Madonna beim ESC 2019: Die Queen of Pop hat ihres Amtes gewaltet
Bestraft dafür, 60 geworden zu sein? Was von der vernichtenden Kritik an Madonnas Auftritt beim ESC zu halten ist. Eine Verteidigung.
Man könnte das mit Madonnas Auftritt beim ESC auch so sehen: Die einstige Queen of Pop hat ihres Amtes gewaltet und dem wie gehabt alles andere als grandiosen europäischen Schlager-Pop- und Gesangswettbewerb die Show gestohlen. Alle reden über Madonna, keiner über Duncan Laurence. Alle schimpfen über Madonna und beklagen den Tiefpunkt ihrer Karriere, ihre miese Performance, ihre dürftige Gesangsvorstellung, kaum jemand feiert den jungen Niederländer oder den ESC.
So gehört sich das, das verdeutlicht die Proportionen: hier Pop, dort Pop-Trash. Am erstaunlichsten ist jedoch tatsächlich, was für Emotionen Madonna mit ihrem wahrlich nicht so großartigen ESC-Gastauftritt nach wie vor zu provozieren in der Lage ist, wieviel Häme und Spott, wie das seit einem Jahrzehnt währende Madonna-Bashing noch immer Konjunktur hat. Ja, was für mutmaßlich höchste Erwartungen da aufs Neue enttäuscht worden sind!
Fast scheint es, als würde Madonna recht behalten damit, dass sie dafür „bestraft“ werde, „60 geworden zu sein“, wie sie es unlängst in der italienischen „Vogue“ kundtat. Dafür, dass sie sich 2016, als sie zur „Billboard’s Woman of the Year” gekürt wurde, in ihrer Dankesrede als „Fußbabtreterin“ bezeichnete und ironisch dafür bedankte, ihre Karriere „trotz des Sexismus, der Misogynie und des ständigen Mobbings im Musikbusiness“ fortsetzen zu können.
Madame X will nichts Böses hören
Früher, zu ihrer Glanzzeit, war Madonna die Popmusikerin, deren ständige Rollenwechsel, deren selbstbestimmter Umgang mit dem eigenen Körper, deren Interesse für angesagte Sounds sie gleichzeitig zur Popfeministin prädestinierte, ohne dass sie selbst das betonte. Das ist inzwischen anders. Madonna geriert sich als Feministin, artikuliert sich als solche, was sie früher nicht tat, und das kommt hie und da nicht so gut an. Es wäre sicher cooler und besser gewesen, hätte Madonna geschwiegen nach den vielen negativen Reaktionen auf ihren Auftritt.
Sie aber zog es auf Instagram vor, einen Aristoteles-Satz zu zitieren - „Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden. Nichts tun, nichts sagen, nichts sein.“ – und sich im Hinblick auf die Veröffentlichung ihres neuen Albums „Madame X“ Mitte Juni ein Bild von sich zu posten, auf dem sie sich die Ohren zuhält und sagt: „Madame X hört nichts Böses“.
Natürlich muss man kein übertriebenes Mitleid mit ihr haben, gibt es eine gewisse, für Kritik kaum noch zugängliche Abgehobenheit in ihrem vermeintlichen Pop-Olymp – aber Madonna vorzuhalten, sie könne nicht singen, was sie ja noch nie so gut konnte? Sie benutze Autotune? (Wie beispielsweise die meisten Rap-Größen, wie ein The Weeknd, ein Drake, ein Kanye West und wie sie alle heißen?) Sie schmücke sich mit jungen Größen, die als Gaststars bei ihr auftreten und ihre Alben produzieren? Was sie ja seit eh und je tut und als alleiniges popmusikalisches Konzept wirklich nicht mehr viel hermacht.
Das dürfte Madonna bald merken – und dann erkennt sie womöglich, dass sie nicht immer vorn, Avantgarde und Weltenretterin sein muss, dass es noch so einige Rollen gibt, die sie als Musikerin spielen kann. Jung genug dafür ist sie.