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Demonstranten an der Kundgebung unter dem Motto Cottbus bekennt Farbe für Frieden in der Stadt.
© imago/Rainer Weisflog

Kultur gegen Rechts: Die Mutmacher von Cottbus

Konflikte zwischen Rechten und Geflüchteten haben Cottbus beschädigt. Die Kulturszene der Stadt hält dagegen und setzt sich für Weltoffenheit ein. Ein Besuch.

Ihre Hände sehen aus wie Schaufeln. Die Köpfe dagegen sind zu winzigen, gesichtslosen Kugeln geschrumpft. Aber die brauchen sie ja auch nicht. Denn diese Männer und Frauen sollen nicht mitdenken, sondern nur mit ihren grotesk angeschwollenen Riesenpranken applaudieren. Ideologische Reden beklatschen und an den richtigen Stellen, die Faust gen Himmel recken. Wer Hans Tichas Bilder im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst betrachtet, kann gar nicht anders, als an die fremdenfeindlichen Demonstrationen des Vereins „Zukunft Heimat“ zu denken, die regelmäßig in Cottbus stattfinden. Doch die Werke sind keine Reaktion auf die aktuellen Ereignisse in der Lausitz. Sie stammen aus den siebziger und achtziger Jahren, zeigen DDR-Funktionäre bei SED-Parteiveranstaltungen.

Der 1943 geborene Ticha, der sein Atelier in Prenzlauer Berg hatte, war schon vor der Wende im Westen bekannt durch seine Buchillustrationen. In einer Formsprache, die an Pop-Art erinnert, stilisiert er Menschen und ihre Tätigkeiten bis an die Grenze zum Piktogramm. Was gleichzeitig von hohem ästhetischen Reiz ist wie auch von sozialsatirischer Schärfe. Wenn Museumsdirektorin Ulrike Kremeier gerade jetzt Hans Ticha präsentiert, zeigt sie damit an, dass ihre Institution nicht abseits der tagesaktuellen Diskussionen stehen will.

Vor zwei Wochen erst hat sich das Museum mit einer Kunstaktion an der jüngsten Demo gegen Rechts beteiligt: 200 Plakate wurden hergestellt, auf denen sich Schriftbalken über menschliche Gesichter legen. Widersprüchliche Angaben zur Person sind darauf zu lesen wie „Neger-Bulle-Mahmoud-Schmidt“ oder „Berlin-Agnieszka-beschnitten-Cairo“. Identität, so die Botschaft des Berliner Urban-Art-Duo Various & Gould, nie im Singular zu haben ist, sondern nur im Plural.

Wie eine bunte Gesellschaft funktionieren kann, zeigt das Staatstheater Cottbus

Der Strudel der Negativschlagzeilen um messerstechende Syrer und Aufmärsche der Heimatschutzfront, in den Cottbus geraten ist, nachdem CDU-Oberbürgermeister Holger Kelch seinen dramatischen Hilferuf an die Landesregierung in Potsdam abgesetzt hatte, ist besonders bitter für die Kulturszene. Weil diese sich beherzt für Cottbus als weltoffene Stadt einsetzt.

Tatsächlich ist viel Positives passiert. Zum Beispiel durch den Umbau des alten Dieselkraftwerks zum Kunstmuseum. Der 1928 auf der Mühleninsel an der Spree errichtete Bau ist ein Architekturjuwel des norddeutschen Backsteinexpressionismus. Dass in diesem Industriedenkmal seit Mai 2008 das Museum residiert, ist zum großen Teil bürgerschaftlichem Engagement zu verdanken. Seit Ende der neunziger Jahre propagierte der Verein der Museumsfreunde und -förderer die Idee, hier einen neuen Standort für die 1977 begründeten Kunstsammlung zu schaffen. Als EU-Investitionsmitteln in Höhe von 8,1 Millionen Euro flossen, wurde der Traum Wirklichkeit.

Die seit 2012 amtierende Direktorin Ulrike Kremeier macht hier ein Programm, das ganz auf Kunst aus der DDR fokussiert ist. Weil in der Ankaufspolitik des Hauses von Anbeginn Plakatkunst und Fotografie gleichwertig mit Malerei und Skulptur behandelt wurden, kann sie vielfältigste Projekte aus den eigenen Beständen entwickeln. Neben Hans Ticha steht gerade eine weitere Protagonistin der DDR-Subkultur im Fokus: Die 1953 geborene Gabriele Stötzer hatte 1976 den Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung in Erfurt organisiert und war dafür von der Universität geflogen und zu einer Haftstrafe im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck verurteilt worden. Als Schriftstellerin ist Stötzer bekannt, Ulrike Kremeier will jetzt auch den Blick auf „eine der am stärksten unterbewerteten Künstlerinnen der Nachkriegszeit“ lenken. Auf eine Feministin, die sich intensiv mit den gesellschaftlichen Funktionalisierungen der Frau und des weiblichen Körpers auseinandergesetzt hat.

