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Louis Begley konnte mit Hilfe vieler Lügen den Holocaust trickreich überleben.
© dpa

80. Geburtstag von Louis Begley: Die Scham, überlebt zu haben

Der Anwalt, der erst mit 56 Schriftsteller wurde: Dem amerikanischen Autor Louis Begley zum 80. Geburtstag. Sein Leitspruch: Wir kommen der Wahrheit nie näher als mit erfundenen Geschichten.

Als Louis Begley einmal gefragt wurde, warum er eigentlich erst im stolzen Alter von 56 Jahren mit dem Schreiben begonnen habe, antwortete er, bis dahin schlichtweg keine Zeit dafür gefunden zu haben. Die Familie und vor allem seine Tätigkeit als Anwalt und Spezialist für internationales Vertragsrecht in einer renommierten New Yorker Kanzlei hätten ihn ausgefüllt, so Begley, der am heutigen Sonntag seinen 80. Geburtstag feiert. Erst eine Auszeit von seinem Beruf ermöglichte ihm das Schreiben seines ersten, 1991 veröffentlichten Romans „Lügen in Zeiten des Krieges“. Darin erzählt der Spätberufene die Geschichte einer behüteten jüdischen Kindheit in Polen und wie der kleine Maciek, seine Tante und sein Großvater nach dem Einmarsch der Nazis 1939 mit falschen Papieren und mithilfe vieler Lügen den Holocaust trickreich überleben.

Tatsächlich kommt der Roman Begleys Lebensgeschichte sehr nahe. 1933 als Sohn eines jüdisch-polnischen Ärzteehepaars im galizischen Stryj (in der heutigen Ukraine) geboren, überlebte er die Verfolgung durch die Nazis und emigrierte mit den Eltern 1947 nach New York. Da hieß er noch Ludwik Begleiter. In den 50er Jahren studierte er zunächst Literatur, später Jura in Harvard.

Viele Details von „Lügen in Zeiten des Krieges“ basierten auf der eigenen Erfahrung, hat Begley nach der Veröffentlichung bekannt, um dann doch zu betonen, dass seine Geschichte vor allem eine erfundene sei: „Die Romanform und die Freiheit zur Erfindung, die sie gewährt, boten mir die psychische Abschirmung, durch die es mir überhaupt erst möglich wurde, Themen in Angriff zu nehmen – die Auslöschung der Juden in Polen ist nur eines davon –, die ich sonst für unzugänglich, wenn nicht sogar verboten gehalten hätte.“

Aus den Lügen als Überlebensmittel wurden die Lügen als Schreibmotor. Dazu kam immer, wie es über den überlebenden Mann von 50 Jahren mit dem „freundlichen Gesicht und den traurigen Augen“ in einem kursiv gesetzten Prolog des Debütromans heißt, „die Scham, am Leben geblieben, mit heiler Haut, ohne Tätowierung davongekommen zu sein“. Die Helden in Louis Begleys folgenden, zumeist in der Sphäre der Anwälte und Ostküsten-Upperclass angesiedelten, von einer unterkühlten, schlicht-eleganten Prosa geprägten Romanen sind Außenseiter, ohne dass man ihnen das zunächst anmerken würde. Sie funktionieren, sie gehorchen den Konventionen. Aber untergründig beherrscht sie stets eine existenzielles Fremdheitsgefühl: den sich oft als „Alibi-Juden“ fühlenden Wall-Street-Investmentbanker Ben in „Der Mann, der zu spät kam“; den pensionierten, unentwegt über das Altern, den Tod und späte Sexfreuden meditierenden Anwalt in Begleys bekanntestem und mit Jack Nicholson erfolgreich verfilmtem Roman „Schmidt“; oder den Harvard-Studenten Henry in „Ehrensachen“, der unentwegt versucht, als „Nichtjude“ durchzugehen, indem er sich von seiner polnischen Herkunft und seinem bescheidenen Brooklyner Elternhaus distanziert.

Wie auch in seinem jüngsten Roman „Erinnerungen an eine Ehe“ macht Begley in seinen Büchern keinen Hehl daraus, dass ihm das von ihm beschriebene und sezierte Milieu nicht nur vertraut ist, sondern er sich darin durchaus gern bewegt, so genussvoll er Speisefolgen, Champagnersorten und Wohnungseinrichtungen aufzuzählen versteht. Trotzdem ist Louis Begley in seinen zehn Romanen immer der Lüge auf der Spur, angetrieben durch ein Diktum von André Gide, das der Romancier John North in Begleys „Schiffbruch“ zitiert: „Wir kommen der Wahrheit nie näher als in erfundenen Geschichten.“

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