Werkschau Bruce Nauman: Die Stimme in meinem Kopf
Traumpassagen: Der Hamburger Bahnhof widmet dem amerikanischen Bildhauer Bruce Nauman eine große Werkschau.
Es heult, es schreit, es wimmert. „Get out of my mind, get out of this room!“ Doch wer steckt dahinter? Wer versucht hier, den anderen bittend und bettelnd aus seinem Kopf, aus dem Raum zu verdrängen? Ist es der Künstler oder sogar der Besucher selbst, der sich auf der Flucht vor den inneren Stimmen befindet? Wer eine Bruce-Nauman-Ausstellung besucht, hat am Ende mehr Fragen als Gewissheiten. Was ist der Mensch, was sind seine Wahrheiten, will der amerikanische Bildhauer wissen, der gleichermaßen mit Videos, Installationen, Performances arbeitet. Mit seinen Werken, die eher Versuchsanordnungen gleichen, stellt er sein Publikum auf die Probe. Am meisten fordert er sich jedoch selbst heraus.
Das sechsminütige Hörstück „Verschwinde aus meinem Kopf, verlass diesen Raum“, dessen Gejammere und Geschrei aus den Wänden eines geschlossenen Raumes tritt, entstand 1968, dem Jahr, als Naumans Karriere furios begann, der Künstler seine erste Einzelausstellung bei Leo Castelli in New York bekam und fortan Einladungen zur Biennale nach Venedig erhielt. Der Erfolg, die geballte Aufmerksamkeit überwältigte den 27-Jährigen. Erschrocken zog er sich zurück, bis er Ruhe auf einer Ranch in New Mexico fand, wo er seitdem Pferde züchtet und den Cowboy gibt. Gleichzeitig wurde er zu einer der bedeutendsten Figuren des Kunstbetriebs. Bis heute hat sich sein ambivalentes Verhältnis zum Publikum gehalten.
Da verwundert es kaum, dass der inzwischen 69-Jährige auch nicht zu seiner eigenen Ausstellung im Hamburger Bahnhof anreist, auch wenn das Haus als weltweit erstes Museum, wie Direktor Udo Kittelmann nicht müde wird zu betonen, dauerhaft eine der raumgreifenden Installationen des Meisters präsentiert. Nicht irgendeine, sondern das Hauptstück der aus fünf Archi-Skulpturen bestehenden Werkserie „Dream Passages“, die der Berliner Ausstellung auch den Titel verleiht. Nauman gab aus der Ferne nur freundlich Instruktionen, wie die Installation den hiesigen Raumverhältnissen angepasst werden könnte. Den Rest überließ er wie immer den Kuratoren.
Die Arbeiten der Serie gehen zurück auf einen Traum des Künstlers Anfang der achtziger Jahre, bei dem er in einem vermeintlichen Korridor auf seinen Wiedergänger traf. Albtraumhafte Gefühle beschleichen auch den Besucher, wenn er das Zentrum der gedoppelten, gespiegelten Gänge betritt und durch einen Gitterrost in die Tiefe blickt. Selten ist die Geworfenheit des Menschen spürbarer geworden, seine Einsamkeit, die Ausweglosigkeit des Schicksals. Hier wird der bildende Künstler plötzlich zum Regisseur, die Nähe zu Beckett, dem Nauman sogar ein eigenes Werk widmete, stellt sich sofort ein, aber auch die Nähe zum Tanz, bei dem Körper und Raum in ein Spannungsverhältnis treten.
Die Inszenierung in der Bahnhofshalle knüpft an die Beuys-Retrospektive von 2008 an
„Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care“, so der umständliche Titel der Installation, ist ein Glücksfall für Berlin, dessen günstige Auswirkungen die Staatlichen Museen auch weiter nutzen wollen. Denn das nach einem Vierteljahrhundert erstmals wieder hergestellte Werk, von dem nur noch ein Modell existierte, gehört zu jener 166 Arbeiten umfassenden Schenkung, die Friedrich Christian Flick im Frühjahr 2008 überraschend dem Hamburger Bahnhof machte. Kittelmann verbeugt sich mit der permanenten Installation zugleich vor dem Künstler und dem Sammler, dessen Schätze mit Nauman als Schwerpunkt das Museum seit sechs Jahren hütet. 2011 endet der Vertrag über die Leihgaben, für die eigens die Rieck-Hallen hergerichtet wurden. Gegenwärtig laufen die Verhandlungen über eine Verlängerung, die diesmal weit über sieben Jahre hinausreichen soll. Die Misstöne des Anfangs, dass die in die Flick Collection eingeflossenen Gelder mit dem Blut der Fremdarbeiter des Familienunternehmens im Dritten Reich befleckt wären, sind seitdem nicht mehr hörbar geworden. Die Bedeutung der Kunst, das aufrichtige Engagement des Sammlers haben sich durchgesetzt. Mit kluger Hand werden seitdem die Arbeiten in einer Durchmischung mit den anderen Beständen des Hauses gezeigt, ein Konzept, das auch für die „Dream Passage“-Ausstellung gilt. Bruce Nauman hat das große Solo in der historischen Halle, in den Rieck-Hallen wird er in Beziehung zu anderen Künstlern gesetzt, mit Zeitgenossen der Minimal Art wie Eva Hesse oder Robert Morris und mit Jüngeren wie Kippenberger, Absalon oder Nikolaus Lang.
Die Inszenierung in der Bahnhofshalle knüpft an die Beuys-Retrospektive von 2008 an. Beide sind Bildhauer, beide gehen der menschlichen Existenz auf den Grund. Schon ist die dritte Supershow für 2012 geplant, die einem Maler gewidmet sein soll: Gerhard Richter. Mit den Einzelausstellungen großer Künstler will sich der Hamburger Bahnhof in den internationalen Vergleich einpflocken: Für Nauman wurden selten gezeigte Installationen wieder aufgebaut, die erlebt haben muss, wer mitreden will.
Ein solches Werk stellt auch der „Kassel Corridor“ dar, den Nauman 1972 für die Documenta V schuf: zwei elliptische Gipswände, vier Meter hoch und zwölf Meter lang, die der Besucher nach Aushändigung der Schlüssel einzeln für maximal eine Stunde betreten darf. Was für eine Bühne: Da steht er nun einsam hinter hohen Mauern, allein mit freier Sicht nach oben ins Gewölbe der ehemaligen Bahnhofshalle, umrauscht vom Getöse der anderen Besucher, von denen sich höchstens ein Blick an den knapp offen gehaltenen Ende der Ellipse erhaschen lässt. Auch in diesem Stück bleibt der Held einsam.
Nauman neckt den Benutzer seiner Skulpturen, etwa in der Nick-Wilder-Installation von 1970, in deren Korridoren sich der Besucher immer nur von hinten oder um den Bruchteil einer Sekunde zu spät im Bildschirm sieht. Der Künstler spielt mit seinem Publikum das ewige Spiel von Anziehung und Abstoßung, fordert es zur Neugierde auf sich selbst heraus und lässt es am Ende alleine. Trotzdem wird er es aus seinem Kopf, aus seinen Räumen nicht mehr verbannen können. Da mag die Stimme vom Band noch so jämmerlich schreien.
Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, bis 10. 10., Di-Fr 10-18, Sa 11-20,
So 11-18 Uhr. Katalog 19,95 €.
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