Von Pop- und Blasmusik: Die Kraft des Blechs
Blasmusik ist wieder cool. Warum immer mehr junge Bands heimatliche Klänge mit Popmusik vermischen.
Der Maxi Pongratz will nix sagen. Dabei hat er gerade laut von draußen ans Fenster gewummert. „Na, der kommt net rein. Der isst lieber sei’ Leberkassemmel“, spricht sein Bandkollege Matthias Otto Meichelböck nach einer abwartenden Weile ins Telefon. „Ich kann vom Fenster direkt aufs Passionstheater schauen“, sagt er. Es ist Nachmittag in Oberammergau, die Augustsonne scheint, der schroffe Zinken des Hausbergs Kofel wacht über Gerechte und Ungerechte und Meichelböck gibt ein lakonisches Interview zum Thema Blasmusik, das schon allein der Mundart wegen wie ein Hörspiel klingt. Extrem oberbayerische Szenerie.
Meichelböck bläst das Tenorhorn in der Band Kofelgschroa – übersetzt: Kofelgeschrei. Pongratz spielt Akkordeon und die Brüder Martin und Michael von Mücke Tuba, Flügelhorn und Gitarre. Die vier Burschen aus dem Passionsspielort sind Mitte 20, gelernte Holzschnitzer, Gärtner, Schmiede, Automechaniker – und ihre kauzige, melodiöse, rhythmisch bezwingende Musik ist gerade der heiße Tipp im seit einiger Zeit florierenden Genre Blasmusikpop.
Jüngst erschien beim Münchner Alt-Indie-Label Trikont das erste, allseits beklatschte Album der 2007 gegründeten und bisher vor allem im Süden der Republik bekannten Kapelle. Und jetzt trauen sich Kofelgschroa auch zum ersten Mal zu einem Konzert nach Berlin rauf. Sie sind Teil der von verschiedenen Mundartkapellen wie der Biermösl Blosn, den Global Krynern oder HMBC angestoßenen und von Alpenrock- und Neuen Volksmusikbands wie Hubert von Goisern oder Attwenger flankierten Blechmusikbewegung, die von den Alpen ausgehend nach und nach die Republik erobert.
Seit kurzem interessiere sich auch der trendbewusste Stadtmensch dafür, haben die in Mollakkorde, akustische Endlosschleifen, Wechseltakte, mehrstimmigen Gesang und valentineske Texte verliebten Jungs von Kofelgeschroa festgestellt. Es spricht sich halt herum, dass aus starrer Tradition gelöste Volksmusikharmonien oft aufregender sind als stereotype Popmelodien. Dazu kommt die neue Begeisterung, mit der sowohl Dörfler als auch Städter sich in Lederhosen werfen, Hirschgeweihe übers Sofa hängen, in neue Heimatfilme rennen und Landmagazine oder Dorfromane lesen. Gerade ist wieder einer erschienen, „Blasmusikpop“ von Vea Kaiser – die reinste Provinzfolkore. Regional schlägt das Herz, wenn es im Globalen friert.
„Das ist die Ironie des Schicksals, dass unser Album und der Heimat-Hype zusammentreffen“, seufzt Tenorhornist Meichelböck. „Wir sind der Gegenentwurf zu diesem Kommerzding. Wir brauchen keinen Bayern-Hype, wir haben eine Identität, wir wissen, wo wir herkommen.“ Genau das ist es, was Kofelgschroa so anziehend macht. Sie sind echt und ihre Musik ist handgemacht. Ohrputzer für von elektronischen Imitaten verstopfte Gehörgänge. Heimatklänge frei von jedem volkstümelnden Verdacht. Sie selbst nennen es Pop. Das passe besser als Volksmusik, Punk, Indie oder Balkan Brass. Nach Letzterem klingt die Band zwar eh kaum, doch Meichelböck weiß: „Der hat die Blasmusik clubfähig gemacht.“
In der Tat hat der durch die Filme von Emir Kusturica und später auch die Spielfilme und Dokumentationen über das wilde Trompetenfestival im serbischen Guma an westliche Ohren gedrungene Gypsy- oder Balkan Brass einiges damit zu tun, dass Blech plötzlich wieder cool ist.
Davon können auch La Brass Banda ihre irren von Funk, Techno, Ska, Balkan beeinflussten Lieder singen. Die fünfköpfige Band aus dem Chiemgau hat sich 2007 gegründet und vergangenen Dezember nach 500 Konzerten auf der ganzen Welt ihren Tourabschluss in der Münchner Olympiahalle gefeiert – vor 12 000 ausflippenden Fans, wie sich auf dem neulich ebenfalls bei Trikont erschienenen Livealbum nachhören lässt. Der Einstieg auf Platz 15 der deutschen Albumcharts zeigt: Dieses ebenso wahnsinnig tobende wie unfassbar virtuose Dancefloor-Blech ist definitiv aus der Flüsterecke raus, auch wenn die allesamt studierten Orchestermusiker im Blasmusikentwicklungsland Berlin noch im Astra laden statt in den Großarenen.
