Kuppeln der Hauptstadt: Die Himmel über Berlin
Mit oder ohne, das ist die Frage beim Stadtschloss. Eine kleine Architekturgeschichte der Überhöhungen, für eine Stadt, die Übung hat mit Kuppel-Debatten.
Sie ist Himmel und Höhle, Feier des Heiligen, Bauch des Architekten, ein Wunder der Statik. Manchmal besitzt sie ein Auge, manchmal wird sie von einem Tambour geschmückt, einem Kreuz, einer Sichel: Die Kuppel ist fast so alt wie die Geschichte der Architektur. In ihr manifestiert sich die Idee, dass ein Bauwerk mehr kann, als bloß Schutz vor widrigen Winden und anderen Feinden zu bieten. Sie überhöht den geweihten, besonderen Ort.
In diesen Tagen wird über die Rekonstruktion der Berliner Schloss-Kuppel nachgedacht und gestritten. Die Pläne des Schloss-Architekten Franco Stella sehen sie vor, bloß finanziert ist sie nicht – nächsten Mittwoch kommt die Chose ins Parlament. Eine gute Gelegenheit, sich über Berlins Kuppeln Gedanken zu machen. Die Stadt hat Übung mit Kuppel-Debatten: Der Disput über die von Schlüter geplante und von Friedrich August Stüler 1853 errichtete Kuppelhaube über dem Eosander-Portal und der Schloss-Kapelle erinnert an den Streit beim Umbau des Reichstags in den 90er Jahren.
Ohne Wallot-Kuppel ist der Reichstag bloß Tankstellen-Architektur, schimpften die Abgeordneten damals, so wie heute geunkt wird, ohne Kuppel sehe das Schloss wie eine Streichholzschachtel aus. In den Neunzigern wurde Stararchitekt Norman Foster gebeten, das transparente Flachdach seines Reichstagsentwurfs gegen eine Kuppel auszutauschen – die aber eigentlich aus dem Entwurf seines spanischen Wettbewerbskontrahenten Santiago Calatrava stammte. Die gläserne Kuppel wurde gebaut, Calatrava schäumte und drohte mit Rechtsstreit. Zwar verzichtete er auf eine Klage, hat in Berlin seitdem aber bloß die Kronprinzenbrücke gebaut, die das Regierungsviertel mit dem Rest der Stadt verbindet.
Dass die Reichstagskuppel heute als eine der schönsten modernen Architekturen Berlins gilt, nämlich als Wahrzeichen der Demokratie, ist eigentlich ein Paradox. In der Regel sind es undemokratische Bauwerke, die von Kuppeln gekrönt werden, Schlösser, Kirchen, Moscheen, Königs- oder Gotteshäuser. Eine Kuppel hat etwas Monarchisches, ihr majestätisches Rund verspricht Pathos und Prunk. Aber es gibt auch den Aspekt der Teilhabe, der gleichen Entfernung aller zum Zentrum (heute tragen Sportpaläste oft Kuppeln), ja der Leichtigkeit des Seins: Wer kennt nicht den Moment der Levitation beim Blick in die Höhe, zur frei schwebenden steinernen Masse.
So viele Kuppeln, so viele Baukunststücke, heiter oder hässlich, kreisrund oder oval, archaisch, gülden, von berückender Feierlichkeit: Berlin, Stadt der Kuppeln, von den Kirchen in Mitte bis zu den Moscheen in Kreuzberg, vom überkuppelten U-Bahnhof Nollendorfplatz bis zum Zeiss-Planetarium. Im Herzen der Stadt dräut vis-à-vis dem Schlossplatz die pompöse Kuppel des Berliner Doms, im Hintergrund lugt die goldene Haube der Synagoge an der Oranienburger Straße hervor. Dazwischen liegt die Museumsinsel, sie beherbergt Kuppeln vom Feinsten, sichtbare (wie die vom Bode-Museum) und gut versteckte (wie die unter einem Kubus verborgene Rotunde des Alten Museums).
