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„God Save the Queen“. Mit diesem Poster machte Jamie Reid 1977 Promotion für die Punkband Sex Pistols.
© Jamie Reid, V&A

Design: Die Königin und ihre Kinder

Es ist der kommerzielle, kapitalistische Urgrund des Pop, gegen den der Punk wenigstens einige Wimpernschläge lang rebellierte. London, vorolympisch: Das Victoria and Albert Museum präsentiert „British Design 1948 - 2012“.

Und das sind nur die Hauptacts einer gigantischen Veranstaltungswalze: Im Hyde Park hält Madonna Hof, auf dem Trafalgar Square treffen sich 1000 Tänzer eine Woche lang zum „Big Dance“, das vermutlich größte Shakespeare-Festival der Welt versammelt 70 Inszenierungen jenes rätselhaften Genies, das auf jeden Fall ein Engländer war (oder eine Engländerin, wie gelegentlich behauptet wird). Die Tate Modern stellt drei Öltanks als Performance-Bühnen auf, die Themse wird zum „River of Music“ und schon vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in London (27. Juli bis 12. August) feiert „World Pride“ schwul-lesbische Kultur.

Das olympiagestützte Kulturprogramm zieht sich durchs gesamte Vereinigte Königreich, bis weit in den September hinein, auch Künstler aus Berlin sind an der Peripherie dabei. Die Choreografin Constanza Macras geht mit mittelalterlichen Fabeln in die Wälder von Wales, und an der nordirischen Küste installiert der Sound-Erfinder Hans Peter Kuhn seine „Flags“.

Schneller, höher, teurer. London probt den kulturellen, kommerziellen Wahnsinn, was sich mit coolem britischen Understatement in einer neuen 50-Pence- Münze ausdrückt. Auf dem Geldstück – die Quadratur des Kreises – ist die Fußball-Abseitsregel eingeprägt.

Football is coming home, die „Olympics“ auch. Olympische Spiele sind ebenso eine internationale Party wie eine Angelegenheit des nationalen Stolzes. Eine Fortschrittsmaschine. Sehr schön ist das zu studieren im Victoria and Albert Museum in der Schau „British Design 1948-2012: Innovation in the Modern Age“. 1908 war London zum ersten Mal olympischer Gastgeber, aber die Spiele von 1948 markierten einen epochalen historischen Einschnitt, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Niedergang des Empire. Martin Roth, der deutsche Direktor der ehrwürdigen Londoner Institution, spricht von einer „bahnbrechenden Präsentation“ britischer Innovationskraft in den vergangenen 60 Jahren. Die Briten mussten sich neu erfinden und wurden in den Sechzigern eine Zeit lang zur kulturellen Weltmacht. In den USA sprach man von der British invasion.

In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren allerdings entdeckt man da noch wenig Spektakuläres. Nichts jedenfalls, was sich nicht auch in Amerika oder auf dem Kontinent in betont sachlich-kühler, damals als modern empfundener Form entwickelt hätte, zwischen Städtebau und Sitzmöbeln.

Die Krönung der blutjungen Königin Elisabeth II. im Jahr 1953 erscheint heute natürlich als ein Ereignis mit großem Traditionspomp, aber es zeigen sich auch schon erste Spuren popkultureller Verehrung. Seltsam, wie die Zeit sich verschiebt, wenn sie ins Museum kommt. Nur ein Vierteljahrhundert später stürmen die Sex Pistols als Monarchen der Gosse die Weltbühne. Das von Jamie Reid vor auch schon wieder 35 Jahren entworfene Poster „God Save the Queen“ mit dem Union Jack und dem mit dem Schriftzug der Band verklebten königlichen Mund hängt wie eine Trophäe in der unterkühlten Ausstellung, ein Kronjuwel der Popkultur wie Mary Quants Minikleid und die Alben der Beatles. Vinyl war ja nie ganz weg. Wieder dieses verschobene Zeitgefühl: Das berühmte (und oft gecoverte) Cover von „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ (1967) mit all seinen Celebrities und dem Blumenschriftzug der Beatles erweckt schon a priori den Eindruck eines Epitaphs, eines Friedhofs der Ikonen, während das „White Album“ an Malewitsch erinnert, die abstrakte Avantgarde der russischen Revolutionszeit.

Wie viele britische Popmusiker haben sich auf Kunst- und Designschulen erfunden, und das gilt bis heute! Von Beginn an traten Roxy Music und Bryan Ferry wie Dandys auf (er sollte sich dann auch als Tory outen), Ferry trug weißen Smoking, während David Bowie und Marc Bolan von T. Rex in stellaren Strampelanzügen ein neues Glamour-Barock aufführten. Dessen Insignien, Bühnenkostüme in Museumsvitrinen, wirken unglaublich harmlos, neckisch. Dagegen strahlt Michelangelo Antonionis London-Film „Blow up“ von 1966, der hier breit gewürdigt wird, noch immer eine produktive Unruhe, ein Flackern, eine nie befriedigte Begierde aus. Pop war immer das Versprechen, dass es eine Kultur gebe, die Träume und Sehnsüchte weckt und erfüllt. Es ist der kommerzielle, kapitalistische Urgrund des Pop, gegen den der Punk wenigstens einige Wimpernschläge lang rebellierte. Aber auch das war am Ende nur eine Korrektur, die Entstehung eines neuen Designs. Der letztlich autoaggressive Punk aber hat sich als nachhaltiger erwiesen als so viele andere Strömungen.

Die Schwäche der Ausstellung britischen Designs von 1948 bis 2012 liegt in der Selbstbeschränkung. Gemeint sind nicht unbedingt Popkultur und Lifestyle, vielmehr Design im engeren Sinn; und dabei erstaunlich wenig Mode, wenig bildende Kunst und nur ein Hauch vom Swinging London der Sixties. Man begegnet dem ersten Mini Cooper von 1959, dem „Auto für die Frau“, dem Land Rover, dem Jaguar E-Type von 1961, der Concorde (freilich nur als Modell und im Film). Das Überschallflugzeug mit der Spitznase, das im Jahr 2000 auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle ein so schreckliches Ende fand, war eine britisch-französische Koproduktion.

Und so wird britisches Design, je weiter die Zeit fortschreitet, immer weniger als solches erkennbar. Denn jetzt erreicht jenes Land, das schon zu Shakespeares Zeiten global agierte, die aktuelle Phase der Globalisierung. Jonathan Ive, ein Brite, hat den knallbunten iMac G3 entworfen, aber Apple verkauft sich als amerikanisches, in China zusammengesetztes Produkt. Design kann alles sein und überall, es ist das produktive Herangehen an die Welt und ihre Gegenstände, das Bedienen, Behausen, Bekleiden, Bespaßen von Menschen ohne Unterlass. Olympisch formuliert: Design ist das Doping des Alltags.

Die jetzt die Londoner Spiele präludierende Ausstellung wurde weitgehend aus den riesigen Beständen des V & A bestückt. Und darin liegt das Charakteristische von Design made in England. Es handelt sich um jene Energie, die aus Innovation und Revolution immerzu Tradition erschafft. Der Mini lebt weiter, wenn auch unter bayerischem Management, Punk’s not dead, und die Queen regiert noch immer. Die Briten haben zwar nicht Olympia erfunden, aber den Sport mit dem eiförmigen und auch den mit dem runden Leder. Und bevor in London die Fackel entzündet wird, geht es nach Polen und in die Ukraine zur Fußball-Europameisterschaft.

„British Design 1948 - 2012: Innovation in the Modern Age“, Victoria and Albert Museum, bis 12.8. Infos: www.vam.ac.uk

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