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Künstlerkolonie Wilmersdorf: Die rote Zelle vom Laubenheimer Platz

In der Künstlerkolonie Wilmersdorf wohnten seit Ende der zwanziger Jahre viele Bohemiens und Freigeister. Bis die Nazis sie im März 1933 vertrieben. Eine Erinnerung an die Razzia und ihre Folgen.

Im Morgengrauen hämmert Polizei und SA an den Türen. Mit Leitern werden die Balkons gestürmt und die verbarrikadierten Fenster aufgebrochen. Die Männer durchsuchen Wohnungen, beschlagnahmen Bücher und Schriften. Bewohner wie Manès Sperber, Walter Zadek, Theodor Balk und Günter Ruschin werden misshandelt und verhaftet.

Es ist der 15. März 1933. Im „Neuköllner Tageblatt“ steht am Tag darauf: „Die Kommandos fuhren auf verschiedenen Wegen nach dem Breitenbach- und Laubenheimer Platz und besetzten von dort aus überraschend die Zugänge zu den verschiedenen Straßen und zu den Häusern in der Kreuznacher, Laubenheimer und Bonner Straße. Polizeiposten mit Karabinern sperrten den gesamten Verkehr und riegelten das Viertel hermetisch ab.“

In den düsteren Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem Brand des Reichstages zeigte sich der Terror des neuen Regimes gegenüber seinen Gegnern auch mit Bücher- und Fahnenverbrennungen am Laubenheimer Platz.

Das Ensemble am Breitenbachplatz gegenüber von Max Tauts Bau des Reichsknappschaftshauses gehört nicht zu den Unesco-prämierten Berliner Wohnanlagen – verhaltene Anleihen bei der Moderne, ansonsten biedere Architektur mit Klinkerverzierungen an den Eingängen, eine Platzanlage mit Grün und Sandkasten. Auf der Seite zur Kreuznacher Straße bröckelt der Putz, kleine Aussprengsel lassen vermuten, dass es sich noch um Einschussspuren aus den Tagen des Endkampfes um Berlin im Zweiten Weltkrieg handelt. Spricht man mit dem Musiker und Schauspieler Holger Münzer über diese unscheinbare Wohnanlage an der Grenze der Berliner Bezirke Steglitz, Schöneberg und Wilmersdorf, gewinnt diese plötzlich einen einzigartigen Glanz. „Das ist eine ganze Kulturgeschichte mit Hunderten von Namen und Zusammenhängen“, sagt Münzer, der sich seit Jahren mit der Kolonie beschäftigt. Er ist Ehrenvorsitzender des Vereins Künstlerkolonie e. V. und hat für dessen reichhaltige Website viele der früheren Bewohner interviewt und deren Geschichten zutage befördert. In den ersten Wochen der Hitler-Diktatur spielte die Wohnanlage eine besondere Rolle.

Mieter waren zahlreiche arbeitslose oder schlecht bezahlte Künstler, die erfreut das Angebot annahmen, eigenen Wohnraum zu erhalten. Der Präsident der Bühnengenossenschaft, Gustav Rickelt, hatte 1927 den Grundstein am Rande des bürgerlichen Friedenau gelegt, wo nach Plänen der Architekten Ernst und Günther Paulus bis 1931 in drei Etappen etwa 600 Sozialwohnungen errichtet wurden.

Trotz der illustren Bewohner ging es wenig glamourös in den neuen Wohnungen zu. Der aus dem Saargebiet stammende Schriftsteller Gustav Regler wohnte seit 1929 mit seiner Frau Marieluise – Tochter des utopisch-kommunistischen Malers Heinrich Vogeler aus der Worpsweder Künstlerkolonie – in der Bonner Str. 8 und erinnerte sich später in seinen Memoiren „Das Ohr des Malchus“: „Es waren billige Wohnungen, und doch bezahlte kaum einer seine Miete; weder die Gehälter noch die sogenannten Einkünfte der freien Berufe reichten aus. In den meisten Behausungen lag nur eine Matratze am Boden. Die Künstler aßen von Seifenkisten, über die sie Zeitungen gebreitet hatten; keiner verhungerte, man half sich gegenseitig.“ Gegen die häufiger wegen Mietrückstand stattfindenden Räumungen solidarisierten sich die Bewohner meist erfolgreich. Regler traf in der Zeit der aufkommenden NS-Herrschaft in der Künstlerkolonie auf Nazigegner, die sich nicht mit den Übergriffen der SA abfinden wollten.

