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Aretha Franklin eröffnet 19969 Caesars Palace in Las Vegas. Die "Queen of Soul" ist jetzt im Alter von 76 Jahren gestorben.
© REUTERS

Zum Tod von Aretha Franklin: Die Seelenkönigin

Zu Beginn von Aretha Franklins Karriere galt Soul noch als Provokation. Sie machte aus der Musik ein Symbol der Hoffnung. Ein Nachruf zum Tod der legendären Sängerin.

Anerkennung bekommt man nicht geschenkt, man muss sie sich erkämpfen. Die Geschichte eines der einflussreichsten Popsongs aller Zeiten ist die Geschichte einer Aneignung. Aretha Franklin wusste noch Jahrzehnte später genau, wann und wo sie begonnen hatte: Als sie das kleine Apartment putzte, in das sie gerade erst eingezogen war, nachdem sie das Haus ihres Vaters verlassen hatte. Im Radio lief „Respect“ von Otis Redding, und „ich habe es sofort geliebt“. Sie liebte den harten Viervierteltakt, das Scheppern des Basses und der Bläser, die ganze frenetische Inbrunst. Was ihr weniger gefiel, war der Machismo des Sängers, der prahlt, alles zu besitzen, was Frauen wünschen, und deshalb beim Nachhausekommen eine prompte Belohnung verlangt, „just a little bit respect“.

Franklin war sich sicher, aus dem Lied „etwas anderes“ machen zu können. Als sie zwei Jahre später, im Februar 1967, in einem New Yorker Tonstudio ihre Version aufnahm, genügten zwei, drei kleinere Eingriffe, um „Respect“ einen völlig anderen Dreh zu geben.

"Respect" markierte ihren Aufstieg zum Superstar

Aus dem Lamento eines Mannes, der sich für unwiderstehlich hält, wurde eine feministische Standpauke, vorgetragen mit wütend lodernder Stimme. Hier ist es die Frau, die dem Heimkehrer vorhält, ihm nicht nur immer treu gewesen zu sein, sondern ihn auch finanziell auszuhalten. Die seine Eskapaden und seine Eitelkeit langsam leid ist, und die, wenn schon nicht geliebt, so doch wenigstens ernst genommen werden möchte. „Respect“ ruft sie, „TCB“, ein Akronym für „taking care of business“, die Backgroundsängerinnen antworten „sock it to me“, eine Slangformulierung, die man mit „lass es rüberwachsen“ übersetzen könnte. Der Monolog weitet sich zum Dramolett, zur atemlosen Beschwerde aus mehreren Frauenstimmen. Im Begleitchor, den Sweet Inspirations, singen Franklins Schwestern Carolyn und Erma.

„Respect“ verkauft sich mehr als eine Million mal, bringt Aretha Franklin auf das Cover des „Time“-Magazins sowie auf Platz 1 der Billboard-Charts und verschafft ihr die ersten beiden von 18 Grammys. Der Song markiert ihren Aufstieg zum Superstar, das Crossover der Sängerin von den schwarzen Rhythm’n’Blues-Charts in den Mainstreampop. Genüsslich buchstabiert Franklin im Refrain den Titel aus: „R-E-S-P-E-C-T“. „Respect“ wurde zum Lied der Feministinnen und der Bürgerrechtsbewegung, eine afroamerikanische Selbstermächtigungshymne wie sonst nur „Say it loud! I’m black and I’m proud“ von James Brown und „A Change Is Gonna Come“ von Sam Cooke.

Vor der Tür der New Bethel Baptist Church in Detroit, wo Aretha Franklins Vater Pastor war, trauern die Menschen um die "Queen of Soul"
Vor der Tür der New Bethel Baptist Church in Detroit, wo Aretha Franklins Vater Pastor war, trauern die Menschen um die "Queen of Soul"
© Bill Pugliano/Getty Images/AFP

Bei einem Auftritt in Chicago wurde Aretha Franklin 1967 von dem DJ Purvis Spann buchstäblich zur „Queen of Soul“ gekrönt. Den Titel ist sie bis an ihr Lebensende nicht mehr los geworden, an königlicher Würde konnte es allenfalls noch Elizabeth II. mit ihr aufnehmen. Majestätsbeleidigungen konnten sie wütend machen. Als Beyoncé 2008 bei der Grammy-Verleihung Tina Turner als „the Queen“ vorstellte, sprach Franklin später entrüstet von einem „fiesen Trick“.