Am Chiemsee reißt gerade der Himmel auf. Die Sonne kommt raus. „Schee“, sagt Stefan Dettl am Telefon. Der 31 Jahre alte Trompeter ist nicht nur der Motor und Frontmann von La Brass Banda, sondern mit seinem Solobandprojekt auf dem besten Wege zum bayerischen Popstar. So hetzt er auch dieses Jahr, in dem die Kapelle verschnauft und nur sechs ausgewählte Konzert gibt, von Auftritt zu Auftritt. Klar hätten sie von der Balkanwelle profitiert, sagt er. Und der international klingende Bandname war Mittel zum Zweck. „Hier wollte uns zuerst ja keiner veranstalten – Blasmusik spielen, barfuß und in Lederhosen auftreten ging gar nicht.“ Erst seit sie erfolgreich Konzerte in Kroatien, England, Frankreich, Dänemark spielen, geht auch in deutschen Clubs und auf Festivals was.
„Egal ob Polka oder Reggae, wir bauen Zitate aus der Volksmusik der ganzen Welt bei uns ein und machen was Neues draus“, sagt Stefan Dettl. Seine eigentliche Vorbilder wohnen aber nicht auf dem Balkan, sondern in New Orleans, wo junge Blaskapellen die Jazztradition der Marching Bands aufnehmen und sie mit Hip-Hop und Funk kreuzen. Sein Aha-Erlebnis hat er in New York bei einem Konzert der Youngblood Brass Band gehabt. „So was muss doch auch bei uns funktionieren“, dachte er sich und überredete vier Konservatoriumskollegen eigenen Blasmusikpop zu machen. Und wie der funktioniert: Der pumpende druckvolle Sound von La Brass Banda lässt die Massen hüpfen. Zuhören und still sitzen ist komplett unmöglich. Musik als Droge, als Steinerweicher, als Mauerneinreißer – zwischen Bläsern und Publikum, zwischen Musikstilen. La Brass Banda ist die Erfüllung eines biblischen Versprechens: Die Wucht des Blechs ist schließlich seit den Trompeten von Jericho bekannt.
„Die Blechmusik trifft einen direkt im Körper“, hat denn auch Stefan Dettl als einen Grund für das neue Faszinosum gerade in der mit seelenlosen Samples aufgewachsenen Generation MP3-Player erkannt. Sie ist ja nichts als Atem und sie kostet sichtbar Kraft. Er selbst spielt eine kleine, durchdringendere Es- statt der üblichen B-Trompete. „Sonst könnte ich keine zwei, drei Stunden bei unseren Konzerten durchhalten.“ Was soll da erst Tubist Andreas Hofmeir sagen, der parallel zur Band auch noch als Professor am Mozarteum in Salzburg unterrichtet.
Mit Hofmeir hat die Newcomerin Maria Reiser neulich in München mal eine Session gespielt. Die Tuba gebe einer Band eine ganz eigene Bassfarbe, sagt die 31 Jahre alte gelernte Film-Modellbauerin. Seit 2007 lebt die Sängerin, Gitarristin und Akkordeonspielerin aus der Holledau in Friedrichshain und feilt seit dem vergangenen Jahr von Berlin aus an ihrer Profikarriere und ihrem erstem eigenen Album „Bayern goes World“. Erst neulich hat ihre fünfköpfige Band ausgesprochen zünftig in der Malzfabrik in Schöneberg aufgespielt. Mit Posaune und Tuba weniger als solistisch eingesetztem, sondern als urig rhythmisierendem Element.
Die Musikerin kokettiert mit jedem denkbaren Alpenklischee und tritt im Dirndl auf. Allerdings musste sie erst ein halbes Jahr in Südafrika herumreisen, um das Jodeln von Afrikanern neu zu lernen. Im Hofbräuhaus von Las Vegas hat sie dann getestet, dass ihre bayerische Popweltmusik auch in Amerika funktioniert. Und natürlich glaubt auch Reiser an das so lange als Synonym für dumpfe Marschmusik verpönte Blech. Weil eine ganz eigene archaische Kraft darin liegt. „Als Erstes bläst man als Kind wo rein, dann erst zupft man vielleicht auch an was.“ Zudem hat ihre gelegentliche Monotonie für sie etwas Meditatives. „Die Blasmusik ist der Grund, sie ist die Erde.“ Und jetzt auch eine ebenso alte wie neue Musikkultur – in der ganzen Welt, nicht nur im Bayernland.
Kofelgschroa spielen am 30. 8., 21 Uhr, im Liesl, Nogatstr. 30, Neukölln. Maria Reiser am 26. 8., 20 Uhr, beim Bayernabend im Keyzer Soze, Tucholskystr. 33, Mitte
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