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Comicgeschichte in XXL: Das Cover des Buches.
© Taschen

Comic-Geschichte: Die Mythenmaschine

Ein Buch wie ein Comic-Museum: Der opulente Bildband „75 Years of DC Comics“ erzählt die wechselhafte Geschichte des Verlags und seiner Figuren – Superman, Batman und Co.

Superheldencomics, das stellte Umberto Eco einst in seinem Essay Der Mythos von Superman fest, sind ein paradoxes Phänomen. Einerseits ähneln ihre Hauptfiguren antiken Sagenhelden oder den Leitfiguren der Offenbarungsreligionen. Andererseits ist ihre Erzählstruktur darauf angewiesen, nicht stets die ewig gleichen Geschichten, sondern immer neue, unvorhersehbare Abenteuer zu schildern. Wer als Autor oder Zeichner die Superheldengeschichten weiterspinnt, ist daher mit einem erzählerischen Problem konfrontiert, das Eco als „Paradoxie der Dauer in der Welt der Vergänglichkeit“ beschreibt.

Wie einige der wichtigsten Comicschöpfer der vergangenen Jahrzehnte diese Herausforderung gemeistert haben, das illustriert opulent und umfassend das Buch „75 Years of DC Comics“, das schon durch seine Dimension die Gewichtigkeit des Themas deutlich macht: 720 Seiten stark, Din-A3-groß, 7,5 Kilogramm schwer, 150 Euro teuer.

Der Inhalt steht dem Umfang kaum nach: So viele großformatige Reproduktionen von Titelbildern, Innenseiten und Fotos aus der Geschichte eines der größten Comicverlage der westlichen Welt hat es kaum je in einer Veröffentlichung gegeben: Ein Buch wie ein Museum, in dem man sich stunden-, ja tagelang umschauen und immer noch Neues entdecken kann.

Problematische Kapitel werden nur am Rande gestreift

Dazu kommt ein fundierter Text des langjährigen DC-Comic-Autors und Managers Paul Levitz, der der deutschen Ausgabe als Taschenbuch beiliegt. Der ist sachkundig, voller Details über das Innenleben der verlegerischen Heimat von Superman, Batman, Wonder Woman und Co. – aber er liest sich streckenweise ein wenig zu sehr wie die offizielle Unternehmenschronik, bei der eigene Erfolge in den Vordergrund gestellt werden, problematische Kapitel wie jahrzehntelange Urheberrechtsstreitigkeiten mit Autoren oder weitreichende Zugeständnisse an die US-Zensurbehörden ab den 1950ern hingegen nur am Rande gestreift werden.

Opulent. Eine Doppelseite aus dem Buch.
Opulent. Eine Doppelseite aus dem Buch.
© Taschen

Dennoch hat Levitz viele auch für Außenstehende faszinierende Episoden zusammengetragen, die sich zu einem unterhaltsamen Ausflug in eines der wichtigsten Genres der amerikanischen Popkultur zusammenfügen. Ausführlich schildert er, wie ehrgeizige Verleger, talentierte Zeichner und findige Autoren immer wieder neue Formen fanden, die Figuren des DC-Universums für nachwachsende Generationen attraktiv zu halten – im Comic, durch Radioshows, Fernsehserien, Kinofilme und zuletzt mittels Internet und durch Apps für mobile Computer.

Wie lebendig die Tradition gepflegt wird, zeigt Superman – Earth One

Was die Faszination der auf mehr als eine Million Comicseiten fortgesponnenen DC-Geschichten ausmacht, dafür vermittelt Levitz’ Buch ein Gefühl – eine analytische Erklärung für den ungebrochenen Erfolg des Superheldencomics liefert er aber nicht. Das tun andere Bücher besser, so der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay“ von Michael Chabon, die packende Recherche „Men of Tomorrow“ von Gerard Jones über die Männer, die das Genre mit Leben füllten und denen dafür oft kaum gedankt wurde, oder das Science-Fiction-Jahrbuch von Heyne mit dem Schwerpunkt „Quo Vadis, Superhelden?“, das sich in 16 fundierten Essays dem Thema widmet.

Ein Leben für die Superhelden: Comic- und Enzyklopädie-Autor Paul Levitz.
Ein Leben für die Superhelden: Comic- und Enzyklopädie-Autor Paul Levitz.
© Kareem Black Courtesy TASCHEN

Wie lebendig das Genre im Fortschreiben der Tradition ist, zeigt aktuell die Neubelebung der Superman-Figur durch J. Michael Straczynski, dessen Erzählung „Superman – Earth One“ vor wenigen Tagen in den USA erschienen ist: Darin wird der altbekannte Mythos der erfolgreichsten DC-Figur mit neuen Motiven kombiniert. Unter Fans provozierte das ambivalente Reaktionen – die Paradoxie von Dauer und Vergänglichkeit lässt sich eben nicht ohne Reibungen am Leben erhalten.

Paul Levitz: „75 Years of DC Comics: The Art of Modern Mythmaking“, Taschen-Verlag, Hardcover, 29 x 39,5 cm, 720 Seiten, mehr als 2000 Abbildungen,
150 Euro, deutscher Text als Begleitbuch. Leseprobe unter diesem Link.

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