Berliner Museumsstreit: Die Musen und die Mitmischer
Neues Kapitel im Berliner Museumskampf: Wie sollen die Schätze in Zukunft präsentiert werden? Gehören Malerei und Skulptur zusammen? Eine erstklassig besetzte internationale Tagung im Bode-Museum hat jetzt Museumsleute und Kritiker erstmals zusammengeführt.
Als Paragone wird in der Kunstgeschichte der „Wettstreit der Künste“ in der Renaissance und im Frühbarock bezeichnet, in dem es um die Vorrangstellung innerhalb der bildenden Künste ging. Wer ist überlegen, die Malerei oder die Skulptur? Aus heutiger Sicht scheint das bizarr. Warum sollten sich die Künste gegenseitig ausstechen? Beiden geht es um die Darstellung einer anderen Wirklichkeit, nur in verschiedenen Medien. Seit vergangenem Sommer tobt in und über Berlin ein vergleichbarer Streit, nun jedoch unter den Sachwaltern, den Museumsleuten und Kunstliebhabern. Wieder geht es um die Form, diesmal um die bestmögliche Präsentation. Der geplante Umzug der Gemäldegalerie vom Kulturforum an die Museumsinsel hat zu scharfen Auseinandersetzungen geführt zwischen den Initiatoren bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihren Kritikern, etwa dem Verband deutscher Kunsthistoriker, der eine geharnischte Petition ins Netz gestellt hatte.
Auch hier wird man sich in späteren Jahren einmal fragen, wie es zu einer solch scharfen Gegenüberstellung kommen konnte. Für internationale Beobachter zeigt sich schon jetzt, dass Berlin die Chance zur Veränderung ergreifen muss, um im 21. Jahrhundert anzukommen, während in New York, London, Paris die Sammlungskonzepte der großen Museen längst eingefroren sind. Nur hier gibt es die Möglichkeit, die Gesamtheit der Kultur neu zu denken, auf der Museumsinsel wie im Humboldtforum.
Erstmals seit dem Bekanntwerden der Pläne und mancherlei hässlichem Schlagabtausch in den Medien kamen nun die Streitparteien unmittelbar zusammen, im Zentrum des Geschehens, dort wo alles seinen Ausgang nahm: in der Basilika des Bodemuseums, wo Malerei, Skulptur, Architektur zu einer großen Gesamtwirkung verschmelzen. Die Staatlichen Museen hatten mit internationaler Besetzung zu einer Tagung eingeladen, mit Philippe de Montebello, dem langjährigen Direktor des New Yorker Metropolitan Museums als Redner, mit Vertretern vom Victoria & Albert Museum in London, des Prado in Madrid. Ihr passendes Thema: Malerei und Skulptur, Chancen und Herausforderung einer gemeinsamen Präsentation. Denn wenn der Umzug der Gemäldegalerie zur Museumsinsel tatsächlich kommt, muss nicht nur geklärt sein, wie sich die Bestände zwischen Bodemuseum und Neubau verteilen, ob nach Epochen oder Regionen getrennt wie gegenwärtig am Kulturforum, sondern zugleich, ob die Gattungen wieder fusionieren, wie es in den Museen bis zur Aufklärung Praxis war.
Kunstgeschichte erzählt sich in Schlaufen. Die immer wiederkehrende Frage lautet: Wie wollen wir sehen? Wozu sollen unsere Museen taugen? Dass die Einladenden in der schönen Halle vermintes Gebiet betraten, war vorauszusehen. Dass sie aber auf diese Weise ein Trojanisches Pferd zu installieren gedachten, um ihre eigentlichen Pläne für die Galerie des 20. Jahrhundert trickreich voranzutreiben, wie in der „Süddeutschen Zeitung“ geargwöhnt, war eine perfide Unterstellung. Nach wütenden Pressekampagnen und düstersten Prophezeiungen über den Untergang der Alten Meister war es höchste Zeit für das direkte Gespräch.
Für das Publikum gewann diese Aussprache durchaus komische Seiten. Die wechselseitige Herbeirufung des Museumsgründers Wilhelm von Bode und seiner bahnbrechenden interdisziplinären Präsentation entwickelte sich zur Groteske. Julien Chapuis, Chef der Skulpturensammlung, die sich – ergänzt um einige Werke der Gemäldegalerie – seit der Wiedereröffnung 2006 im Bodemuseum befindet, brach erwartungsgemäß eine Lanze für die Verbindung der verschiedenen Sparten, die historische Kontextualisierung, die ästhetisch ansprechende Form, ähnlich wie bei seinem großen Vorgänger Bode. Georg Satzinger, Vorsitzender des Kunsthistorikerverbands, dagegen mokierte sich über Indienstnahme Bodes als „Heiliger aller Mischer und Mitmischer“ und wies nach, dass der nur einige Stücke zur Heraushebung einzelner Werke kombiniert habe. Umso mehr kritisierte er die vom Publikum überrannte Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ vor zwei Jahren im Bodemuseum als Schaulauf einer Verbindung von Malerei und Skulptur, da hier die Kunstwerke als magisch inszenierte Objekte im „Kreuzfeuer der Lichtspots“ standen. Stattdessen finde Bode heute seine beste Verwirklichung in der Gemäldegalerie, als große Erzählung der Geschichte der Malerei.
