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Experimentierfeld Wohnzimmer. Die Berliner Musikerin Justine Electra.
© Promo

"Green Disco": Die Lady aus der Krachmacherstraße: Justine Electra

Sieben Jahre nach ihrem brillanten Debüt bringt die in Neukölln lebende australische Musikerin Justine Electra ihr charmantes Lo-Fi-Popalbum „Green Disco“ heraus. Ein Treffen.

Einen Filmsoundtrack schreiben, Songs an Pink, Britney Spears oder Cristina Aguilera verkaufen, in großen Hallen auflegen – DJ und Producer Boozy Shoes hat viel vor. Doch um den Aufstieg zum Pop-Superstar zu schaffen, sollte er vielleicht erst mal mit dem Alkohol und den Drogen aufhören. Das findet zumindest die Frau, die ihm singend rät: „Boozy Shoes/I’m telling you/Come clean/come clean“.

Es ist dieselbe Stimme, die zuvor rappend und in coole Basstiefen gepitcht von den Star-Träumen erzählt hat. Sie gehört der Berliner Sängerin und Multiinstrumentalistin Justine Electra, die sich Boozy Shoes für ein ziemlich lustiges R’n’B-Stück ausgedacht hat. „Das ist eine Nachricht an mich und alle meine Freunde: Hört auf zu saufen und macht was aus euch!“, sagt die Musikerin und lacht. Sie hatte eine Freundin zu den Anonymen Alkoholikern begleitet und selbst eine Weile abstinent gelebt. „Die Freundin wurde voll religiös, und bei mir kam dann dieser Song heraus“ – wieder lacht die 35-Jährige herzlich und ansteckend.

Sie sitzt in einem Café unweit ihrer Neuköllner Wohnung und spricht über ihr zweites Album „Green Disco“, auf dem sich auch „Boozy Shoes“ befindet. Es ist das zweite Studioalbum der Australierin, die schon seit Ende der neunziger Jahre in Berlin lebt und anfangs als Techno-DJ in Mitte-Clubs arbeitete. Ihr Deutsch ist ausgezeichnet, manchmal streut sie ein paar englische Wörter hinein, aber sonst setzt sie auf Trennung: Englisch nur mit Muttersprachlern, sonst klinge sie bald „wie ein Roboter mit den falschen Batterien“ – er laufe zwar, aber irgendwie holperig.

Mit Robotern kennt sich Justine Electra aus: Ihre Debütsingle von 2006 hieß „Fancy Robots“ und im Video spielte ein kleiner Aufziehroboter aus Blech neben ihr die zweite Hauptrolle. Das Stück verbindet Akustikgitarrenbegleitung mit programmierten Beats, Synthie-Bass-Akzenten und betörendem Gesang zu einem intimen Elektro-Folk-Sound, der auch den Rest von Justine Electras Debütalbum „Soft Rock“ prägte. Die Platte wurde vielfach bejubelt und heiß geliebt. Der Berliner Musiker Jens Friebe zeigte sich im „Intro“-Magazin begeistert „von der Souveränität, mit der sie verstörende Klänge und klassisches Songwriting verbindet und schließlich davon, dass sie den Folk so erfrischend revidiert wie vor ihr zuletzt der blutjunge Beck“. Besser konnte man es nicht sagen, und eigentlich ist es bis heute ein Rätsel, warum ein fantastischer Song wie „Killalady“ kein Charthit wurde.

Auch sonst geriet Justine Electras Karriere, kaum dass sie begonnen hatte, schon wieder ins Stocken. Die Musikerin versuchte zwischen 2006 und 2008 eine Tour zu organisieren, doch Bandmitglieder sprangen ab oder passten ihrem Label City Slang nicht in den Kram. „Dazu kamen tausend finanzielle Probleme, es war die Hölle“, erinnert sie sich. Die Beziehung zu City Slang zerbröselte endgültig, als man dort zögerlich auf ihre Pläne für ein zweites Album reagierte. Schon das erste herauszubringen, hatte drei Jahre gedauert. Pech, schlechtes Timing, die nach wie vor angespannte finanzielle Lage der Musikbranche – es kam einiges zusammen bei Justine Electra. Und dann kam erst mal ein Kind. Ihr Sohn ist jetzt drei, Ende des Jahres bekommt er Gesellschaft: Seine Mutter ist derzeit hochschwanger.

