Leipziger Buchmesse: „Die Sprechblase ist die Seele der Figur“
Von ihm stammen die Szenarien zu einigen der herausragenden deutschen Comics der vergangenen Jahre. Auf der der Leipziger Buchmesse sprach Peer Meter über seine neuen Arbeiten und die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Zeichnern.
Ein Comicautor, der selbst nicht zeichnet? Das verwundert zunächst. Selten sind Autoren-Kollektive im Comicbereich aber keineswegs, man denke nur an das kongeniale Duo René Goscinny und Albert Uderzo, die Vätern der Asterix-Comics.
Im deutschsprachigen Raum ist der Bremer Szenarist Peer Meter einer der wichtigsten Ideengeber. Seine Comics „Gift“ und „Haarmann“ zählen zu den besten Comics, die in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden sind. Beide Geschichten erzählen von einer Mordserie und einer nahezu blinden Gesellschaft, die nicht wahrhaben will, dass in ihrer Mitte eine Mörderin (Gesche Gottfried in „Gift“) beziehungsweise ein Mörder (Fritz Haarmann in „Haarmann“) der eigenen Mordlust nachgeht.
Peer Meter, in Leipzig von Moderator Knut Elstermann als „einer der größten Inspiratoren der deutschen Comickunst“ vorgestellt, hat die Szenarien dieser Geschichten geschrieben. Er ist ihr geistiger Vater, in die Welt bringen seine Geschichten dann aber jeweils andere Zeichner. Diesen gibt er ein detailliertes Szenario an die Hand, in dem er in atmosphärisch dichten Texten Szenen, Figuren und Dialoge beschreibt. Diese lesen sich wie Drehbücher, wunderte sich Filmexperte Knut Elstermann. Nicht verwunderlich sei das, erklärte Meter, denn er komme vom Theater, wo Stücke und Inszenierungen in einer großen Freiheit und Lebendigkeit entstünden. Er beschreibe lediglich die Handlung und baue dann die Dialoge als die Figuren charakterisierendes Element. „Die Sprechblase ist die Seele der handelnden Figur.“
Seinen Zeichnern will er eben diese Freiheit lassen, die er am Theater erlebt hat, damit diese ihr eigenes Potenzial einbringen könnten. Er beweist bei seiner Auswahl ein gutes Händchen, die jeweils grandios seine Szenarien in unter die Haut gehende Text-Bild-Geschichten mit einer ganz eigenen Ästhetik verwandeln. Die Bildsprache spielt bei Meter eine große Rolle, sie muss die Geschichte erzählen und atmosphärisch tragen können. Das erklärt auch, warum er immer wieder neue Zeichner für seine Comics sucht, schließlich erzählt er auch jedes Mal eine neue Geschichte.
„Gift“ wurde von der Berliner Comiczeichnerin und Illustratorin Barbara Yelin umgesetzt, bei „Haarmann“ arbeitete Meter mit der preisgekrönten Hamburger Comiczeichnerin Isabel Kreitz zusammen. Im Verlag Reprodukt ist mit „Böse Geister“ gerade ein erzählerischer Erinnerungsband erschienen, für den sich Meter die Berliner Kinderbuchillustratorin Gerda Raidt als Zeichnerin ausgesucht hat. Und im Oktober erscheint mit „Vasmers Bruder“ bei Carlsen der dritte und letzte Band seiner Massenmörder-Trilogie, den er gerade mit dem Berliner Zeichner und Grafiker David von Bassewitz umsetzt.
Gerda Raidt und David von Bassewitz saßen ebenfalls auf dem Podium in den Leipziger Messehallen. Beide berichteten einstimmig von der guten Zusammenarbeit mit Peer Meter, in die sie jeweils auch ihre eigenen Ideen einbringen können. Die Szenarien würden Bilder evozieren, die man dann aber als Zeichner umsetzen könne. Beliebig wird es dabei allerdings keineswegs, wie David von Bassewitz berichtete. Bei der Arbeit an „Vasmers Bruder“, der die Geschichte des schlesischen Serienmörders Karl Denke erzählt, habe er daran gedacht, einige Gothic-Horror-Elemente mit einzubauen. Als er Meter die Entwürfe geschickt habe, habe dieser aber gesagt, dass das nicht passe. Die Geschichte sei dafür nicht geschaffen.
Die Herausforderung, die beim Zeichnen bestehe, liegt aber offenbar vorrangig im Umsetzen der doppelbödigen Szenarien Peer Meters. Seine Geschichten lässt er stets von Hilfsfiguren erzählen, die meist zu Beginn seiner Comics kurz auftauchen. Sie sind sein dramaturgisches Mittel, mit dem er den Leser in seine Geschichte führt und dort fesselt. Dies erfordert aber auch das Erzählen auf mehreren Ebenen, und von diesen die Fäden in der Hand zu behalten, sei die größte Herausforderung gewesen, erklärte Gerda Raidt.
In „Böse Geister“ – seit wenigen Tagen im Handel – kann man sehen, dass sie diese Herausforderung in beeindruckender Manier bewältigt hat. In ihren Bildern hat sie die morbide Atmosphäre eingefangen, von der die Geschichte erzählt. Im Zentrum steht die Erinnerung des Erzählers an eine keineswegs einfache Kindheit, der den Abriss seines ehemaligen Wohnviertels zum Anlass einer Reise in die Vergangenheit nimmt. Die verletzliche Figur dieses einsamen Jungen, in dem man Peer Meter selbst wiederfinden kann, kontrastiert die düsteren Bilder des Raumes und hüllt diesen in einen täuschenden Nebel der Melancholie. „Böse Geister“ ist als autobiografisch gefärbter Comic mit den drastischen Erzählungen der Serienmörder-Trilogie nicht zu vergleichen. Insofern ist es auch ein Glück, dass „Vasmers Bruder“ nicht rechtzeitig für das Frühjahrsprogramm fertig geworden ist, denn dies führt dazu, dass diese kleine, anrührende Geschichte die Aufmerksamkeit bekommen kann, die sie verdient – eine ausführlichere Kritik dieses Titels folgt in Kürze auf den Tagesspiegel-Comicseiten.
Die Fans von Peer Meters Mördergeschichten können sich aber schon auf den Herbst freuen; erste Bilder präsentierte Peer Meter gemeinsam mit seinem Zeichner in Leipzig. Obwohl die Erzählung in einem schneeweißen schlesischen Winter spielt, liegt über der Erzählung ein grau-schwarzer Schleier der permanenten Bedrohung. Wie schon bei Gesche Gottfried in „Gift“ und Fritz Haarmann in „Haarmann“ ist auch „Vasmers Bruder“ kein blutrünstiges Porträt eines perversen Mörders, sondern ein Sittenbild seiner Zeit, ein Soziopanorama, in dem sich die gesellschaftliche Abwendung und Egalität in der bedrückenden Atmosphäre der gezeichneten Räume spiegeln. Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man sagen, dass mit „Vasmers Bruder“ und der Geschichte von Karl Denke die Serienmörder-Trilogie ihren düsteren Höhepunkt erreichen wird.
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