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Eröffnung des Berliner Theatertreffens: Die Kämpfe der Gegenwart

Etwas Besseres ist dem Theatertreffen lange nicht passiert: Alexander Kluge spricht zur Eröffnung, und Heiner Müllers "Zement", die letzte Inszenierung von Dimiter Gotscheff, bringt kräftigen Wind auf die Bühne.

Sebastian Blomberg als heimkehrender Revoluzzer und der Chor der Arbeiter in Dimiter Gotscheffs "Zement"-Inszenierung aus dem Münchner Residenztheater.
Sebastian Blomberg als heimkehrender Revoluzzer und der Chor der Arbeiter in Dimiter Gotscheffs "Zement"-Inszenierung aus dem Münchner Residenztheater.
© Armin Smailovic/Berliner Festspiele/dpa

Großes Theater braucht keine Aktualität. Wenn es großes Theater ist, fällt sie ihm zu von selbst. Fjodor Gladkows Revolutionsroman „Zement“ erschien 1926, am Berliner Ensemble wurde 1973 Heiner Müllers Stück uraufgeführt, der 1995 starb. Der Sätze geschrieben hat, in denen das Theater selbst zu sprechen scheint: „Die Toten warten auf der Gegenschräge. Manchmal halten sie eine Hand ins Licht. Als lebten sie. Bis sie sich ganz zurückziehen in ihr gewohntes Dunkel das uns leuchtet.“

Mit „Zement“ vom Münchner Residenztheater hat am Freitagabend das 51. Berliner Theatertreffen eröffnet, Dimiter Gotscheffs letzter Inszenierung; er ist im letzten Oktober gestorben. Es war eine schwere Luft im Festspielhaus, so viel Erinnerung, Verlustgefühl, Geschichte. Aber auch ein kräftiger Wind wehte von der Bühne, aus dem Text, diesem antiken Drama. „Wir brauchen die Stimmen von Müller und Gotscheff“, sagte Alexander Kluge in seiner kurzen, eindringlichen Festrede, der kleine Filme mit Heiner und Mitko vorausgingen, amüsante Studien über das Schweigen und die Macht der Worte. Kluge erinnerte daran, dass „Zement“ aus jener Gegend stammt, in der antike Mythen spielen (Medea) und jetzt ein ukrainisch-russischer Bürgerkrieg angemischt wird: „Kollektives Unglück, das keiner beherrscht.“  Und: „In diesem Stück sind alle Abgründe der Gegenwart geöffnet.“

Etwas Besseres ist dem Theater und seinem Berliner Gipfeltreffen lange nicht passiert. Man muss nicht Kluges finsteren Optimismus teilen, der auch noch sagte: „Müller und Gotscheff müssen wieder schreiben und inszenieren, große Massen an Stoff warten.“ Aber in einem Theaterbetrieb, der sich auf Formate und Installationen reduziert, wirkt dieser massive Block befreiend. Gotscheff inszeniert Text. Man könnte es klassisch nennen, oder ein „weltliches Requiem“ (Kluge). Ezio Toffoluttis Bühne, weiß-grau wie der Werkstoff, aus dem unsere Städte gebaut sind und von fern an einen griechischen Tempel erinnernd, öffnet einen gewaltigen Echoraum. Hier kämpfen Menschen mit Hunger und Eifersucht, Produktionsbedingungen und Kriegstraumata, Idealen und Befehlen, Not und Gefühl. Die frühe Sowjetunion als Laboratorium der Gegenwart, die an einem Zuviel an Geschichte und Zukunft erstickt.

Helden, die unter der Last zusammenbrechen: Sebastian Blomberg und Bibiana Beglau

Sie sind Helden, weil sie unter der Last zusammenbrechen. Sebastian Blomberg als Gleb Tschumalow, ein Kraftkerl, Kriegsheimkehrer, der zuhause alles verloren findet, seine Ehe, sein Kind, das Zementwerk. Bibiana Beglau als Dascha, seine Frau, die von Weißarmisten vergewaltigt und gefoltert wurde, die auf ihren Mann jahrelang gewartet hat, die mit vielen Genossen im Bett war und keine Frau mehr sein will, nicht mehr weiß, was Liebe ist. Dascha kann die Verhärtung nicht mehr lösen, sie spricht bald wie eine Maschine, ihre Stimme, ihr Körper wendet sich mit letzter Kraft gegen sich selbst. Während Gleb weitermacht, pragmatisch, innerlich ausgehöhlt. Es geht hier nicht allzu sehr um Psychologie. Gotscheff löst die Spannung gelegentlich mit Komik auf. Valery Tscheplanowa ist beider Kind, Nurjka, das Mädchen wird sterben im Heim. Sie singt herzzerreißend – und trägt mit Eiseskälte die mythischen Passagen vor, von Prometheus und Herakles, deren Nachfahren hier zermahlen werden. Ein starkes Ensemble. Eine starke Botschaft: Müller kann wieder gespielt werden, bald zwanzig Jahre nach seinem Tod.

Von Revolutionskitsch war er nicht frei. Dazu passt die Idee der Festspiele, eine von Ai Weiwei gestaltete Skulptur als Theatertreffen-Trophäe zu kreieren. Kleine Stücke Armierungseisen aus den beim Erdbeben von Sechuan eingestürzten Häusern, bei dem so viele Menschen starben. Jetzt in Berlin und in Bronze. Als Zeichen für die Fragilität der Verhältnisse, wie Intendant Thomas Oberender meinte. Almut Zilcher, Gotscheffs Frau, bekam das geschmacklose Ding für den toten Gatten überreicht und überlegte, wie sie es mit den fabelhaften Münchner Schauspielern teilt Und ob man es nicht zersägen könnte. Sack Zement!

Mehr zum Berliner Theatertreffen: www.tagesspiegel.de/theatertreffen

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