Neues Album von Cold Specks: Die Knochen und die Seele
Feiner Elektro-Soul: Cold Specks und ihr sehr persönliches Album „Fool’s Paradise“.
Das Haar der jungen Frau wird von einem schwarzem Tuch bedeckt. Vor ihrem geschminkten Gesicht hängt eine Reihe feiner Kettchen, den Blick hält sie gesenkt. Verschlossen und introvertiert wirkt dieses Porträt. Doch das Album, dessen Cover dieses Bild schmückt, ist das genaue Gegenteil: Es steht für eine Öffnung. Ladan Hussein, die Ende der Achtziger in Toronto zur Welt kam und seit fünf Jahren unter dem Namen Cold Specks Musik macht, gibt sich darauf persönlicher denn je in ihrer Karriere.
So versteckt sie sich jetzt nicht mehr hinter dem Pseudonym Al Spx und thematisiert erstmals ihre somalische und muslimische Herkunft. Eine Premiere ist auch, dass sie auf Somali singt. Nur eine Zeile zwar, aber immerhin im Titelstück von „Fool’s Paradise“, das die Platte eröffnet. Sie lautet „Kala garo naftaada iyo laftaada“, was soviel heißt wie „Verstehe den Unterschied zwischen deinen Knochen und deiner Seele.“ Es folgt die Anrufung der mystischen somalischen Königin Araweelo, von der es heißt, sie habe ihre männlichen Gefangene kastrieren lassen. Auch der restliche Text ist rätselhaft und von beunruhigenden Bildern („Opened up like a torn out eye“) durchzogen, was im Kontrast zum sanften Sound des Songs steht, der an die Entspanntheit von Morcheeba- und Sade-Stücken erinnert.
Kein Versteckspiel mehr
Bekannt geworden ist Cold Specks 2012 mit ihrem Debütalbum „I Predict A Graceful Expulsion“. Es entstand größtenteils in London, klang aber stark nach dem amerikanischen Süden: düsterer, von Gospel und Folk infizierter Soul, den sie selbst als „Doom Soul“ bezeichnete. Sie sang von krachenden Knochen, brennenden Herzen und einem Glauben, den man damals noch für einen baptistischen oder presbyterianischen halten konnte. Das passte auch zu den kursierenden Andeutungen über eine streng religiöse Familie, die nichts vom musikalischen Werdegang der Tochter erfahren durfte. „Es ging um Auslöschung. Ich wollte nicht als Ladan Hussein in dieser Welt existieren“, schreibt sie rückblickend über diese Zeit. „Es ist sehr schwer als schwarze muslimische Frau zu existieren. Ich fand, dass ich immer drei Mal so hart arbeiten muss.“
Die Liebe zu sich selbst, die ihr damals gefehlt hat, habe sie nun wiedergefunden. Das Versteckspiel ist vorbei. Ladan Hussein wohnt inzwischen wieder in Toronto, wo sie viel Unterstützung von der somalischen Community bekommt. Auch ihre Eltern besuchen manchmal ihre Konzerte. Während der Arbeiten an ihrem dritten Albums hat sich Hussein intensiv mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt. Ihre Eltern hatten nie viel über ihre Zeit in Mogadischu vor dem Krieg erzählt. Als die Musikerin nun eher zufällig herausfand, dass ihr Vater in den siebziger Jahren in einer recht bekannten Band namens Iftin gespielt hatte, schaute sie sich alte Videoaufnahmen an und beschäftigte sich mit somalischer Musik.
Abschied von der Gitarre
„Fool’s Paradise“ sei davon inspiriert, sagt Hussein, wobei dieser Einfluss ein eher subtiler bleibt, tragen die zehn Stücke doch ein zeitgemäßes Elektro-Soul-Gewand. Bei dessen Zuschnitt hat wieder ihr langjähriger musikalischer Partner Jim Anderson geholfen. Es dominieren mittlere Tempi und reduzierte Arrangements, wobei akustische Instrumente praktisch keine Rolle mehr spielen. Gitarren – einst zentral bei Cold Specks – sind völlig verschwunden. Geblieben ist ihr ungemein ausdrucksstarker, immer von Melancholie und Verletzlichkeit durchdrungener Gesang, der eine fast hypnotische Wirkung entfalten kann. In „Two Worlds“ schwebt er zunächst andächtig über einem Orgel-Arpeggio und verhuschten Synthie-Akkorden, bekommt dann zusammen mit einem zaghaften Bassdrum-Klopfen etwas mehr Kraft, um schließlich in einen Refrain von herzzerreißender Zartheit zu münden. Dass er mit der Zeile „Got there before they cut right through with dull knives“ beginnt, ist wieder so eine Text-Sound-Schere wie im Titelstück.
Liebeslied an ihre Mutter
Ausnahmsweise etwas schneller und grollender geht es in „Rupture“ zu, dessen Klangarchitektur an Moderat denken lässt. Auch das folgende „Void“ gibt sich beattechnisch muskulöser – vielleicht der erste Cold Specks-Song, der es mal in einen Club schaffen könnte. Die Single „Wild Card“, die von Jessie Wares erstem Album beeinflusst zu sein scheint, ist mit ihren Snare- und Schnipsbeats, der federnden Basslinie und den warmen Orgel-Akkorden ebenfalls tanzbar. Das Stück sei ein Liebeslied an ihre Mutter, hat Ladan Hussein erklärt: Als einmal ein somalischer Flüchtling im Geschäft der Familie gestrandet sei, habe die Mutter dem völlig unbekannten Mann sofort geholfen, einen Schlafplatz zu finden und sei dann mit ihm in ein Restaurant gegangen. Diese spontane Hilfsbereitschaft hat Cold Specks zu der Refrainzeile „I’ll be there for you/Don’t know why“ inspiriert. Könnte auch hierzulande eine Hymne für Helferinnen und Helfer von Geflüchteten werden.
„Fool’s Paradise“ erscheint bei Arts & Crafts. Konzert: 14.10., 20 Uhr, Musik & Frieden, Falckensteinstraße 48
Nadine Lange
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