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Wer ist hier der Star? Brad Pitt beim Besuch in Kassel mit Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev.
© dpa

Kuratoren: Die Show bin ich

Willkommen in Disneyland: Egozentrische Kuratoren inszenieren sich selbst immer häufiger als Stars und drängen so die Künstler an den Rand.

Man stelle sich einmal vor, die Leiterin des Berliner Theatertreffens würde dem Publikum nächstes Jahr an Stelle eines Programms mit bitterer Miene ein Handbuch vorstellen. Es hieße „Ohne Sorg“ und wäre eine Generalabrechnung mit dem übergeschnappten Theaterbetrieb. Darin würde in Manifesten und Interviews ein politisches Volkstheater statt sinnloser Hochkultur verlangt, die Schließung der Theater erwogen und nebenbei ein wenig Weltpolitik gemacht. Schluss müsse sein mit allem, was auf Bühnenbrettern je stattgefunden habe. Im übrigen, hätte das schockierte Publikum zu vernehmen, würde beim Theatertreffen das eine oder andere Stück der Programmleiterin selber gespielt. Die Jury sei mit sofortiger Wirkung entlassen.

Was wäre daran absurd? Man müsste die Frau einfach nur Kuratorin nennen – eine Bezeichnung, die einmal für sammlungspflegende Museumsbeamte erfunden wurde, heute aber eine allmächtige Solistenrolle im Kunstbetrieb beschreibt. Was eine Leiterin nicht darf, ist dem Kurator nicht fremd, wie zuletzt die Berlin Biennale bewies, in deren Katalog der Chefkurator Artur Zmijewski sich selbst eine Plattform gab und gegen das Ego der Kunstschaffenden wetterte. Währenddessen stellte Zmijewski auf der Biennale seine eigenen Werke aus, ohne dass die Öffentlichkeit Anstoß nahm. Geht das denn? Die Eigeninteressen der Kunstwelt zu verdammen und im Vorbeigehen die eigene Ausstellungsvita anzureichern? Gewiss geht das, ist die Antwort, weil der Kurator kein Diener eines Ausstellungshauses ist, sondern der oberste Regisseur seiner Künstler. Hat sich je einer darüber beschwert, dass Hitchcock in seinen eigenen Filmen als Komparse auftrat?

Aber wie konnte es überhaupt passieren, dass der Kurator, ein biederer Treuhänder der Kunst, zum Autor wurde? Sind Ausstellungen wirklich immer Gesamtkunstwerke, wie die Kunstwelt mit Inbrunst glaubt, seit der Schweizer Kurator Harald Szeemann sich auf seine inszenatorische Intuition statt auf Künstlerwünsche oder die Kunstgeschichte berief und seine Herzensentscheidungen zur Grundlage der Documenta 5 und der Venedig Biennale 1980 erhob?

Nicht umsonst hieß eine seiner berühmtesten Ausstellungen „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ und verschmolz alle erdenklichen Artefakte zu einem großen Erlebnisraum. Eine breitere soziale Wirklichkeit sollte so erfasst werden. Szeemann wurde zum Magier und Therapeuten der zeitgenössischen Kunst. Sein Publikum aber wurde zu einer Masse von Gefolgsanalytikern, die hinter jedem Objekt einen vielsagenden Mosaikstein der Kunstevolution vermuten durfte. Ironischerweise fand Szeemann nur deshalb zu einer divenhaften Regierolle, weil die Kritik seine Versuche selbstverwalteter demokratischer Künstlerausstellungen verrissen hatte, wie der Soziologe Oliver Machart im Juni-Heft von „Texte zur Kunst“ schreibt.

Noch der Urvater der Großgegenwartskunstausstellung, der Documenta-4-Leiter Arnold Bode, hatte an die kollektiv-demokratische Führung seines Projektes geglaubt. Erst Szeemann setzte mit wagnerianischer Geste die Vorherrschaft des Kurators über die Künstler durch. Er erfand in Kassel erst sich und dann ein ganzes Berufsbild neu. Ein Berufsbild, in dem kein objektives Kriterium mehr gilt.

