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Hier ist der Chef selber Fan. Karsten Rodemann vom Kreuzberger Videodrom sagt: „Kompetenz wird länger überleben.“
© Mike Wolff

Videotheken: Die Nische ist das Geheimnis

Überall in Deutschland sterben die Videotheken. Seit 2000 verloren sie die Hälfte ihrer Kunden. Nur in Berlin trotzen die Verleiher der Krise. Ein Rundgang.

Von Jan Oberlaender

Es ist eine Frage der Faulheit. Wer nach einem anstrengenden Arbeitstag von dem Drang befallen wird, genau jetzt – beispielsweise – den Actionfilmklassiker „Rambo“ sehen zu wollen, hat zwei Möglichkeiten. Entweder er findet eine rechtlich zweifelhafte Streaming-Seite im Internet und vertraut seiner Breitbandverbindung. Aufwand: ein paar Mausklicks. Oder er geht in die Videothek. Aufwand: Schuhe anziehen, ein paar Straßen Fußweg, ein paar Euro Ausleihgebühr. Und dann muss das Entliehene ja auch noch zurückgebracht werden. Anstrengend.

So scheinen jedenfalls immer mehr Filmfreunde zu denken – und bringen damit die Videothekenbranche in Bedrängnis. „Solange es das, was wir für Geld verleihen, umsonst im Internet gibt, wird es immer schwerer“, sagt Hans-Peter Lackhoff, Vorstandsvorsitzender des Interessenverbands des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) und damit so etwas wie der Obervideothekar des Landes. „Wir leben von den wenigen Ehrlichen“, sagt Lackhoff.

Berliner Videothekare stimmen ihm zu. „Irgendwann wird Schluss sein“, sagt etwa Thomas Hartmann, Inhaber des 1990 gegründeten Filmarchivs Negativeland in Prenzlauer Berg. Und auch Karsten Rodemann, Chef der seit 1984 bestehenden Kreuzberger Kultvideothek Videodrom, sagt: „Videotheken sind auf längere Sicht vom Aussterben bedroht.“

Das zeigt auch die Statistik: Die Zahl der Videothekennutzer hat sich innerhalb von zehn Jahren fast halbiert. Im Jahr 2000 hatten die deutschen Videotheken laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK)14,5 Millionen Kunden – 2009 waren es nur noch 7,8 Millionen. Zudem werden DVD-Leiher immer älter. Ihr Durchschnittsalter ist laut GFK in den vergangenen fünf Jahren von 31 auf fast 34 Jahre gestiegen. Der Nachwuchs bleibt weg – die Jugend, so die Annahme, guckt lieber im Netz.

Die Folge? Videothekensterben. Von den 3009 Leihstätten, die es 2009 bundesweit gab, waren im vergangenen Jahr noch 2795 übrig, ein Rückgang von rund acht Prozent. Dabei machten hauptsächlich Automatenvideotheken dicht. Ihre Zahl sank von 412 auf 339, also um fast ein Fünftel.

Interessanterweise ist dieser Rückgang ausgerechnet in Berlin kaum wahrnehmbar. 2008 gab es hier 143 Videotheken, 2009 waren es 142, und im vergangenen Jahr zählte der Verband 140 herkömmliche und Automaten-Videotheken. Der Betreiber Jörg Höland erklärt sich das mit dem umkämpften Markt: „Es herrscht größerer Entwicklungszwang.“

Wie man eine Videothek entwickelt, um Kunden anzuziehen, zeigt Höland in seinem Video Town am Mariendorfer Damm: 15 000 DVDs auf 1000 Quadratmetern, laut IVD eine der umsatzstärksten Filialen Deutschlands. Hölands Erfolgsrezept: „Es muss Spaß machen, in den Laden zu kommen.“ Familienfreundlich müsse der sein – bei Video Town bekommen Kinder schon ab zehn Jahren eine Karte, mit der sie altersgemäße Filme leihen können. Außerdem wichtig: „Die Videothek muss zum Megastore werden.“ Neben Leihfilmen auf DVD und Blu-Ray gehörten auch Computerspiele und Kauf-DVDs ins Angebot, dazu Popcorn, Eis, Bier, Zigaretten – die Samstagabend-Komplettversorgung eben, inzwischen ist dies ohnehin Standard.

Auch Höland sieht die Bedrohung durch das Internet. Aber er glaubt weiter an das Konzept Videothek. Schließlich wollten viele Leute eine DVD gar nicht besitzen, sagt er, sondern sie nur ein Mal anschauen – „und gegenüber dem Kauf ist das Leihen günstig.“ Welche Filme er am häufigsten verleiht? „Die Top-Neuheiten, die absoluten Kracher aus dem Kino.“ Was kaum mehr läuft, sind Pornos, sagt Höland. „Die könnten wir auch reduzieren.“ Zumindest hier scheint das Internet gesiegt zu haben.

Aber es gibt andere Hoffnungsschimmer. Und andere Überlebensstrategien. Karsten Rodemann ist mit seinem Videodrom kürzlich von der Mittenwalder in die Friesenstraße umgezogen, die neuen Räume sind hell und familienfreundlich: Früher durften nur Volljährige den Laden betreten. Rodemann setzt vor allem auf das Filmwissen und den guten Geschmack seiner Mitarbeiter. „Kompetenz wird länger überleben“, sagt er. Wer keine Ahnung habe und nur Neuheiten anbiete, werde irgendwann verdrängt.

Auch Thomas Kaufmann von Negativeland setzt auf Beratung: „Wenn du ein paar Mal richtig gelegen hat, folgen dir die Leute auch mal in Experimente.“ Liebhaberläden wie Negativeland, das Videodrom oder auch andere wie die Filmgalerie 451 in Mitte, Filmkunst in Friedrichshain oder Video Collection in Prenzlauer Berg sind exzellent sortiert und versuchen, durch Themenreihen, Regisseurs- und Schauspielerspecials den Filmappetit ihrer Kunden anzuregen.

Klar, sagt Rodemann, man könne sich viele Filme online besorgen. „Aber wir haben vieles, was man dort nicht oder nicht so leicht bekommt.“ 25 000 Filme hat er auf DVD vorrätig, dazu kommen 15 000 auf Video. Die zu haben, sei immer noch wichtig, sagt Rodemann, „weil manche Filme es nicht auf DVD schaffen“. So kann er auch Liebhaber kleinerer Produktionen glücklich machen. Und wer keinen Videospieler hat, kann ihn gleich mit ausleihen. Die Nische ist das Geheimnis: Hier liegt der Unterschied zu den Megastores und den großen Ketten. Er habe jedenfalls vor, sagt Rodemann, seinen Job „bis zum Rentenalter“ zu machen.

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