Die Gemäldegalerie ist nicht sexy - gerade deshalb lieben sie ihre Verteidiger
Satzingers Referat erntete donnernden Applaus in der hohen Halle, und doch bröckelte die Zustimmung schon wenig später bei dem mitreißenden, visionären Vortrag Neil MacGregors aus London. Er sprach den Berlinern Mut zu und animierte sie, universeller zu denken – statt zu kategorisieren, Sinn zu stiften. Das Internet habe den Besucher verändert, Information sei für jeden sofort durch Smartphones abrufbar. Chapuis hatte ihn zuvor als den Mann vorgestellt, durch den das verstaubte British Museum „sexy“ geworden sei. Von einem solchen Appeal ist die Gemäldegalerie an ihrem alten Platz am Kulturforum himmelweit entfernt, wofür ihre Verteidiger sie gerade lieben.Kunstgeschichtsprofessor Eberhard König verglich die ausgetüftelte Hängung der Gemäldegalerie mit einer Sinfonie, bei der ebenfalls jeder Ton am gleichen Platz bleiben müsse. Retourkutsche von Hartwig Fischer, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: „Wir gehen nicht ins Museum, um nachzuschauen, ob noch alles da ist, sondern für das Vergnügen und um zu lernen.“
Genau darum aber geht es: Welche Erzählung soll vorgetragen werden? Die der Menschheitsgeschichte von den Hochkulturen der Antike bis zur Kunst des 19. Jahrhunderts, als Narrativ der Museumsinsel? Oder allein die der Malerei? Wie viel müsste neben der Bildhauerei auch noch von Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum dazugehören, die ebenfalls am Kulturforum residieren? Die kleine Zwischenrunde mit Bernd Lindemann von der Gemäldegalerie, Hein Schulze-Altcappenberg vom Kupferstichkabinett und Sabine Thümmler vom Kunstgewerbemuseum brachte wenig Erhellung. Alles wartet auf das Ergebnis der Machbarkeitsstudie, die für dieses Frühjahr angekündigt ist.
Sie soll klären, wie teuer ein Neubau der Gemäldegalerie nahe der Museumsinsel wird und was die Errichtung eines Erweiterungsbaus für die Neue Nationalgalerie am Kulturforum kosten würde, deren Bestände ansonsten bei Auszug der Alten Meister in die einstigen Räume der Gemäldegalerie wandern. Stiftungspräsident Hermann Parzinger hatte gleich zur Eröffnung des Kolloquiums klargestellt, er könne auch mit der in seinen Augen zweitbesten Lösung, dem Verbleib der Gemäldegalerie am Kulturforum, leben. Die Bewertung der Varianten lande ohnehin beim Finanzministerium, erklärte Parzinger schicksalsergeben. Einen Neubau, ob an der Museumsinsel oder am Kulturforum, werde es mit Gewissheit geben. Das Thema sei auf der politischen Agenda. Er rechnet mit einem Baubeginn 2017.
Der Kampf um die Berliner Museen wird ausgetragen vor dem Hintergrund explodierender Kosten am neuen Flughafen und sicher bald auch bei Schloss und Humboldtforum. Am Ende entscheidet die Haushaltslage. Und die allgemeine politische Stimmung. Sollte sich, auch das könnte passieren, gar nichts verändern, wird es nur Verlierer geben. Zu denen gehört dann auch das Bode-Museum. Der rapide Abfall der Besucherzahlen seit der Eröffnung spricht Bände. Die alleinige Präsentation von Skulpturen kommt beim Publikum schlecht an. Erst die „Gesichter der Renaissance“ lockten wieder die Massen zum Kopfbau der Museumsinsel. „Strenge kunsthistorische Fragen interessieren das Publikum am wenigsten“, so Direktor Lindemann trocken. Gemälde aber helfen, die Skulptur in einen Zusammenhang zu stellen.
Die strikte Trennung der Gattungen hat sich für die Bildhauerei als Nachteil erwiesen. Darin waren sie sich am Ende alle einig, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp wie der langjährige Generaldirektor der Staatlichen Museen Peter Klaus Schuster. Der Paragone von einst hat eben doch seine Wirkung, bis heute. Er dient der Erhellung und Verständigung.
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