Weltmuseum Wien wiedereröffnet: Die sprechenden Köpfe
Kunst und Kolonialismus: In Wien eröffnet das neue Weltmuseum. Im Kleinen kann es eine Blaupause für das Berliner Humboldt Forum sein.
Zwei lange, grün-bläulich schimmernde Schwanzfedern hat der Quetzal. Er ist ein seltener Vogel. Einen Quetzalfeder-Kopfschmuck trugen bei den Azteken nur Herrscher oder Hohepriesterinnen. Aus der Zeit vor der Landung der spanischen Konquistadoren hat sich nur ein solches Exemplar erhalten, entstanden in Mexiko um 1515, ein Meter dreißig hoch und knapp ein Meer achtzig breit. Es ist von unvergleichlicher Schönheit und Würde. Allerdings weiß man nichts Genaues über die Herkunft und die Art des Erwerbs.
El Penacho ist das berühmteste Objekt im neuen Weltmuseum Wien. Er hat eine eigene klimatisierte Vitrine mit schonendem Licht, ist durch elektronische Federung gegen Erschütterungen geschützt und wird aus konservatorischen Gründen seinen Platz nie wieder verlassen; sonst könnte die Pracht zu Staub zerfallen. Erstmals wird das einzigartige Artefakt 1596 im Inventar der Sammlung des Landesfürsten von Tirol erwähnt.
Weltmuseum – was für ein großes Wort. Was für eine Adresse: Heldenplatz, Wien. Hofburg. Hier feierte Adolf Hitler 1938 mit den Massen den „Anschluss“ Österreichs, hier zelebriert heuer André Heller mit einem Spektakel die Eröffnung des Weltmuseums, das aus dem früheren Museum für Völkerkunde hervorgegangen ist. Der Begriff Völkerkunde, aber auch das Ethnologische Museum sind aus der Zeit gefallen; Relikte des Kolonialismus. Menschen, die man früher als Exoten betrachtet hat, sind heute unsere Nachbarn, leben unter uns, und die Länder, aus denen sie kommen, sind unabhängig, sagt Steven Engelsman, der Direktor des Museums.
Österreich besaß keine Kolonien, hat aber vom Kolonialhandel profitiert
„Es geht um Menschen“, lautet das Motto, man findet es überall im Haus. Engelsman verweist auf die über „200 000 Objekte mit Migrationshintergrund“ in der Sammlung und auf die 800 000 Wiener, für die das Geiche gilt. Geschichte heißt Wanderung, und ein Museum im 21. Jahrhundert muss sich intensiv damit beschäftigen.
Wien war da also schneller als Berlin mit seinem immer neue Fragen und Problemkomplexe aufwerfenden Humboldt Forum. Aber vielleicht liegt darin die Aufgabe, die sich von dem Namen Humboldt herleitet: Neuland entdecken und Vergangenheit klären. Museen in der ganzen Welt wollen und müssen sich neu präsentieren. Im belgischen Tervuren unterzieht sich das Königliche Museum für Zentralafrika einer kompletten Umgestaltung; Wiedereröffnung im Sommer 2018.
Wien hatte es etwas leichter als Berlin mit seinem unglücklichen Alt-Neuschlossbau oder Brüssel mit seiner horrenden Kolonialgeschichte im Kongo. Österreich besaß keine Kolonien, wohl aber hat es vom Kolonialhandel profitiert. Und mit 2500 Quadratmetern Dauerausstellungsfläche (und 1500 Quadratmetern für Wechselausstellungen) bleiben die Dimensionen im Weltmuseum Wien weit hinter dem Humboldt Forum (über 20 000 Quadratmeter) zurück. Drei Jahre Bauzeit: Die Kosten sind mit 22 Millionen Euro überschaubar.
Offenheit in der historischen Darstellung
Und doch funktioniert ein Vergleich. Denn bei all diesen Umwandlungen und Neuformulierungen geht es um Offenheit in der historischen Darstellung – wem gehört das, wo kommt das her, was sagt es uns heute? Gleichzeitig haben, wie es in Paris das Musée du Quai Branly praktiziert, Objekte aus Amerika, Afrika, Ozeanien und Asien ein Recht darauf, ihren ästhetisch-künstlerischen Wert offenbaren zu können, wenn man sie schon aus ihrem Zusammenhang gerissen hat.