Denn das ist die Kehrseite der Kuratorenkrönung: Nichts und niemand kontrolliert den Ausstellungsmacher. Sponsoren können abspringen, die öffentliche Hand mag ihre Gunst verweigern, wenn das kuratierte Programm der Tourismusförderung im Wege steht. Sein Status als vorgesetzter Künstler enthebt den Kurator aber im Einzelfall jedes Rechtfertigungszwangs, solange nur das Gesamtbild stimmt. Die 120 000 Besucher der Berlin Biennale sind ein unschlagbares Argument. Und schon jetzt wird darüber spekuliert, ob die von einer Wochenzeitung zur Szeemannschen „Heilerin“ erhobene Documenta-Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev den Rekord von 750 000 Ausstellungsgästen einstellen wird.

Vorbehalte der Kunstkritik hingegen, die historische Einordnung der gezeigten Werke, Qualitätsdiskussionen werden zu Nebensächlichkeiten im globalisierten Ausstellungsgeschäft. Und so stimmt natürlich, dass es die vulkanischen Geniekuratoren vom Schlage Szeemanns nicht mehr gibt (wenn es sie je gab), weil große, weltweit beworbene Projekte nur noch in Teamwork betriebswirtschaftskundiger Experten zu realisieren sind. Diese Teams aber setzen wie in jeder Entertainmentbranche nur um, wofür der Name des Regisseurs oder der Regisseurin bürgen muss. Die Einzelleistung eines Individuums auf der Künstlerliste ist dabei so wichtig wie der Name eines einzelnen Ausstatters in Disneyland. Das Gleiche gilt für die Fachkritik. Oder hat man je etwas vom Einfluss mächtiger Amüsierbetriebshistoriker auf die kunstgerechte Gestaltung von Vergnügungsparks gehört?

Wer Zweifel daran hat, dass die Chefkuratoren der Biennalen und Triennalen, sich als Showmaster und nicht in der Werkauslegung beweisen müssen, muss nur den Documenta-Machern zuhören. Roger Buergel und Ruth Noack philosophierten 2007 monatelang über die Migration der Formen und Erfahrungen jenseits des „rationalen Verstehens“. Buergel bekannte frank und frei, dass er als Ausstellungsmacher der Öffentlichkeit „nichts schulde“, sondern die interne Freiheit des Kompositionsprozesses verteidigen müsse. Carolyn Christov-Bakargiev dagegen singt ein Loblied auf die Vieldeutigkeit und beeindruckt mit dadaistischen Dribblings, in denen es auch mal um das Wahlrecht für Hunde und die politische Intention der Erdbeere geht. Originalton der Kuratorin: „Die kulturelle Produktion der Tomatenpflanze ist die Tomate.“ Das war keine Veralberung des Publikums, sondern die ironische Ausschaltung genussstörenden Tiefsinns. Die Koketterie wies nur auf die Bedeutungslosigkeit von Analysen für den kuratorischen Erlebnisraum hin.

Und wem nutzt das alles, fragt der Verschwörungstheoretiker. Dem Markt, der weder Kritik noch Kuratoren fürchten muss? Das wäre ein weiteres Klischee, in dem aber auch ein Gran Wahrheit steckt. Tatsächlich haben die Messen und die documenta eine Gemeinsamkeit. Das Gesamtergebnis hat nichts mehr mit der demütigen Interpretation individueller Einzelwerke zu tun. Alles ist handel- und verwandelbar. Wo Details beliebig werden, zählen vor allem Namen. Längst hat dieses Prinzip auch andere Gattungen erfasst. Im Theater sterben die Intendanten aus und erstehen als Kuratoren wieder, weil es nicht auf das alte Theater, sondern die Verschmelzung der Disziplinen im Kulturthemenpark ankommt.

Am Ende ist das kein Grund zum Kulturpessimismus, sondern eine Aufforderung zu mehr Ehrlichkeit. Statt monumentaler kuratorischer Thesen sollten Ausstellungsmacher wieder schildern, was sie eigentlich herausfinden und bewirken wollen. Sicher, Gottschalk war der Kurator von „Wetten, dass ?“. Als er aber seine Funktion nicht mehr erfüllte, warf der Unterhaltungsbetrieb ihn heraus. Würden Kuratoren sich zu ihrem eigenen Geschäft so klar verhalten wie TV-Conférenciers, ließe sich über ihre Erfolge und Misserfolge wieder nachvollziehbarer streiten. Vielleicht entstünden so nebenbei auch Formate, in denen ohne Magie und Größenwahn das einzelne Kunstwerk im Mittelpunkt steht.

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