Justine Electra kombiniert Folk mit Elektropop und Witz mit Melancholie

Ein weiterer Faktor, den Justine Electra im Gespräch mehrmals streift, ist die Männerlastigkeit des Popgeschäfts und ihre eigene Außenseiterinnenposition. Sie hätte sich eine Mentorin gewünscht oder einen städtischen Ort, an dem Musikerinnen Unterstützung finden. „Männer passen gut auf Männer auf. Einige, mit denen ich gleichzeitig angefangen habe, sind viel schneller auf der Leiter nach oben gekommen“, sagt sie. Ihr habe oft im Weg gestanden, dass sich etwa ein Produzent in sie verliebt habe und dann nicht mehr mit ihr arbeiten wollte. Im Studio habe man sie häufig nicht recht ernst genommen. Dabei weiß sie stets genau, was sie will. Nicht umsonst hat Justine Carla Electra Beatty – so ihr vollständiger Name – in Australien ein Gesangs- und Kompositionsstudium abgeschlossen.

Offen und ruhig erzählt sie von den schwierigen Zeiten, die hinter ihr liegen. Sie wirkt eher ein wenig erstaunt, dass es so blöd gelaufen ist. „Plötzlich war es 2012 , und ich dachte, jetzt muss ich aber wirklich mal das Album rausbringen.“ Zunächst ohne Plattenfirma, nur mit der Hilfe von Musiker- und Technikerfreunden, die die Arbeit an „Green Disco“ zwischen andere Engagements quetschten. Sie selbst arbeitete nebenher als Barfrau, gab Gesangs- und Klavierunterricht, programmierte Websites, übersetzte oder schrieb Werbe- und Filmmusik.

Man merkt der Platte ihren fragmentarischen Entstehungsprozess ein wenig an. Justine Electra sagt selbst, dass sie den Charakter einer Kurzgeschichtensammlung hat und sie gern irgendwann mal einen Roman aufnehmen würde, also ein Album, das in einem Guss und an einem Ort produziert wird. Andererseits macht gerade der Charme des Unfertigen und Disparaten „Green Disco“ zu einem so reizvollen Werk. Wie schon auf dem Vorgänger verknüpft die Neuköllnerin darauf Songwriter-Pop mit Elektronischem und Witz mit Melancholie.

Der Text der Single „Great Skate Date“ besteht größtenteils aus Gaga-Alliterationen: „Lazy lean lad/late skate date/leise lamp lamb lambchop/lady likeable“, singt Justine Electra zu einer einhändigen Klavierbegleitung, die sich im Refrain mit gedoppeltem Gesang und einsetzendem Beat zu einem hübschen Popsong entwickelt. Auf den elf neuen Stücken düdeln Kinderspielzeuge, es rauscht, fiept und lärmt auch mal ordentlich. So beginnt „This Could Be The Most Beautiful Noise“ als Trennungsballade mit Akustikgitarrenpicking und melancholischem Gesang, was in der Mitte von fiesem Knattern und Knallen übertönt wird. Erleichterung, als Stimme und Gitarre zurückkommen. Das Lied ist eine hübsche Noise-Stilübung, die Justine Electra auch aufgenommen hat, um „ein bisschen anzugeben und es den Noise-Jungs zu zeigen“. Wenn sie mit verstellter Stimme nachschiebt, „Ich hab auch Noise druff, ey!“, muss man automatisch mit ihr mitlachen. Und versteht, wie sie die Widrigkeiten des Popgeschäfts aushält: Sie hat sich ihren Humor bewahrt.

„Green Disco“ erscheint am 6. 12. bei Neun Volt Records.

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