Oder sie wurden gerettet: Hätte der Quetzal-Federschmuck in Mesoamerika oder Spanien die Zeiten überdauert? Und wie sieht es bei den bronzenen „Hofzwergen“ aus Benin aus? Diese beiden Skulpturen stammen aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Britische Militärs brachten sie aus Afrika nach Europa. Aus dieser Strafexpedition stammen auch die Berliner Benin-Stücke, die ins Humboldt Forum kommen. Die sogenannten Hofzwerge zählen zu den frühesten Kunstwerken aus Benin. Sie haben in der Welt der Museen nicht ihresgleichen.
Von einer erschütternden Kraft ist die Büste eines Gottes aus Hawaii, um 1779. Gefertigt aus Luftwurzeln, Federn, Perlmutt und Hundezähnen, einen halben Meter hoch, fixiert sie den Betrachter und sagt: Ich gehöre nicht hierhin. Das irre Stück stammt aus einer Sammlung des britischen Weltumseglers James Cook, die 1806 bei einer Auktion in London vom österreichischen Kaiser Franz I. erworben wurde.
Knapp hundert Jahre später, im Jahr 1892, unternahm Franz Ferdinand, der österreichische Thronfolger, eine ausgedehnte Weltreise. Er war besessen vom Fernweh und vom Sammeln: „Ich leide an Museomanie“. Vor allem in Südostasien kaufte er, was das Zeug hielt. Eine der größten Vitrinen ist gefüllt mit Stabpuppen und Köpfen. Der Anblick ist makaber, aber es handelt sich um Spielzeug, um Puppenköpfe. Sie wirken brutal lebensecht, wie abgeschlagen, und erinnern an die Verbrechen der Kolonialherren, auch wenn es harmlose Artefakte sind, von allerdings herausragender Qualität.
Der Blick auf diese Versammlung gibt ein Beispiel dafür, dass die Kolonialgeschichte nicht mehr ausgeblendet werden kann. Und dann fällt das koloniale Europa über sich selbst her. Mit der Ermordung Franz Ferdinands 1914 in Sarajewo beginnt der Erste Weltkrieg.
Museumsgeburten sind schwer
Vierzehn Säle umfasst das Weltmuseum Wien, man kann die Ausstellung durch vier Eingänge betreten – eine klare Entscheidung gegen einen geografischen oder chronologischen, also hierarchischen Aufbau. Die Objekte sollen – mit Anleitung – für sich sprechen, vielfältige Perspektiven eröffnen. Die Architektur stammt von der Arbeitsgemeinschaft Hoskins Architects und Ralph Applebaum Associates. Applebaum ist führend bei der Entwicklung neuer Museumskonzepte. Die Firma hat zuletzt das Canadian National Museum of Human Rights in Winnipeg und das National Museum of African American History and Culture in Washington DC designt. In Vorbereitung sind bei Applebaum das Barack Obama Presidential Center in Chicago und das Humboldt Forum in Berlin.
Es wäre falsch, Wiens Weltmuseum als kleines Humboldt Forum zu betrachten. Aber einige Linien zeichnen sich ab: eine gediegene Präsentation der Objekte, die die Tradition der Kunstkammer nicht verleugnet, der Einsatz digitaler, interaktiver Elemente und die Einrichtung von „diskursiven Räumen“. Diese sind in Weiß gehalten und drehen sich um Migration und Raubkunst und, speziell hier, um Rassismus in der Wiener Ethnologie.
Museumsgeburten sind schwer. Museen sind sehr alte Eltern, mit einer Vergangenheit, der sie sich, zumal in Deutschland, spät stellen. Wenn der Berliner Kompetenzwirrwarr sich sortiert, wenn die Museumsbürokratie es zulässt, wenn, wie man bei Applebaum im Fall von Wien sagt, ein „starker Klient“ am Werk ist, dann kann es auch mit dem Humboldt Forum etwas werden. In Wien hat die Fertigstellung des Museumsquartiers bald zwanzig Jahre Verdruss gemacht. Jetzt bildet es mit dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum und dem Weltmuseum ein neues Kraftfeld.
www.weltmuseumwien.at. Ab 27. Oktober, täglich außer Mittwoch 10 bis 18 Uhr, Katalog: 24,95 Euro