Im Neuen Museum sind der historische Nordkuppelsaal mit Nofretete und der elegant gemauerte Südkuppelsaal von David Chipperfield mit der Kolossalstatue des Sonnengotts Helios über eine fantastische Blickachse miteinander verbunden. Chipperfields fein gefügtes, offenes Backsteingewölbe ist die schönste zeitgenössische Kuppel-Variante in Berlin, so wie Schinkels Rotunde mit der kassettierten Decke im Alten Museum erhabene Retrogefühle weckt, in Reminiszenz an die Antike.
Die Rotunde ist dem Pantheon in Rom nachempfunden. Nur wenige Schritte vom Schlossplatz Richtung Südwesten, noch vor dem Gendarmenmarkt mit den Kuppeltürmen des Deutschen und des Französischen Doms, ergänzt die Hedwigskathedrale mit ihrer grünen Schildkrötenhaube das Kuppelpanorama von Mitte. Durchmesser: 40 Meter. Das Original in Rom hielt mit 43,4 Metern 1753 Jahre den Welt-Kuppel-Rekord, von 128 bis 1881 n. Chr. Nicht einmal Michelangelos Petersdom (42,3 Meter) konnte dem Pantheon den Rang ablaufen. Was heutzutage, in Zeiten von Stahl, Beton und Glasfaser-Membran, ein Klacks wäre. Den aktuellen Rekord hält ein Sportheiligtum: Der Louisiana Superdome in New Orleans wird von einer 207 Meter weiten Kuppel überspannt – wobei es sich streng genommen um eine Zeltkonstruktion handelt.
Am Anfang war übrigens der Keilstein. Bis zur Erfindung der trapezförmig behauenen Steine, mit denen sich frei stehende Bögen konstruieren ließen, hatte der Homo sapiens mit vorkragenden, sich übereinanderschiebenden flachen Steinplatten experimentiert. Aber so ein Kraggewölbe reichte nur wenige Meter und hielt nicht gut. Erst mit den Keilsteinen (und dem „opus caementitium“, einem betonähnlichen Werkstoff) ließen sich größere Distanzen überwölben, ohne Säule, ohne Einsturzgefahr. Anfangs vor allem für Mausoleen, Baptisterien und andere Heiligtümer, später für Kreuzkuppelkirchen und die prachtvoll ornamentierten Moscheen in der Welt des Islam. Die Kuppel ist der Sieg der menschlichen Intelligenz über die Schwerkraft, die Transformation des Eckigen ins Runde – Gegenfigur zur Quadratur des Kreises.
Dass die Liebe zur Kuppel in der Renaissance besonders groß war (Brunelleschis Ziegelkuppel des Florentiner Doms!), hat damit zu tun, dass die Baumeister Abbilder der Schöpfung errichten wollten: Mauern, die die Welt bedeuten – und das Dach darüber ein Himmelsgewölbe, ein Sternenzelt.
Vor Gigantomanie wird übrigens gewarnt, sie pervertiert die gebaute Utopie himmlischer Weiten. Die Hagia Sophia, einer der bedeutendsten Kuppelbauten des Islam, stürzte 558 nach einem Erdbeben ein. Mit etwas höherer (!) Wölbung und besserer Stütztechnik wiedererrichtet, wurde die byzantinische Kirche zur Moschee umgewidmet und wird heute als Museum bestaunt.
Und Berlin? Die böseste Kuppel der Stadt wurde zum Glück nie gebaut: In Albert Speers „Halle des Volkes“ in der Nazi-Welthauptstadt Germania sollten bis zu 180 000 Menschen Platz finden, unter einem 250 Meter überspannenden Halbkugeldach. Dagegen nimmt sich selbst der Dom-Klops bescheiden aus – und die Schlosskuppel erst recht. Auf Stellas Plänen erreicht sie eine Höhe von 70 Metern, und die Wölbung über dem oktogonalen Schaft ist genau genommen ein Oval, 24,6 Meter lang, 23 Meter breit. Nur damit die unter der Reichstagskuppel versammelten Haushälter am Mittwoch wissen, wofür 15 Millionen Euro in der Schloss-Schatulle fehlen.