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Kultur: Die Hölle ist ein schlechter Witz

Staatsopernakt: Philipp Stölzl legt Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ trocken.

Zweieinhalb Mal gelacht an diesem Abend, mit viel gutem Willen. Das erste Mal beim Katerensemble auf dem Olymp, weil Gustav Peter Wöhler als Jupiter so nette quergestreifte Söckchen trägt (Ursula Kudrnas Kostüme haben überhaupt Humor). Das zweite Mal als Juno, Jupiters Gattin (Irene Rindje), so hausfrauenmäßig losschwäbelt, ganz wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Und das halbe und letzte Mal, als im Zuschauerraum rote Lämpchen angehen und Pluto der olympischen Reisegesellschaft auf ihrer Sightseeingtour durch die Hölle erklärt, dass man hier erstens die Überreste des Berliner Schiller Theaters sähe und die Besucher mit ihren Karten zweitens die ewige Verdammnis erworben hätten, dergestalt, dass sie für den Rest ihres Lebens diese Vorstellung ansehen müssten, wieder und immer wieder.

Zweieinhalb Mal, das ist in jeder Beziehung zu wenig. Zu wenig für zweieinhalb zähe, lähmende, Riesenratlosigkeitslöcher in die Bühnenatmosphäre stanzende Stunden. Zu wenig für Jacques Offenbach, dessen quirlige Subversivitäten und grelle Mythentravestie man hier nicht im leisesten ahnt. Und zu wenig auch und vor allem für die Staatsoper, die partout von der sogenannten leichten Muse nicht lassen kann oder will und einen Flopp nach dem anderen produziert (zuletzt mit der „Fledermaus“). Man kann nur hoffen, dass das aufhört, wenn Barrie Kosky an der Komischen Oper ab 2012/13 seine Großoffensive in Sachen Operette, Show, Jazz-Revue startet. Berlin hätte es verdient.

Dabei lasen sich die Voraussetzungen für Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ gar nicht so übel. Ein Regisseur, Philipp Stölzl, der sich als Werbefilmer in der Unterhaltungsbranche gut auskennt und als gelernter Bühnenbildner ästhetisch immer sattelfest arbeitet (wie zuletzt bei seiner „Rienzi“-Inszenierung an der Deutschen Oper). Eine neue Textfassung aus der Feder von Thomas Pigor, deren Witz sozusagen vorverbrieft war. Ein musikalischer Arrangeur, Christoph Isarel, der nicht nur an der Seite von Max Raabe oder Dominique Horwitz bewiesen hat, dass er weiß, was er tut. Und eine Handvoll hochkarätiger Schauspieler, von denen man meinen sollte, dass sie sich nicht auf jeden Schmu einlassen. Prompt dauerten sie einen am meisten: Stefan Kurt als Orpheus, der mit Bärtchen und Hüftknick virtuos näselnd zusammenrafft, was er bei Robert Wilson und von Charlie Chaplin so gelernt hat; Cornelius Obonya als Öffentliche Meinung, ein Typ wie von der Hamburg- Mannheimer, den die Regie leider genauso behandelt, nämlich gar nicht; und Hans-Michael Rehberg als elegisch säuselnder, latent überbesetzter Styx.

Dass Ben Becker als Aristeus/Pluto eine krasse Fehlbesetzung ist, Mephisto- Käppi hin oder her, weil er handwerklich nichts anderes kann als den röhrenden Hirsch, ist scheints niemandem aufgefallen – ebenso wenig wie die Tatsache, dass dieses Stück ohne weibliche Hauptdarstellerin nicht funktioniert. Evelin Novak hat zwar liebreizende Pausbäckchen, aber sonst nicht viel, um glaubhaft zu machen, warum Eurydike bei Offenbach – im Gegensatz zu Ovid, Monteverdi oder Gluck – um jeden Preis in der Unterwelt bleiben will. Am schlimmsten aber wird dem von Tänzerinnen verstärkten Damenchor der Staatsoper mitgespielt (Choreografie: Mara Kurotschka): hier eine wackelige Fernsehballetteinlage, dort ein paar windschiefe Soli, oje. Der echte, fette Trash ist Stölzls Sache nicht, irgendwie will er lieber Staatstheaterkunst machen, weshalb solche Nummern in maximale Peinlichkeit münden. Noch schwerer wiegt nur, dass er die zweite Ebene nicht findet, das Grauen, den Biss des Geschehens – weil er sie nie sucht. Da helfen textweise auch keine „Wertedebatten“ oder letzte Worte à la Goethe oder Steve Jobs.

Musikalisch wird das Ganze durch Zitate aus Wagners „Parsifal“ aufgepeppt und durch Schlagzeug, Saxofon und Banjo. Die überschaubare Combo sitzt unter der Leitung von Julien Salemkour hinten auf der Bühne, in einer jener aufklappbaren Postkarten, die das Bühnenbild ausmachen (Conrad Moritz Reinhardt) und mal Aristeus Hütte abgeben, mal Olymp, mal Grotte, mal Ballsaal. So kreativ diese Idee, so dürftig klingt die Musik. Und das ist denn vollends unverzeihlich. Wäre diese Produktion in einem der Varieté- und-Fresszelte der Stadt zur Welt gekommen, man hätte sich, ein volles Glas und lustige Freunde in Reichweite, nicht weiter gestört an solch grämlicher Magerkost. So aber ist und bleibt es die Berliner Staatsoper, die meint, origineller sein zu müssen als Offenbach und seine Rezeption zusammen. Wie heißt es so schön? Wer kann, der könnte. Ganz vielleicht.

Wieder am 23., 25. und 28. Dezember sowie am 4. Januar.

Christine Lemke-Matwey

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