Kolumne „Spiegelstrich“: Die Kanzlerin sagt... ja, was eigentlich?
Die Kanzlerin liebt Passivkonstruktionen und meidet Verben: Angela Merkel verrät mit ihrer Formular-Sprache viel über sich selbst.
Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“.
Angela Merkel, sarkastische Wortesucherin, kann feinschmeckerisch formulieren, gern bei einem Glas Weißwein, doch nicht öffentlich. Wenn die Kanzlerin öffentlich redet oder wenn sie die in angstfreier Atmosphäre gefallenen Worte später für ein Zeitungsinterview autorisieren soll, sammelt sie ihre Lustworte wieder ein und legt ein Wattebällchen auf jede Silbe.
Angetreten, 2005, ist sie mit Erklärungen wie diesen: Sie fahre „auf Sicht“, was Sorgsamkeit suggeriert; und sie denke „die Dinge vom Ende her“, was Weisheit insinuiert, denn wer außer Merkel kennt schon das Ende?
Ihr Zittern der vergangenen Monate ordnete Merkel in einen „psychologisch-verarbeitenden Prozess“ ein, so redet sie heute und erklärt damit nichts. Sie möchte Probleme „ganzheitlich angehen“ und suche eine „europäische Lösung“. Das bedeutet gleichfalls nichts, da keine Tat folgt. Selbst wenn sie jugendlich leidenschaftlich sein will, ist das rhetorische Maximum, „dass der Klimawandel schneller stattzufinden scheint, als wir das noch vor ein paar Jahren gedacht hätten“.
Meinem „Zeit“-Kollegen Marc Brost fiel auf, dass Merkels Ziel, sie wolle „eine Stabilitätsunion“ erreichen, derart langweilig sei, dass niemand sich traue, nachzufragen: Äh … pfff … was, bitte, ist das? Und wünscht irgendwer außer Putin das mutmaßliche Gegenteil, eine Chaosunion? Auch dies ist ein Kanzlerinnensatz: „Die gesamte mittelfristige Finanzplanung muss überschaubar sein, und damit kommt Stabilität und Verlässlichkeit auch in diese Dinge hinein.“
Verbleichen nach Sekunden
Zweierlei fällt auf:
- Merkel meidet Verben. Klar, sie muss hin und wieder eines einstreuen für das, was sie für Satzbau zu halten scheint, aber dann nimmt sie die totesten Verben, die sie finden kann.
- Ihre wenigen Verben substantiviert sie gern, ansonsten meidet sie sogar Substantive. Alles viel zu eckig und markant. Da gibt’s stattdessen ein „dieses“ und immer wieder „diese Dinge“: Sätze, die so geformt werden, sind nach Sekunden verblichen.
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Sie kommt in den Saal und sagt: „Ich freue mich darauf, Ihnen heute wieder einmal im Rahmen dieses Hierseins in der Bundespressekonferenz Rede und Antwort zu allen Themen zu stehen, die uns beschäftigen.“ Weiß sie noch, dass sie im Rahmen ihres Hierseins mit Menschen kommuniziert? Warum „die Bürgerinnen und Bürger“; und nicht „wir Deutsche“? Es ist die Sprache von Formularen. Menschen kommunizieren so nicht miteinander, es sei denn, eine oder mehrere von drei Thesen träfen zu:
- Die eine Seite hat vergessen, dass die andere gleichfalls wichtig ist.
- Die eine wünscht nicht, dass die andere Seite Freude am Widerspruch entwickelt.
- Die eine Seite denkt nach all den Jahren im Amt so bräsig, wie sie redet.
Unkonkreter Floskelunfug
„Ich ahne, wovon ich spreche, meine Damen und Herren“, sagte Merkel 2007; und 2013: „Denken beim Reden ist auch nicht so einfach.“ Das Erste stimmt hoffentlich, das Zweite zweifellos. Zu wissen scheint Merkel immerhin, dass Politiker energisch wirken sollten, weshalb sie Begriffe wie „sehr dringend“ und „sehr intensiv“ wählt. Floskelunfug – nie messbar, nie konkret.
Darum auch dieses elende Passiv: „Die Entscheidungen wurden gestern getroffen.“ Sie sagt nicht: „Wir haben gestern entschieden.“ Wieso nicht? Das Passiv ist im Deutschen eine Art Leidensform, und einzig im Leid ist es sinnvoll: „Ich wurde von der Schlange gebissen“, oh je.
Angela Merkel jedoch ist ungern „ich“, viel lieber gebraucht sie die dritte Person Singular und dort das Gruselwörtchen „man“: „Man hat die Erfahrung gemacht …“ Warum nicht: „Ich habe gelernt …“? Schon wären wir neugierig aufgewacht.
Klaus Brinkbäumer