Soul war ein Synonym für Hoffnung, der Optimismus der Ära verdichtete sich im Februar 1968 bei Franklins triumphaler Rückkehr nach Detroit, der Motor- und Motown-Stadt, in der sie aufgewachsen war. Ihr Konzert vor 12000 Zuschauern in der ausverkauften Cobo Hall hatte den Rekorderlös von 60000 Dollar eingespielt, der Oberbürgermeister erklärte das Datum zum „Aretha Franklin Day“. Die Sängerin wechselte zwischen Standmikrofon und Klavier, ihre Hits „I Never Loved a Man (The Way I Love You)“, „Respect“ und „Chain of Fools“ wurden tosend gefeiert. Und Martin Luther King überreichte ihr einen Preis der Bürgerrechtsorganisation Southern Christian Leadership Conference. Die Euphorie endete rasch. Zwei Monate später war King tot, erschossen in Memphis. Franklin sang bei seiner Beerdigung „Precious Lord“, einen Song übers finale An-der-Hand-genommen-Werden durch Gott.

Aretha Franklin ist in der Kirche groß geworden

Die Karriere nahezu aller großen Soulstars hat in einem Gospelchor begonnen. Aretha Franklin ist in der Kirche groß geworden. Sie wurde 1942 als Tochter des Baptistenpredigers Clarence LaVaughn Franklin in Memphis geboren, der ein paar Jahre später die Leitung der New Bethel Church in Detroit übernahm. Kurz danach trennte sich die Mutter vom Vater, und Aretha blieb bei ihm. Der Vater war ein Charismatiker, so etwas wie ein Popstar eigenen Rechts. Die Tochter nannte ihn „den größten Einfluss“ auf ihre Stimme. Von den Predigten, die er in seiner Gemeinde, im Radio und überall in den Südstaaten hielt, hat er Millionen Schallplatten verkauft, was ihm den Spitznamen „The Million Dollar Voice“ einbrachte. C. L. Franklin führte ein höchst promiskuitives Leben, der Reporter David Remnick beschrieb ihn im „New Yorker“ als Verführer im Auftrag Gottes, der einen Cadillac fuhr und Schuhe aus Alligatorenleder trug.

Eine Kindheit als Tochter des berühmtesten schwarzen Predigers seiner Tage ist keine normale Kindheit. Als er Mitte der fünfziger Jahre den C. L. Franklin Gospel Caravan startete und durch Amerika tourte, war Aretha dabei, sang mit, spielte Piano. Zum Freundeskreis des Vaters zählten viele Musikgrößen, bei ihnen in Detroit kamen Nat King Cole, Duke Ellington, Ella Fitzgerald und Lionel Hampton zu Besuch. Dinah Washington unterrichtete Aretha und ihre Schwestern im Singen. C. L. Franklin gehörte zu den engsten Vertrauten von Martin Luther King, er organisierte mit ihm den „Walk to Freedom“, der 1963 mehr als hunderttausend Demonstranten durch Detroit führte. Für Aretha muss der große Bürgerrechtler so etwas wie eine Mischung aus Onkel und Idol gewesen sein. Der Film „Selma“ zeigt, wie er, von nächtlichen Todesvorahnungen geplagt, bei ihr anruft, um sich ein Schlaflied vorsingen zu lassen.

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Ihre wütende, laute Stimme erschütterte Amerika: Aretha Franklin.
Ihre wütende, laute Stimme erschütterte Amerika: Aretha Franklin.
© Jeff Kowalsky/epa/dpa

Soul war in seinen Anfängen eine Provokation, die Kreuzung aus Gospel, der Musik Gottes, und dem Blues, der Musik des Teufels. Als Aretha Franklin mit 15 Jahren ihre ersten Gospelsongs aufnahm, war sie bereits eine zweifache Mutter. Sie brach die Schule ab und unterschrieb bald darauf einen Vertrag bei der Plattenfirma Columbia. Zur Veröffentlichung ihres ersten weltlichen Platte, dem Schritt aus der Kirche heraus zum Pop, schrieb sie 1961 eine Rechtfertigung: „Ich glaube nicht, dass ich dem Herrn damit einen schlechten Dienst erwiesen habe. Schließlich ist der Blues eine Musik, die geboren wurde aus den Leiden meines Volkes in der Sklaverei.“

Franklin sang Jazzstandards, Jazzschlager und Doo-wop, Columbia wollte sie zu einer neuen Billie Holiday aufbauen. Ins Rollen kam ihre Karriere erst, als sie 1966 zu Atlantic Records wechselte, dem Label des experimentierfreudigen Plattenmoguls Ahmet Ertegün, bei dem bereits Ray Charles den Durchbruch geschafft hatte. Produziert von Jerry Wexler und begleitet von brillanten Musikern wie King Curtis, Bobby Womack oder Spooner Oldham nahm sie Platten auf, die bis heute so etwas wie der Heilige Gral des Soul sind: „I Never Loved a Man the Way I Love You“, „Aretha Arrives“, „Lady Soul“, „Aretha Now“. Der Bassist Chuck Rainey erzählte, dass die Stimme der Sängerin mitunter so kraftvoll war, dass sie die Band aus dem Takt brachte.