Wie eine bunte Gesellschaft funktionieren kann, zeigt das Staatstheater Cottbus, dessen 342 Mitarbeiter aus 21 verschieden Nationen stammen. Mit dem lange in der Berliner Off-Szene verwurzelten Multikünstler Jo Fabian hat die Schauspielsparte des Hauses seit diesem Jahr einen Leiter, der bewusst den Kontakt zur Stadtgesellschaft sucht, sich einbringen und einmischen will. Im Foyer der Kammerbühne wird ein Leseclub für Geflüchtete veranstaltet, das Orchester des Staatstheaters hat vor einem Jahr eine Reihe mit dem Namen „Brandenburgische Doppelkonzerte“ gestartet, bei der sich jeweils westlich geprägte Musik und orientalischen Traditionen begegnen.

Auch Intendant Martin Schüler, der 1992 als Operndirektor ans Haus kam und die Institution seit 2003 leitet, ist ein Anhänger der „Kultur für alle“. Und ein Meister der inzwischen fast ausgestorbenen Schule des realistischen Musiktheaters. Mit der letzten verbliebenen Operntruppe im Land Brandenburg bringt er Mozart, Verdi, Wagner und Co. so auf die Bühne, dass sowohl seine Stammgäste als auch Schulklassen Spaß daran haben. Sein jüngster Streich ist ein „Don Giovanni“, den er mit seinem eingeschworenen Ensemble zu einem lebensprallen Volkstheaterspektakel gemacht hat.

Viele Lausitzer haben Zukunftsangst

Der größte Trumpf des Staatstheaters Cottbus aber ist das Haus selbst, 1908 erbaut von Bernhard Sehring, dem auch das Berliner Theater des Westens zu verdanken ist. Ein von Panthern gezogener Streitwagen thront auf dem Dach, Marmor gibt dem Eingangsbereich Würde, golden gegürtete Säulen flankieren die Treppen zum Rang, wo das Foyer als Mini-Pantheon gestaltet ist, dessen Kassettendecke Sehring nach der damals allerneuesten Mode mit nackten Glühbirnen zum Sternenzelt veredelte.

Im 620-Plätze-Saal begegnen dem Besucher weitere Panther-Gespanne, in den Nischen des ersten Ranges beschwören mannshohe Majolika-Vasen die goldenen Zeiten der italienischen Renaissance, kokette, barbusige Relief-Fräuleins an den Balustraden legen ihre Arme lässig über Stuckkästchen, in denen weitere Glühlampen brennen. Das Rot der Samtsitze korrespondiert mit der Grundfarbe des prächtigen Jugendstil-Vorhangs. Und mehr: Die Technische Universität ziert seit 2005 ein avantgardistisches, im Innern fantastisch funktionales Bibliotheksgebäude der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron; und vor den Toren der Stadt gibt es Fürst Pücklers romantisch-idealistische Branitzer Parklandschaft.

Identität gibt es nur im Plural: Plakat des Künstler-Duos Various & Gold
Identität gibt es nur im Plural: Plakat des Künstler-Duos Various & Gold
© Landesmuseum/Kroos

Die Stimmung aber ist gedrückt. Weil die Perspektive fehlt, weil keiner weiß, wie es 2030 weitergehen soll, wenn der Braunkohleabbau, von dem die halbe Stadt abhängt, endgültig ausläuft. Die aktuelle Debatte um gewaltbereite Syrer ist daher nur eine Stellvertreterdiskussion, ein Randaspekt der generelle Zukunftsangst vieler Lausitzer.

Dabei hat die Stadt das Potenzial, zum erweiterten Berliner Speckgürtel zu werden, findet Martin Roeder, der Vorstandsvorsitzende der „Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus und Frankfurt/Oder“; attraktiv für Start-Ups und Kreative, die sich die Hauptstadtpreise nicht mehr leisten können. Es gibt billigen Wohnraum, dazu viele Industriebauten, die sich in Büroraum umwandeln lassen. Wenn nur die Anbindung mit der Bahn besser, die Strecke nach Berlin zweigleisig ausgebaut würde. Das hat Roeder auch Bundespräsident Steinmeier erzählt, als er jüngst mit weiteren offiziellen Vertreter aus Cottbus im Schloss Bellevue eingeladen war.

Cottbus, das merkt man vor Ort bei vielen Gesprächen, will kein Teil von Dunkeldeutschland sein. Vielleicht sollten sie am Staatstheater das Konzept der „Zonenrandermutigung“ wieder hervorholen, die der frühere Intendant Christoph Schroth in den neunziger Jahren erfunden hat. Dabei wurde das ganze Haus bespielt, ein Wochenende lang mit allen nur erdenklichen theatralen Ausdrucksformen. Feste der Vielfalt waren das, die Publikum wie Besuchern Mut gemacht haben, sich selbst mehr zuzutrauen.

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