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Die Generation der Erben wartet auf das Ableben der Alten.
© mauritius images

Tabuthema Erbschaft: Die Millionen der Eltern

Erben ist in Deutschland ein heikles Tabu. Julia Friedrichs hat sich in ihrem neuen Buch "Wir Erben" vorgewagt und traf dabei auf Unglück, Scham, Verstocktheit und Politiker, die sich wegducken.

Gerade noch saßen sie alle an ihren Ikea-Tischen in ihren Berliner Mietswohnungen, diese studierten Dreißigjährigen aus der Provinz. Nach vielen Praktika sind sie nun endlich auf dem Sprung in ein erwachsenes Leben mit Steuererklärung, dem ersten Kind, der Datsche auf dem Land. Ein paar Jahre lang waren sie einander alle ähnlich, nicht reich, nicht arm – und dann das: Auf einmal durchforstet einer von ihnen, dessen Einkommen bisher gerade so über den Monat reichte, die Immobilienangebote im Hochpreissegment. Als Nächster kauft sich ein Jungkomponist, der sich für Werbung zu schade ist, eine 500 000 Euro teure Altbauwohnung in bester Lage.

Und dann ist da noch Beate, die angestellte Wissenschaftlerin, die ein Vermögen auf ihrem Konto liegen lässt und nach außen ganz bescheiden lebt, weil sie sich schämt für ihr Geld. Gern würde sie es versteuern, aber sie zahlt gar nichts, denn die Eltern nutzen die Möglichkeit der Schenkung. Gestückelt, versteht sich. Die erste Tranche von 400 000 Euro haben sie im Lauf von zehn Jahren an die Tochter transferiert.

Schieflage zwischen ererbtem und erarbeitetem Geld

Beate findet es ungerecht, dass ihr Gehalt hoch besteuert ist (42 Cent pro erarbeitetem Euro) und ihr Erbe bisher gar nicht. „Undemokratisch“ sei das. Auch den möglichen Einwand der Eltern, das Geld sei ja schließlich von ihnen bereits ordentlich versteuert worden, lässt sie nicht gelten. Immerhin gehöre bei ihr die Erbschaft ja zum Einkommen, und das müsste doch eigentlich versteuert werden.

Eine bessere Kronzeugin für die Grundthese ihres neuen Buchs „Wir Erben“ hätte die Autorin Julia Friedrichs gar nicht finden können. Wenn selbst Erben über die gewaltige Schieflage zwischen ererbtem und erarbeitetem Einkommen klagen, dann ist es weit gekommen mit der sozialen Ungleichheit in Deutschland. Und so, wie das Erben in diesem Land derzeit gesetzlich geregelt ist, wird die Kluft zwischen solchen, die erben, und solchen, die nichts oder nur Schulden erben, und das ist die Hälfte der Deutschen, immer größer werden, prognostiziert Julia Friedrichs.

Immer wieder bezieht sie sich dabei auf den französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, der in der Zunahme von Ungleichheit eine Bedrohung westlicher Demokratien sieht. Friedrichs hat sich seit Jahren in ihren Sachbüchern auf die so gar nicht feinen Unterschiede spezialisiert. In „Gestatten: Elite“ ebenso wie in „Deutschland dritter Klasse“. Auch ihr neues Buch ist ein Reisebericht, geschrieben von einer akribischen Feldforscherin, rasant im Tempo, persönlich im Ton, vorzüglich recherchiert und gut ausbalanciert zwischen leiser Wertung und einem fast rührenden Erstaunen.

Expedition ins Reich der wohlhabenden Erben

Buchcover zu "Wir Erben".
Buchcover zu "Wir Erben".
© promo

Auf ihrer Expedition ins Reich der wohlhabenden Erben (die mit mickrigem Reihenhaus bei Gifhorn kommen nicht vor) trifft Julia Friedrichs auf Unglück, Scham, Verstocktheit und auf Politiker, die sich wegducken. Das Thema verlangte ihr eine besondere Beharrlichkeit ab – weil es so viele weiße Flecke auf der Kartografie des Erbens gibt.

Das beginnt schon mit der Höhe des geschätzten Erbvolumens, das in den kommenden zehn Jahren weitergegeben wird: Sind es 2,5 Billionen Euro oder noch mehr? 250 Milliarden Euro werden jedes Jahr vererbt, schreibt Friedrich. Das ist der Wert, der auf einer Schätzung des Instituts für Altersvorsorge beruht. Aber es gibt auch andere Zahlen: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht 2014 von nur 60 Milliarden Euro. Andere Institute von 300 Milliarden Euro. Auch die Regierungsfraktionen jonglieren mit unterschiedlichen Zahlen. Nebelkerzen überall. Millionenerben, die nicht reden wollen. Die sich entziehen, mit der Begründung, das sei alles privat.

Die Angst vor dem gefräßigen Staat

Die Erhöhung von Erbschaftssteuern ist auch bei Nicht-Erben unpopulär. Ein Paradox. Doch die Angst vor dem gefräßigen Staat, die Haltung, alles müsse in der Familie, der Sippe bleiben, eint Deutsche, die sonst nichts miteinander zu schaffen haben. Noch eine Rechnung, die Friedrichs aufstellt: An acht Prozent der Erben werden 40 Prozent der Erbsumme weitergegeben. „Das sind Zahlen, die man vermutet, weil genaue Angaben fehlen. Wenn wir von 250 Milliarden Euro pro Jahr ausgehen, gehen 100 Milliarden Euro pro Jahr an acht Prozent der Erbfälle“, sagt Julia Friedrichs in einem Interview. Was bedeutet das für eine Gesellschaft? Sind Erben innovativ und im guten Sinn risikofreudig? Sorgen sie für neue Arbeitsplätze, fühlen sie sich mitverantwortlich für staatliche Infrastrukturen, etwa das staatliche Bildungssystem? Mitnichten, diagnostiziert Friedrichs. Sie klinken sich aus.

Fast immer gehe es um die eigene Absicherung, die Angst, etwas zu verlieren, sei größer als Einfallsreichtum und Fantasie. Am Ende ihres Buchs entwirft Julia Friedrichs mit Blick auf die Erbengesellschaft Japans ein trauriges Bild: das der ewigen Kinder, die lebenslang an der Nabelschnur ihrer wohlhabenden Eltern hängen. Die deutsche Erbengeneration tut autonom – und verwandelt das Geld der Eltern in Beton.

Julia Friedrichs: Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht. Berlin Verlag, Berlin 2015. 320 S., 19,99 €.

Christina Bylow

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