Hip-Hop: Die Luftanzünderin
Explosiv, politisch und persönlich: Die Londoner Rapperin Speech Debelle hat gerade ihr mitreißendes Album „Freedom of Speech“ herausgebracht. Am Wochenende tritt sie zum ersten Mal in Berlin auf. Ein Treffen.
Den Takt schlägt Speech Debelle mit der flachen Hand. Mit der anderen schnippt sie dazu. Sie spricht so schnell, dass sie zu rappen beginnt. Es geht um ihre Musik und woher die Inspiration für die Single „Studio Backpack Rap“ vom neuen Album kam: „Ich war gerade auf dem Weg ins Studio, stehe so im Stau, die Sonne scheint, da liegt mein neues USB-Keyboard neben mir, ich schau es an und denke: They call it, they call it, Studio Backpack ... Dann schnell ins Studio. Wenn du nicht schnell bist, ist die Inspiration für immer weg.“ Jetzt atmet sie zum ersten Mal aus.
Speech Debelle ist eine, die gerne Geschichten erzählt. Und sie ist eine der besten Rapperinnen, die es derzeit zu entdecken gibt. 2009 hat sie ihr erstes Album veröffentlicht: „Speech Therapy“ heißt das Werk, in dem sie aus ihrem Leben erzählt. Mit ihren damals gerade einmal 26 Jahren hatte sich die Britin mit dem markanten Cockney-Akzent einiges von der Seele zu reden. Als 19-Jährige zog Corynne Elliot von zu Hause aus, kam in diversen Heimen für Obdachlose unter. Nach vier Jahren kehrte sie schließlich wieder zu ihrer Mutter zurück – im Gepäck einen Berg Textfetzen: „2 am in my hostel bed/ My eyes them red/My belly ain’t fed, I got butter but I ain’t got bread and I’m smoking on my last cigarette.“ Die Songs werden zu einer Art Therapiesitzung, in der sie die Erlebnisse aus ihrem Straßenleben verarbeitet – manchmal nachdenklich, manchmal extrem brutal. „Das war so ein Teenage-Angst-Ding“, sagt die Musikerin über ihr fast vollständig mit akustischen Instrumenten eingespieltes Debüt.
Die Tochter jamaikanischer Einwanderer kommt beim Hip-Hop-Label Big Dada unter, das eine Qualitätsmarke für Hip- Hop ohne Bling Bling und Gangstergehabe ist. Häufig wurde Speech Debelle am Anfang mit ihrem Labelkollegen Roots Manuva verglichen. Auf ihrem jetzt erschienenen Album „Freedom of Speech“ haben die beiden gemeinsam einen Song aufgenommen: unaufgeregt – aber explosiv. Das Ergebnis „Blaze Up A Fire“ hat Speech Debelle letzten Sommer spontan vorab veröffentlicht.
Es war der richtige Zeitpunkt: „Das Lied habe ich schon Anfang 2011 geschrieben, als die ganzen Aufstände in Nordafrika begannen. Aber das Krasse ist eben, dass wir in dem Song genau das voraussagen, was dann im Sommer in England passiert ist.“ Die Jugendlichen Großbritanniens haben die Straßen angezündet und die Gesellschaft, die sie fallen ließ, damit ordentlich vor den Kopf gestoßen. Speech Debelle hat den Soundtrack dazu geschrieben. Er beginnt mit einer entspannten Gitarrenmelodie, macht regelrecht gute Laune. Der Gesang dagegen hat etwas Drängendes, der Text ist deutlich: Die Luft zum Atmen brennt.
Michael Jackson als großes Vorbild
Der Song steht stellvertretend für das neue Album, in dem es im Gegensatz zu „Speech Thearpy“ weniger um die Musikerin selbst geht als um die Welt, in der sie lebt. So hat sie etwa „Collapse“ nach dem gleichnamigen Dokumentarfilm von Chris Smith benannt. Darin wird unter anderem durchgespielt, was passieren würde, wenn der Welt das Öl ausgeht. „Ich hab das gesehen und nur gedacht: Wow, wie gut, dass ich all diese Überlebensfilme geschaut habe!“ Also rappt sie über einen Star der britischen Survival-Shows: „You better watch Ray Mears quick!“ Speech Debelle ist eine, die gut lachen kann. Zum Beispiel darüber, dass Michael Jackson immer noch ihr großes Vorbild ist: „Das wird sich nie ändern. ‚Human Nature’ von Michael Jackson definiert mich als Künstlerin. Dieser Song ist der Grund für all das hier. Er dringt in mein neurologisches System ein wie kein anderer Song.“
Manchmal hört man Speech Debelles Musik die Liebe zum Pop sehr deutlich an. „Spinnin’“ vom letzten Album hat es sogar zum offiziellen Song der Olympischen Spiele in London geschafft. Zwar nur in einer Cover-Version von Dionne Bromfield und Tinchy Stryder, aber zumindest wird da ein wenig Geld in Speech Debelles Kasse fließen. Seit ihrem ersten Album kann sie von der Musik leben, aber der große Erfolg blieb aus – obwohl sie damit 2009 den renommierten Mercury-Music-Preis für das beste britische Album des Jahres gewann. Damit hat sie sich neben Künstlern wie Franz Ferdinand, Dizzee Rascal, Suede oder PJ Harvey eingereiht.
„Das Album hat kein Platin gewonnen, aber dass ich die CD überhaupt gemacht habe und dann in den Händen halten konnte – das hat sich ganz schön nach Platin angefühlt.“ Speech Debelle erzählt das fast nebenbei, dabei es ist eine halbwegs tragische Geschichte. Der Mercury-Preis gilt normalerweise als Erfolgsgarant, doch bei der bis dahin nahezu unbekannten Newcomerin lief es anders. Durch eine unbedachte Äußerung brachte sie sich in Misskredit: Sie behauptete, dass sie sowieso mit dem Preis gerechnet habe. Daraufhin warf ihr die britische Presse Arroganz und Selbstüberschätzung vor. Dass Speech Debelle sich von Kritikern und Verkaufszahlen nicht beeindrucken lässt, zeigt sie im neuen Song „Angel Wings“: „Ich lerne, ich probiere noch, aber ich werde niemals das Handtuch schmeißen!“, rappt sie.
Auch „Angel Wings“ ist typisch für Speech Debelles Musik: Wenn der Sound entspannt klingt, versteckt sich dahinter fast immer eine messerscharfe Aussage. Die 28-Jährige wollte unbedingt, dass bei dem Album die Texte nicht die gesamte Musik bestimmen: Es sollte erwachsener sein. Deshalb hat es auch zwölf statt 13 Lieder, wie es bei „Speech Therapy“ der Fall war: „13 ist so eine unschuldige Zahl. Die 12 sagt: Ich weiß ganz genau, was ich tu! Ich weiß, wer ich bin.“ Auch etwas Esoterisches schwingt in der Musik der Londonerin mit. Vor allem aber ist es die Spannung zwischen lässig und bestimmt, die Speech Debelle besonders macht. Nach dem Gespräch verabschiedet sie sich mit butterweichem Händedruck – ihr Gegenüber fest im Blick.
„Freedom of Speech“ ist bei Big Dada / Rough Trade erschienen. Konzert: 26.2., 21 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Berlin
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