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Sinnsucher: Eine Seite aus "The Artist: Der Schnabelprinz".
© Reprodukt

„The Artist: Der Schnabelprinz“ von Anna Haifisch: Die Kunst des Überlebens

Anna Haifischs Comic „The Artist“ persifliert nicht nur das Künstlerleben, sondern verhandelt grundlegende menschliche Fragen. Kürzlich ist der zweite Sammelband erschienen.

Ein kränkelndes Vogelwesen mit ausdruckslosen Augen und vier strähnigen Haaren, das mit sich und der Welt hadert – auf den ersten Blick ist die Schöpfung der Leipziger Comiczeichnerin Anna Haifisch kein Sympathieträger. Und doch hat die zwischen Selbstmitleid und Selbstüberschätzung schwankende Kreatur namens The Artist in den vergangenen zwei Jahren eine beachtliche Popularität erreicht. Jüngst war ein Band mit den Kurzgeschichten für einen Buchpreis der „Los Angeles Times“ nominiert. Und dank Internet hat Haifisch - die auch zu dem Initiatoren des alternativen Comic-Festivals „The Millionaires Club“ parallel zur Leipziger Buchmesse gehört - Fans aus aller Welt, die sich ihre Figur schon mal als Tätowierung stechen lassen.

Unlösbare Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der Erfolg dieser Episoden, die zuerst auf der Website des US-Magazins „Vice“ veröffentlicht wurden und deren zweiter Sammelband „Der Schnabelprinz“ vor kurzem auf Deutsch bei Reprodukt erschienen ist, dürfte neben Haifischs lakonisch-selbstironischem Humor auch damit zu erklären sein, dass viele Leser in der von Sinnkrisen geplagten Figur mehr von sich wiedererkennen, als man es bei einem derart karikiert gezeichneten Geschöpf erwarten würde. Denn auch wenn „The Artist“ vordergründig eine Satire auf das Leben eines erfolglosen Künstlers und sein Milieu ist, geht es doch um grundlegende menschliche Fragen.

Fragile Künstlerseele: Eine Seite aus "The Artist: Der Schnabelprinz".
Fragile Künstlerseele: Eine Seite aus "The Artist: Der Schnabelprinz".
© Reprodukt

So ringt der autobiografisch inspirierte Held, der in New York schlichte Schlangenbilder malt, kaum weniger schlichte Flamingo-Skulpturen formt und von einer großen Karriere träumt, ständig mit der schier unlösbaren Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dem Traum von Erfolg, Glück und Anerkennung stehen eine als feindselig empfundene Welt gegenüber – und der Hang der Hauptfigur zum Prokrastinieren und zur Realitätsverweigerung. Die Angst vor Scheitern und Zurückweisung korreliert mit dem Wunsch, Erfolg mit den Früchten der eigenen Kreativität zu haben, auch wenn die mit den Erfordernissen der Außenwelt kaum kompatibel sind.

Reinkarnationen als Marc Chagall und Snoopy

Das alles erlebt Haifischs Figur in übersteigerter Form, sodass man über die oft absurd verlaufenden Episoden immer wieder auch herzlich lachen kann. Zumal die Zeichnerin ihren Artist nicht als in sich geschlossene Figur angelegt hat, sondern als Archetyp der fragilen Künstlerseele durch Zeit, Raum und Kunstgeschichte reisen lässt. Zwischendurch verkörpert er da schon mal Marc Chagall, der von Henri Matisse und Pablo Picasso wegen seines Hangs zur Melancholie aufgezogen wird, oder findet sich als depressive Version von Charles M. Schulz‘ Snoopy auf der Peanuts-Hundehütte wieder.

Abgeschlossen: Das Cover des zweiten und letzten Sammelbandes der Reihe.
Abgeschlossen: Das Cover des zweiten und letzten Sammelbandes der Reihe.
© Reprodukt

Verstärkt wird die Wirkung der Episoden durch einen Zeichenstil und eine Bildkomposition, die es in sich haben. Haifischs unruhiger, nervös wirkender Zeichenstrich gibt der fragilen Figur etwas Flimmerndes, Haltloses. Die Panels sind auf wenige für die Erzählung relevante Utensilien reduziert. In angedeuteten Räumen steht der Künstler von der traurigen Gestalt auch visuell oft auf verlorenem Posten.

Das wird durch eine ruhige, flächige Kolorierung in warmen Pastelltönen kontrastiert, die den Bildern etwas Freundliches, ja Dekoratives gibt und doch zugleich die Wirkung der Hauptfigur und ihrer tragikomischen Erlebnisse verstärkt.

Anna Haifisch: The Artist. Reprodukt. Band 1: 64 Seiten, 14 Euro. Band 2: Der Schnabelprinz, 112 Seiten, 18 Euro

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