der Gauck-Behörde, seinen ersten Roman eben jenem Wiesler gewidmet, der ihn damals vor seinen eigenen Leuten abschirmte. Was Dreyman offenbar nicht weiß: Irgendwann zwar schwer vom Apparat bedrängt, hatte Wiesler noch einmal als perfektes Rädchen seiner Maschinerie funktioniert – und Christa-Maria durch ein scharfes Verhör zum Verrat ihres Geliebten und in den Selbstmord getrieben. Dennoch darf er nun stolz mit dem Gütesiegel des Gutmenschen von dannen ziehen.
Ob es solche geläuterten Stasi-Leute gegeben hat? Thomas Brussig bezweifelt das eindeutig ( in der „Süddeutschen“), Joachim Gauck findet im aktuellen „Stern“ feinsinnige Worte der Distanzierung. Wahrscheinlich macht man es sich, angesichts des brisanten historischen Bewältigungsthemas DDR, zu einfach, wenn man, wie Brussig, dem Polit-Thriller seine genre-übliche „Kinolüge“ durchgehen lässt.
Eine „Kinolüge“ könnte man auch den scheinbar bloß Historie reinszenierenden „Untergang“ nennen – zumindest legt seine Wirkung den Schluss nahe. Denn was ist heute von dem Film in Erinnerung, bei dem Oliver Hirschbiegel dem Produzenten und Autor Bernd Eichinger engagiert zur Hand ging? Hitler: ein tragischer Held. Ein Opfer seiner Vision. Ein Choleriker, aber ein Feldherr, der zusehen muss, wie andere sein Lebensziel zerstören. Ein guter Chef, ein dankbarer Tischgast, einer, der – große Szene! – seine Eva Braun noch im Angesicht des Todes heiratet. Er tötet seinen Schäferhund, nicht sehr schön, das. Aber Goebbels, der ungleich Fiesere, bringt die eigenen Kinder um. Bezeichnendstes Detail: die Inszenierung von Hitlers Selbstmord. Ihn zeigen Hirschbiegel/Eichinger nicht im Bild, womit sie pietätvoll den letzten Willen des Diktators erfüllen.
Erreicht hat „Der Untergang“ mit seinem selektiven, nur auf Überwältigung setzenden Geschichtsblick exakt das, was seine glühenden Befürworter anfangs kategorisch ausschlossen: die große allgemeine Verharmlosung. Wer den Film kennt, nimmt Hitler – laut einer Feldstudie der Uni Konstanz mit 400 Schülern – menschlicher und positiver wahr als zuvor. Und ordentlich Nationalismus gibt’s als Bonusgefühl dazu.
Nicht bloß in Pietät, sondern in eine veritable Pietà mündet Matthias Glasners Kraftakt „Der freie Wille“, das Porträt des Serienvergewaltigers Theo, den Jürgen Vogel mit geradezu manischem Feuer verkörpert. Nach neun Jahren im Maßregelvollzug beginnt er eine Art Beziehung mit der jungen Nettie (Sabine Timoteo), vergewaltigt aber bald erneut eine Frau. Sie bleibt auf einem Parkplatz nach Faustschlägen ins Gesicht bewegungslos liegen. Ist sie tot? Der Film interessiert sich nicht dafür. Wohl aber inszeniert er Theos Entschluss, sich das Leben zu nehmen (in der Realität geschieht derlei meist aus Panik vor drohender neuer Sicherungsverwahrung), pathetisch als seelenedle Selbstentleibung, der Nettie wie eine Rotz und Wasser heulende Muttergottes beiwohnt. Der grausame Täter: ein Opfer seiner Natur, getröstet wenigstens im Tode.
Bei allen Unterschieden im Detail: Auch „Das Leben der Anderen“, dessen beträchtlicher Erfolg sich medial und filmpreistechnisch bereits abzeichnet, verwandelt einen Täter in eine tragische Figur, ein Opfer der Verhältnisse, einen Gutmenschen – und vermenschlicht den dazugehörigen Apparat ansatzweise gleich mit. Man wird überhaupt nach dem Sinn und Verstand – und den Erfolgsursachen – eines aktuellen deutschen Kinos fragen müssen, das sich so absichtsvoll wenig für tatsächlich Leidtragende interessiert. Wo Opfer nicht mehr zählen, wird es unheimlich. Solche Filme, so brillant sie gemacht sein mögen, züchten die prophylaktische Exkulpierung wahrer Täter. Nur: zu welchem gesellschaftlichen Ziel?
„Das Leben der anderen“: ab Donnerstag in elf Berliner Kinos
Bruno Ganz ist Adolf
Hitler im deutschen Kino-Hit von 2004, „Der Untergang“. 4, 6 Millionen Zuschauer sahen in Deutschland Oliver Hirschbiegels Film.
Jürgen Vogel spielt in „Der freie Wille“ einen Vergewaltiger, der nach seiner Haftentlassung rückfällig wird. Matthias Glasners Film wurde
im Wettbewerb der
diesjährigen Berlinale uraufgeführt.
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