Francis Bacon: Die Schönheit des Schreckens
Wenn Pablo Picasso das Bildgenie des 20. Jahrhunderts war, dann muss ihm in der zweiten Jahrhunderthälfte Francis Bacon zur Seite gestellt werden. Zum 100. Geburtstag des englischen Malers.
Was die Kunst seit allen Zeiten am meisten mit der Realität und dem Leben verbindet, ist ausgerechnet ihr fantastischer Sinn für das Grausige und Grausame. Kriege, Verbrechen, blutige Leidenschaften sind ihr Höchstes und bezeugen zugleich etwas zutiefst Menschliches. Das gilt von der „Ilias“, den antiken Tragödien, den Tempelreliefs der Mayas oder den Märtyrer-Folterbildern, den Kreuzigungen der christlichen Kunstgeschichte – bis hin zu zwei jüngsten filmischen Meisterwerken, Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“ und Michael Hanekes „Das weiße Band“.
Das Böse ist allemal faszinierender als das Brave und Gute, nur der Konflikt ist dramatisch, nicht die reine Harmonie. Die „Ästhetik des Schreckens“, die immer neu fingierte Schönheit des Fürchterlichen freilich unterscheidet die Kunst auch vom Leben: weil die leibhaftige Qual, weil das wirkliche Leidantun vor allem dumpf, brutal und widerlich sind.
Eben dieses Paradoxon der Kunst und des Kunstgenusses (die Lust am Bild des Schreckens) hat wohl kein anderer Artist der Moderne in seinen Werken so unerbittlich und unwiderstehlich verkörpert wie der heute vor 100 Jahren in Dublin geborene und 1992 in Madrid gestorbene englische Maler Francis Bacon. Wenn Pablo Picasso das Bildgenie des 20. Jahrhunderts war, dann muss man ihm in der zweiten Jahrhunderthälfte Francis Bacon zur Seite stellen.
Der Maler des aufgerissenen Fleisches und der zerfetzten Körper, der auch im Bild des Selbstmords bereits die Explosionen der heutigen Selbstmordattentäter vorausgesehen zu haben schien, er ist heute mit seinen Großwerken im Kunsthandel ein 100-Millionen-Dollar-Fall. Und immer hat er auf die ästhetische Form höchsten Wert gelegt, bis zum Äußersten und (vermeintlich nur) Äußerlichen: Seine Szenerien von Blut und Glut sind absichtlich hinter kühles Glas gesetzt, wie sonst nur viel ältere, unersetzliche Meisterwerke, zudem hat er sie in vergoldete Rahmen gehängt. Bacon war sich der hiermit gesteigerten und zugleich kontrollierten Wirkung seines Oeuvres immer bewusst. Er suchte die Schönheit, nicht den Ekel, auch wenn seine bühnenhaften Tableaux oft grausigen Tatorten gleichen. Wobei Täter, Opfer und Zuschauer auch zu Detektiven werden: auf der eigenen Spur.
Schon als Kind erfährt der 1909 geborene Francis, mit seiner (britischen) Familie zwischen Irland und England wechselnd, Weltkrieg und Bürgerkrieg, seine Brüder sterben früh, und der Vater ist ein Pferdetrainer und roher Mann. Mit 18 Jahren geht der Schulabbrecher von London nach Berlin zu einem obskuren Onkel – und erlebt 1927 als frühreifer Streuner jenes Berlin der katzengoldenen, schrillen Roaring Twenties: voller Gewalt und Leidenschaften, Elend und Glitter, Halbwelt und Dekadenz. Es ist das politisch, sexuell, kulturell abgründige „Cabaret“-Berlin, das sein Landsmann Christopher Isherwood beschrieben hat.
Noch im selben Jahr 1927 reist Bacon aber weiter nach Paris und begegnet dort in der Galerie des Kunsthändlers Paul Rosenberg erstmals Bildern von Pablo Picasso. Es sind kubistisch aufgespaltene, vieldeutige Gesichter und Gestalten, die auf die nackte bizarre Form von Knochen, durchbrochenem Gestein oder magischen Strünken reduziert und verdichtet wirken. Für Francis Bacon, den alsbald bekennenden Trinker, Spieler, Homosexuellen und Gelegenheitsarbeiter wird das zum lebensentscheidenden Schock. Wird zur Erweckung seines schier unheimlichen und später als völliger Autodidakt ausgebildeten Talents.
