Film „Der Sommer mit Mamã“: Die Perle von São Paulo
In „Der Sommer mit Mamã“ gerät die Ordnung zwischen Dienstherren und Personal einer reichen brasilianischen Familie in São Paulo durcheinander - und zeigt zudem, wie kompliziert Mutter-Tochter-Verhältnisse sein können.
Berufstätige Mütter, die ihre Kinder weggeben, um ungestört ihrer Arbeit nachgehen zu können: Das ist das Grundmotiv dieser sozialkritischen Komödie aus Brasilien. Aus Karrieregründen hat die Fernsehmoderatorin Barbara ihren – heute 17-jährigen – Sohn Fabinho der Hausangestellten Val überlassen, als er noch ein Kleinkind war. Val wiederum zog, nachdem ihr der Mann abhandengekommen war, aus der Provinz in die Großstadt, um für sich und ihre Tochter Jessica den Lebensunterhalt zu verdienen. Jessica, auch sie inzwischen 17, wuchs bei einer Tante auf.
Die ersten Szenen dieses wunderbar heiteren Films erzählen vom Zusammenleben in dem wohlhabenden Haushalt in São Paulo, der aus Carlos, einem zurückhaltenden reichen Erben und Künstler, seiner Frau Barbara, Fabinho, Val und noch zwei, drei weiteren sporadisch auftauchenden Hilfen besteht. Mit viel Dialogwitz und Liebe zum Detail inszeniert die Regisseurin und Drehbuchautorin Anna Muylaert die Spannung, die aus dem schlechten Gewissen der gebildeten oberen Mittelschicht gegenüber dem Personal herrührt. Man weiß durchaus, dass die Angestellten die Arbeit machen, die keiner tun will – und zugleich nimmt die Familie die Existenz der Haushälterin selbstverständlich hin, allerdings ohne den herabwürdigenden Gestus, der hundert Jahre früher üblich war. Stattdessen gefallen sich die Dienstherren in Anfällen von übertriebener Freundlichkeit und Großzügigkeit. „Sie bieten es uns nur an, weil sie wissen, dass wir nein sagen“, ist einer der Schlüsselgedanken, die Val ihrer aufmüpfigen Tochter eintrichtert, als die eines Tages bei ihr auftaucht.
Jessica bricht Tabus
Die Kamera hält die Sommerstimmung in São Paulo in quirligen Straßenszenen und beeindruckenden Architekturaufnahmen fest. Wenn sie das Anwesen der Familie verlässt, eröffnet sich ein vielfältiges Stadtpanorama – und man begreift, dass nur ein System der Abschottung den Reichen erlaubt, die Armen zu ignorieren und eben jene Ordnung aufrechtzuerhalten, von der sie am meisten profitieren. So jedenfalls muss Jessica das sehen, als sie aus dem Norden nach São Paulo kommt, weil sie dort studieren will.
Schon gerät die Hausgemeinschaft aus dem Gleichgewicht. Die muntere junge Frau ist nicht bereit, sich dem bisher unstrittigen Reglement zu unterwerfen, in dem es vor allem um die Rechte und Pflichten des Personals geht. Sie selber rechnet sich gar nicht erst dazu. Offen beansprucht sie das Gästezimmer, statt auf einer Matratze in Vals Kammer zu übernachten. Und zum Entsetzen nicht nur ihrer Mutter badet Jessica sogar im Pool – und bricht damit ein weiteres Tabu.
Schwierigkeiten einer Mutter-Tochter-Beziehung
Auch das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist schwierig. Wenn Val Fabinho tröstet, weil er Liebeskummer hat und ihn zärtlich in den Schlaf krault, zeigt sich Jessica ihr gegenüber sehr kühl. Wie aber Val ihrem Unmut Luft macht, wie sie grummelnd ihren Pflichten nachkommt, wie sie die ihr fremd gewordene Tochter hinter deren Rücken nachäfft, wie sie hin- und hergerissen ist zwischen Stolz auf die selbstbewusste Jessica und Scham über deren Ansprüche und Attitüden – das veranschaulicht Regina Casé in einer großartigen Performance. In Brasilien ist sie seit den 1970er Jahren als Theater-, Film- und Fernsehseriendarstellerin präsent und beherrscht souverän alle Varianten des Komischen – von subtiler Ironie bis zum groben Slapstick. „Der Sommer mit Mamã“ ist vollkommen auf Casé zugeschnitten, trotzdem kann man nicht genug von ihr kriegen. So erging es auch dem Publikum der jüngsten Berlinale, das den Film um die resolute, warmherzige, konservative und unglaublich witzige Sechzigerin Val zum Lieblingsfilm in der Sektion Panorama wählte.
In neun Berliner Kinos; OmU: fsk, Cinema Paris, International, Rollberg
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