Schlacht bei Wittstock: Die Spuren des Krieges
2007 wurde bei Wittstock ein Massengrab von 1636 entdeckt – die Ausgrabung liefert verblüffende Ergebnisse.
Wie der Zufall manchmal so spielt. Bei Herzsprung wurde eine Autobahnbrücke gebaut, dafür braucht man Kies und Sand – aus einer nahe gelegenen Kiesgrube. Doch als im März 2007 plötzlich nicht nur Sand und Kies, sondern auch jede Menge Knochen in der Baggerschaufel lagen, alarmierten die Arbeiter das Brandenburgische Amt für Denkmalpflege. Ein Knochenfund in dieser Gegend kann vieles bedeuten. Sind es Gebeine von den Todesmärschen von 1945, als die KZs aufgelöst und die Gefangenen nach Norden getrieben wurden? Wer damals nicht mehr konnte, wurde erschossen. Die nahe Landstraße wäre ein Indiz dafür gewesen. Oder sollte es sich doch um viel ältere Gebeine handeln, um die sterblichen Überreste der Truppen aus dem Dreißigjährigen Krieg, die hier am 4. Oktober 1636 eine entscheidende blutige Schlacht mit über 5000 Toten ausgefochten hatten? „Massengräber auf Schlachtfeldern sind selten markiert – und hier war nichts bekannt“, erzählt die Archäologin Anja Grothe, die später die Grabung durchführte.
Zunächst wurde die Anthropologin Bettina Jungklaus zum Fundort geschickt, um die Knochen zu untersuchen. Sehr schnell war klar, dass es sich nur um Männer gehandelt hatte, deren Zähne keinerlei Plomben oder andere zahnmedizinischen Veränderungen aufzuweisen hatten. Und da es sich nur um junge Männer gehandelt hatte, lag es nahe, dass es sich bei dem Fundort um ein Grab aus dem Dreißigjährigen Krieg handeln musste.
„Auf den Fluren wurde schon gemutmaßt, dass das Grab etwas mit der entscheidenden Schlacht von Wittstock 1636 zu tun haben müsste“, erzählt Grothe. Und das käme dann doch einer Sensation gleich.
Aufschluss über die wahren Hintergründe konnte nur eine Grabung ergeben. Also informierten sich die Archäologen über andere Massengräber, etwa über das aus Towton bei York aus dem Mittelalter, denn viele Erfahrungen mit militärischen Massengräbern aus der Zeit gibt es nicht. Kennzeichen eines militärischen Massengrabes ist die geordnete Ablage, nebeneinander und übereinander. Kleinfunde können auch schon einmal nach unten fallen. Da es im 17. Jahrhundert schon Feuerwaffen gab, gehören Bleikugeln zu den häufigsten Kleinfunden.
Die Knochen aus der Baggerstörung wurden gesiebt, um Knochen, Zähne, Kugeln zu sichern. Dann fingen die Archäologen unter Leitung von Anja Grothe an, in Testquadranten die obere Abdeckschicht abzutragen. „Schon nach zwei Tagen war uns klar, dass es sich um eine geordnete Niederlegung handelte. Die Beine lagen nach Westen, die Individuen lagen nebeneinander. Das Grab war 3,50 Meter breit und am Ende etwa sechs Meter lang. Die Sohle des Grabes lag etwa 1,80 Meter tief, die obere Abdeckschicht war 80 bis 90 Zentimeter stark. Viel Zeit blieb damals nicht, die etwa 5000 Toten nach der Schlacht zu bestatten, das musste schnell und effektiv vonstatten gehen.“
Schon in den ersten Tagen fand man Steckschüsse in den Knochen, fand die durch den Aufprall verformten Geschosse. An den Knochen ließen sich auch Hiebverletzungen schnell feststellen. Die Masse der Toten trug vielleicht noch ein letztes Hemd, hier und da wurden Stoffreste gefunden, an 26 Skeletten wurden Haken und Ösen von der Oberbekleidung gefunden sowie Reste von Leinenfäden. Die organische Kleidung hatte sich längst zersetzt. „An einem Kopf fanden wir Reste von einem Hutband mit eingewebten Metallfäden, das muss eine besondere Persönlichkeit gewesen sein“, erzählt die Archäologin. „Schuhe wurden immer als Erstes geplündert, davon ist nichts übrig geblieben.“
„Wir wussten gleich, dass es sich hier um einen besonderen Fund handelt“, sagt Grothe. Immerhin ist es das größte Massengrab mit 88 Toten im ungestörten Bereich, aus den restlichen Funden schließt man auf insgesamt 125 Individuen.
Viele Knochen haben sich auch im Laufe der Zeit zersetzt. Der Boden in Brandenburg enthält sehr viel Sand, die Mineralien im Knochen werden durch das Grundwasser ausgewaschen, was den Zerfall beschleunigt. Übrig blieb der „Leichenschatten“, eine dunkle Verfärbung des Bodens aufgrund der Zersetzung organischer Materialien.
Im nächsten Schritt ging es darum, die Umstände der Schlacht zu recherchieren. Zu welchem Flügel gehörten die Soldaten? Wo kamen sie her? „Die historischen Quellen alleine reichten nicht aus, wir benötigten genauere Informationen über das Schlachtfeld. Also sind wir im Frühjahr 2009 mit Ehrenamtlichen aus Braunschweig bei schlechtem Wetter mit Sonden über das Schlachtfeld gelaufen und haben es vermessen. Dabei machten wir ungefähr 3000 Funde, ein Drittel waren Projektile aus der Schlacht“, erzählt Grothe. Insgesamt sechs Quadratkilometer wurden untersucht. „Wir wissen, dass es ein Massengrab im Zentrum der Kämpfe war“. Es handelte sich um Söldner der Schweden, meistens Schotten aus den Highlands, aber auch Balten. Dass es Schotten sind, kann man aus der Analyse des Zahnschmelzes schließen. „Das Wasser einer jeden Region hat eine chemische Signatur – und die findet sich im Zahnschmelz wieder.“
Steve Murdoch, der an der Universität St. Andrews über die Schotten in schwedischen Diensten forscht, ist über die deutschen Ergebnisse hochzufrieden. „Er will als Historiker in Zukunft auch mit Archäologen in Schottland arbeiten, ein schönes Ergebnis unseres Projekts“, sagt Grothe.
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