Bob Dylan in Berlin: Die Liebe ist ein rostiges Dampfschiff
Mit 73 Jahren gastiert Bob Dylan zum ersten mal an drei Abenden nacheinander in Berlin. Sein erstes Konzert im Tempodrom ist ein keinesfalls herausragender, aber auch nicht grottenschlechter Auftritt.
Doch, doch, es gibt etwas Neues. Er macht jetzt nach einer Stunde eine Pause, verzieht sich mit einer vernuschelten Ansage in die Garderobe. Das kann man einem 73-Jährigen nicht verdenken, der immer noch 80 Konzerte im Jahr herunterspielt. Oder herauf? Die Frage ist kompliziert und philosophisch. Ob Bob Dylan sich abwärts bewegt, wofür manches spricht, oder ob er sich bergauf weiter vorwärts kämpft in ein Alter hinein, wo Steigung und Gefälle gleichermaßen glitschig und schmerzhaft sind.
War das nicht von Anfang an so? Ist Dylans Karriere über ein halbes amerikanisches Jahrhundert, von Martin Luther Kings Marsch nach Washington bis zu Barack Obamas ernüchternder zweiter Amtszeit, nicht ein ewiges Ab und Auf gewesen? Aber wahrlich kein Mann der großen Gesten, Bob Dylan! Es ist bei ihm schon immer auf die Details angekommen, aufs Arrangement, die Maske.
Folk-Zupfer, Quecksilbergewitter, psychedelischer Country-Cocktail, Hard Rock und was nicht alles. Seit einer Dekade praktiziert er nun mit seiner Band eine Art Texas Swing, der nur leicht ätzt, in dem sich gespielte Unschuld mit tiefem Schmerz mischen. Von Ausruhen kann nicht die Rede sein. Sechs der 17 Songs, die er an seinem ersten von drei Abenden im Tempodrom auspackt, aufdröselt, anreißt, stammen vom jüngsten, im September 2012 veröffentlichten Album „Tempest“.
Er beginnt mit „Things Have Changed“, einem sarkastisch federnden Stück aus dem Film „Wonder Boys“, wofür er 2000 einen Golden Globe und einen Oscar bekam. Dann folgt gleich „She Belongs To Me“, eines seiner frühen, mal hymnischen, mal hasserfüllten Liebeslieder. Das war’s dann auch mit den sechziger Jahren, bis „All Along The Watchtower“ die Zugaben kommen. Aus den Siebzigern werden „Tangled Up in Blue“ und „Simple Twist of Fate“ gegeben. Die Zwillingslieder vom „Blood On the Tracks“Album gehören zum Allerbesten, was Dylan gedichtet und komponiert hat. Hier – wir schreiben den 24. Oktober 2013, freuen uns über den Herbstfrühling – klingen sie ungut, vernutzt.
Zwei Bilder, die vielleicht am Ende doch zusammenpassen, fallen einem im Lauf dieses keinesfalls herausragenden, aber auch nicht grottenschlechten Auftritts in dem schönen Haus mit der spitzen Betonkrone ein. Beide sind in Dylans Songbook angelegt. Zum einen ist es das Gefühl, in einer alten, wenn nicht uralten Beziehung zu einem Künstler zu stecken. Und zum anderen die Wahrnehmung, man befinde sich auf einem schlingernden Schiff. Das liegt am Sound in der Halle, der die vielen Zupfinstrumente – Gitarre, Banjo, Mandoline – und die Steel Guitars kaum ausdifferenziert. Und es liegt mehr noch daran, dass die eigentlich traumsicher eingespielte fünfköpfige Dylan-Band – die machen das seit etlichen Jahren – eher neben- und hintereinander als miteinander musiziert. Der spillerige Kapitän in seinem eleganten schwarzen Western-Anzug haut derart freihändig in die Tasten, dass seine Bootsleute sehen müssen, wie sie das Gefährt auf Kurs halten. Sie bevorzugen einen stampfenden Rhythmus durch bughohe Blueswellen. Die Lyrics kennt nur der Wind.
Seine Stimme: wechselhaft wie das Wetter auf hoher See. Brüchig sowieso, dann plötzlich auffrischend, schneidend, sich in eine Wortkaskade hineindrehend. Er gibt, was er hat. Nur manchmal findet er sein Narrativ, den Einstieg, den Gänsehautton. Der Hauptsong auf „Tempest“ erzählt von der Havarie des berühmtesten aller Transatlantik-Liner, der Titanic. Hier geht in den klarsten Momenten dieses Nebeltörns das Herz unter – und auf. In „Love Sick“ ist das so und auch in dem grandiosen „Long and Wasted Years“. Dylan steht am Mikrofon, tänzelt linkisch und schwört der verfluchten Liebe ab. Noch einmal am heutigen Samstag – und auf alle Zeit, ewig.Rüdiger Schaper
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