Den linken und jüdischen Bewohnern standen Exil oder Schlimmeres bevor

Luftaufnahme der Künstlerkolonie Wilmersdorf zwischen Suedwestkorso und Kreuznacher Straße, um 1928.
Luftaufnahme der Künstlerkolonie Wilmersdorf zwischen Suedwestkorso und Kreuznacher Straße, um 1928.
© picture-alliance / akg-images

Die von Regler und seinem Kollegen Alfred Kantorowicz organisierte „Künstlerzelle“ trug diesem Teil der Künstlerkolonie den Namen „Roter Block“ ein. Ihr gehörten auch die Brecht-Schauspielerin Steffie Spira und ihr Mann Günter Ruschin an sowie der spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher, der Sänger und Schauspieler Ernst Busch, die Autoren Arthur Koestler und Manès Sperber und der Psychologe Wilhelm Reich.

Kantorowicz’ frühere Freundin Karola Piotrkowska war mit dem Philosophen Ernst Bloch („Geist der Utopie“) verheiratet und wohnte mit ihm im selben Haus wie der Lyriker Peter Huchel. „Ich fühlte mich hier sofort wohl, denn rings um den Laubenheimer Platz mit seinen kleinen, frisch gepflanzten Birken hausten Gleichgesinnte.“ So erinnerte sich der Journalist Axel Eggebrecht, bis in die achtziger Jahre ein wichtige kritische Stimme in der Bundesrepublik: Es „zeigte sich ein Gemeinschaftsgeist, der in naher Zukunft eine wichtige Rolle spielen sollte“.

Kantorowicz schrieb später: „An Wahltagen prangten die drei Blocks trotzig im Schmuck Hunderter von schwarzrot-goldenen und roten Fahnen und Transparenten. Von weit her, aus Wedding, aus dem Osten Berlins pilgerten Arbeiter zu uns, um sich dies einzigartige, ermutigende Schauspiel einer völlig nazifreien Kolonie im Westen zu betrachten.“ Eine Insel der Demokratie im brauner werdenden Berlin. Der Überfall vom 15. März 1933 brachte den entscheidenden Einschnitt, den meisten der politischen und jüdischen Bewohner stand nun das Exil oder Schlimmeres bevor. Der Schriftsteller Walter Hasenclever beging 1940 auf der Flucht in Südfrankreich Selbstmord. Kantorowicz und Regler wurden im Spanischen Bürgerkrieg verletzt, gingen dann nach Übersee und lösten sich vom Kommunismus.

Dennoch wurde in der Künstlerkolonie weiterhin Widerstand geleistet. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges etwa vom sogenannten „roten Grafen“ Alexander Stenbock-Fermor und Beppo Römer in der Gruppe „Revolutionäre Arbeiter und Soldaten“, aber auch von der unscheinbar wirkenden Sekretärin Helene Jacobs, die Kontakte zur Bekennenden Kirche hielt und untergetauchte Juden versteckte. Sie saß mehrere Jahre im Zuchthaus. Nicht weit entfernt in der Wilhelmshöher Straße wohnte Adam Kuckhoff, der wegen der Teilnahme am Unternehmen „Rote Kapelle“ hingerichtet wurde.

Heute erinnern viele Tafeln an Einzelne der Bewohnerinnen und Bewohner, längst nicht alle können gewürdigt werden. Bis heute blieb die Anlage ein Ort für Künstler und ein außerordentlicher Erinnerungsort.

Markus Bauer

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