Wissen ist Macht. Francis Bacon, der Philosoph und Shakespeare-Zeitgenosse, hat den berühmten Satz geprägt. Und sein gleichnamiger familiärer Nachfahre hat zumindest von der Macht des Bösen so viel gewusst, dass er davon sein visionäres Zeugnis ablegen sollte.
Um zu überleben, entwirft Bacon zunächst Teppiche und Möbel, er malt nebenher und ab 1933 stellt er in London erste Bilder aus, fast ohne Resonanz. Exzessiv und zugleich extrem kritisch, wie er war, hat Bacon 1943 fast sein gesamtes Frühwerk vernichtet. Nur 15 Bilder sind aus jener Zeit erhalten, und als sein Debüt galt ihm selbst das Triptychon „Drei Studien für Figuren am Fuß einer Kreuzigung“ von 1944.
Drei Öltafeln gleich einem weltlichen Altar, doch ohne fortlaufenden erzählerischen Kontext, sondern in gegenseitiger motivischer Spannung: das wird Bacons Spezialität. Schon die ersten drei „Figuren“ sind, auf blutorangenem Grund, in einem von geometrischen Linien bezeichneten Raum verkrümmte, arm-, bein- und augenlose Menschenwesen mit hündischen Köpfen, beherrscht vom aufgerissenen Gebiss und einem kreatürlichen Schrei.
Solche Bilder machen bald Furore. Gegen den Trend zur allgemeinen Abstraktion hält Bacon am letzten, existentiellen Ausdruck des Figürlichen, des Menschen-Bilds fest. Nach 1945 ist er der Künstler, der – ohne politische Botschaft und stärker selbst als Picasso mit „Guernica“ – ins Bewusstsein rückt, dass selbst Auschwitz menschenmöglich war. Als er schon berühmt ist, nennt er die abstrakte Malerei eine schier formale Kunst, ohne innere Spannung und Dramatik, bestenfalls bediene sie „lyrische Empfindungen“. Inzwischen ist Bacon, dessen mit dem Farbschwamm virtuos verwischten Gesichter und Gesichte weder naiv naturalistische noch dekorativ surrealistische Sehnsüchte stillen, zum Heros fast aller gegenständlichen Kunst geworden, nicht zuletzt auch der Maler um Neo Rauch und der Leipziger Schule.
Am Abend oder Vorabend großer Retrospektiven sind Bacons engste Freunde (und Modelle) an Drogen oder durch Selbstmord gestorben. Das ist ebenso beschrieben worden wie Bacons Verhältnis zu Velázquez, dessen Porträt von Papst Innozenz X. zum Vorbild des vielfach variierten „Schreienden Papstes“ wurde.
Aus Anlass des 100. Geburtstages liegt jetzt auch zur weniger beleuchteten Verbindung von Picasso und Bacon der materialreiche Katalogband des Pariser Musée Picasso auf Deutsch vor. Und der Berliner Parthas Verlag erhellt Bacon in einem kleinen, empfehlenswerten Buch, das neben berühmten Essays etwa von Arnold Gehlen, Gilles Deleuze oder Michel Leiris (den Bacon porträtierte) ein fabelhaftes, hier erstmals übersetztes Interview der Schriftstellerin Marguerite Duras mit dem Maler aus dem Jahr 1971 enthält. Wie sonst nur in seinen früher schon publizierten Gesprächen mit dem Kritiker und Vertrauten David Sylvester beschreibt Bacon darin fast neurologisch präzise das Geheimnis künstlerisch reflektierter Spontaneität.
- Bacon Picasso. Das Leben der Bilder. Hrsg. Anne Baldassari, Musée Picasso. Éditions Flammarion (Vertrieb Prestel Verlag), Paris 2009. 240 Seiten, 49, 90 €.
- Francis Bacon. Ein Malerleben in Texten und Interviews. Hg. von Dino Heicker. Par- thas Verlag, Berlin 2009. 335 Seiten, 24 €.
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