In den Texten hatte Aretha Franklin trotzdem oft schwach zu sein, ganz genretypisch eine devote, liebesbedürftige Frau, die in „(Sweet Sweet Baby) Since You’ve Been Gone“ dem Typen hinterherschmachtet, der sie verlassen hat, oder in „Come Back Baby“ barmt: „Please don’t go“. Selbst die Jahrhunderthymne „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“, geschrieben von Carole King und Gerry Goffin, ist ein Dokument der weiblichen Selbstunterwerfung. Geigenumtost wird die Ich-Sängerin da erst durch einen Mann zur echten Frau. Doch schon in der schwermütigen Ballade „Do Right Woman, Do Right Man“ fordert sie „some respect for me“.

Die Schönheit ihrer Musik hat Aretha Franklin aus dem eigenen Leben geschöpft

Man glaubt, in ihrer aggressiven, lauten Stimme die zunehmende Emanzipation hören zu können, musikalisch strebt sie mehr und mehr in die Verfeinerung. Mit dem von Curtis Mayfield produzierten Album „Sparkle“ erreicht ihr sinfonischer Pop 1976 einen Höhepunkt. Da ist die Sängerin bereits ein Denkmal, allerdings verkauft sie danach nur kaum noch Platten. Mit den New-Wave-Hits „Who’s Zoomin’ Who“ und „Freeway of Love“, unterlegt mit kühlen elektronischen Beats, gelingt ihr 1985 ein kommerzielles Comeback. Franklin war stets auf die Zuarbeit von Songwritern und Textern angewiesen, doch eines ihrer stärksten Soulstücke hat sie selbst geschrieben: „Rock Steady“. Mit der Nummer, hat Barack Obama, ein großer Bewunderer ihrer Kunst, empfohlen, könne man jede Party zum Tanzen bringen.

Die Schönheit und den Schmerz ihrer Musik hat Aretha Franklin aus dem eigenen Leben geschöpft, daraus resultierte vermutlich ein Teil ihres Erfolgs. Ihr erster Ehemann Ted White, den sie 1961 heiratete, war zugleich ihr Manager. Er neigte zu Gewalt. Nachdem das „Time“-Magazin sie als geprügelte Ehefrau beschrieben und als „Opfer“ stigmatisiert hatte, empfand sie eine tief sitzende Angst vor Interviews. In dem Gespräch mit „Time“ sagte sie, sie sei „26 mit der Tendenz zur 65“, eine „alte Frau, die sich gern verkleidet“. Ihre zweite Ehe mit dem Schauspieler Glynn Turman verlief glücklicher, endete aber 1982. Der Produzent Jerry Wrexler hat Franklin in seinen Memoiren „unsere Heilige der mysteriösen Sorgen“ genannt. „Hinter ihren leuchtenden Augen liegt unerklärlicher Schmerz. Ihre Depressionen könnten so tief sein wie das dunkle Meer. Ich behaupte nicht, die Quellen ihrer Angst zu kennen, aber die Angst umgibt Aretha ebenso sicher wie der Ruhm ihre musikalische Aura.“

Die Bedeutung von Aretha Franklin, die vom „Rolling Stone“-Magazin zur „besten Sängerin aller Zeiten“ gewählt wurde, geht weit über die Musik hinaus. Die Demokratin trat bei den Inaugurationsfeiern der Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama auf, George W. Bush verlieh ihr im Weißen Haus die „Presidential Medal of Freedom“ für ihre „kulturellen Bemühungen“ sowie „den Beitrag zu den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten und den Weltfrieden“.

Im Jahr 2010 war bei der Sängerin Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, den letzten Auftritt absolvierte sie Ende 2017. Am Mittwoch ist sie in ihrem Haus in Detroit gestorben. „Wir haben den Fels unserer Familie verloren“, teilten die Angehörigen mit. Aretha Franklin wurde 76 Jahre alt.

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