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Identität ist nur ein Wort. Michael Neuenschwander (rechts, mit Lena Schwarz) borgt sich die Rolle des Amphitryon aus.
©  Matthias Horn

Karin Henkels "Amphitryon" beim Berliner Theatertreffen: Die Spiegelspieler

Theatertreffen, zweiter Tag: In ihrer Bearbeitung von Kleists „Amphitryon“ vervielfacht Regisseurin Karin Henkel das Ego-Hopping der Vorlage.

Das Theatertreffen 2014 ist zwar gerade mal drei Tage alt. Aber der Preisträger für den kulinarisch vollendetsten Auftritt dürfte bereits feststehen. Kurz vor Schluss von Karin Henkels „Amphitryon“-Version vom Schauspielhaus Zürich, die die Festspiele im Deutschen Theater zeigen, betritt Wolfram Koch als lokaler Gastspieler die Bühne. Eine angebissene Bockwurst in der rechten und eine Bierdose in der linken Hand, macht er sich – frei nach dem schönen Branchen-Motto ,Det spiel’ ick dir’ – parallel über das Kantinenessen und über die Götter-Rolle des Merkur her. Großer Auftritt: So nahe an der (Berliner) Currywurstbudenrealität war Heinrich von Kleist selten.

Wie sich Karin Henkels Inszenierung überhaupt als überraschend gegenwartstauglich erweist. Die Regisseurin treibt das Identitätskrisendrama so scharfsichtig wie unerschrocken komödienselig auf die Spitze. In Kleists „Lustspiel“ entdeckt Göttervater Jupiter eine unwiderstehliche Neigung zur tugendhaften Alkmene. Um die Nacht mit ihr verbringen zu können, nimmt er die Gestalt ihres Gatten an, des Feldherren Amphitryon, der sich nach siegreichem Kampf gerade zur triumphalen Heimkehr rüstet. Und weil Amphitryon seinen Diener Sosias vorausschickt, muss natürlich auch der verdoppelt werden – von Jupiters Götter-Kollegen Merkur. Logisch, dass es bei allen Beteiligten zu ernsthaften Identitätskrisen kommt, als kurz nach Alkmenes Nacht mit Jupiter in Amphitryon-Gestalt der echte Gatte auftaucht.

Die Darsteller probieren mal lässig die Anfangssätze von Kleists Drama an

In Karin Henkels Bearbeitung „Amphitryon und sein Doppelgänger“ wird diese Ich-Krise nun quasi gegen unendlich potenziert: Gleich fünf Sosiasse kommen zu Beginn des Abends in Hut und Trenchcoat auf Henrike Engels Bühne geschneit, ein zeitlos-zeitgeistiges Ambiente mit Filmset-Flair und Lounge-Sesseln. Einer nach dem anderen lässt sich ins aparte Sitzmöbel fallen, nimmt das Kleist’sche Drama zur Hand und probiert mal lässig die Anfangssätze an. Doch selbst wenn es später dem Schauspieler Michael Neuenschwander gelingt, sich optisch aus diesem Quintett herauszuemanzipieren und mit blauem Hemd in die Rolle des Amphitryon hineinzuborgen, ist das Solo-Show- Glück von kurzer Dauer: Längst stehen die Kollegen (Carolin Conrad, Fritz Fenne, Lena Schwarz und Marie Rosa Tietjen) zum erneuten Spiegeln, Verdreifachen, Vervierfachen bereit.

Kurzum: So hübsch Sicherheit suggerierende Begriffe wie Original und Kopie lassen sich bei Henkel längst nicht mehr auseinanderdividieren; die Akteure stürzen sich lustvoll ins postmoderne Ego-Hopping, wo Identität immer nur ein temporäres Produkt mit rasant schwindender Haltbarkeitsdauer ist. Und für diese unbezweifelbare Gegenwartsdiagnose legt sich der Abend auch optisch ordentlich ins Zeug: Die Bühne ist zweigeschossig; der erste Stock klont gewissermaßen das Erdgeschoss – gern auch mitsamt Bewohnern und Synchronchoreografie.

Am dramaturgischen Höhepunkt versuchen die Schauspieler erfolglos aus ihren Vielfach-Rollen auszusteigen und unternehmen ein rührendes Ordnungsexperiment: Wie im guten alten Repräsentationstheater bekommt jeder genau einen Part zugewiesen – aber leider spielt man in Unterzahl: Keiner da, der den Merkur geben könnte. Dies ist der Moment von Wolfram Kochs imposantem BockwurstAuftritt. Den Preis für den kulinarisch vollendetsten Auftritt des 51. Theatertreffens müsste er sich allerdings teilen: Die Wurst ist noch nicht mal zur Hälfte verschlungen, als bereits ein frischer Merkur-Doppelgänger das Spielfeld betritt.

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