zum Hauptinhalt
Documenta
© dpa

Documenta 12: Die Helden helfen nicht mehr

In Kassel endet die "Weltkunstausstellung". Die Macher sprechen von der "Documenta 12" als einem Erfolg, doch auch dieses Jahr offenbarte sie gewisse Schwächen.

Ein Stoßseufzer der Erleichterung dürfte dem Geschäftsführer der Documenta entfahren sein, als am vergangenen Wochenende die magische Zahl 650.000 endlich überschritten und die erste Zielvorgabe der internationalen Großausstellung erreicht war. Zumindest die Publikumsmenge der vorherigen Documenta sollte sie übertroffen haben, das war von Anfang an klar. Über Zahlen lässt sich nicht streiten. Bis zum Wochenende gibt es nun letzte Gelegenheit, das Fridericianum, den Auepavillon, die Documentahalle, die Neue Galerie zu besichtigen. Mag auch der Großteil des Publikums aus Kassel selbst und Nordhessen stammen, davon überwiegend Schulklassen, die Erfolgsgeschichte der „Weltkunstausstellung“, wie sie sich nennt, ist glücklich fortgeschrieben.

Trotz der Rekordmeldung will nicht recht Freude aufkommen über die Documenta 12. Die professionelle Kritik scheint sich auf ein Missfallen eingeschworen zu haben. In einem Akt des Aufbegehrens setzte sich Roger M. Buergel, der künstlerische Leiter des Unternehmens, kurz vor Torschluss mit einer doppelseitigen Erwiderung im „Spiegel“ noch einmal gegen den „Lynchmob“ zur Wehr, der beschlossen habe, seine Ausstellung zu hassen. „In der Verurteilung der Documenta 12 drücken sich Ratlosigkeit und Angst aus,“ konstatierte er – Angst vor der Globalisierung und Angst vor dem Verlust eines festen Kanons.

Kassel als Trutzburg bildungsbürgerlicher Tugenden

Womit er zweifellos Recht hat. Nur hatte seine im Vorfeld als Hort der Schönheit, als Stätte der ästhetischen Bildung, als Bollwerk gegen den überhitzten Markt deklarierte Documenta genau mit jenen Ängsten operiert und gerade Kassel als Ort des Heils, ja als Trutzburg bildungsbürgerlicher Tugenden deklariert. Kein Wunder, dass die Kritik umso heftiger ausfällt, wenn sich der vermeintliche Retter am Eröffnungstag mit einer rhetorischen Volte entzieht („Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass ich jemand bin, der eine Richtung vorgibt“) und das Ergebnis dürftig ausfällt.

Gerade darin dürfte die Documenta neben den Besucherzahlen einen weiteren Rekord gebrochen haben: Wohl nie ist im Vorfeld der alle fünf Jahre stattfindenden Schau in den Feuilletons, den Kultursendungen und Kunstmagazinen mehr berichtet worden. Nie zuvor haben sich die professionellen Beobachter zu solch euphorischen Ankündigungen hinreißen lassen, noch bevor das „Museum der 100 Tage“ überhaupt dem Publikum zugänglich war. Einerseits ist das dem enorm gewachsenen Interesse an zeitgenössischer Kunst geschuldet, nicht zuletzt animiert durch die aberwitzig hohen Preise auf den Auktionen. Andererseits drängt die veränderte Medienlandschaft zunehmend zur Vorab-Berichterstattung, die sich dann angesichts der Tatsachen als trügerisch erweisen kann.

Was also ist schief gelaufen? Und: Ist die Documenta wirklich das Desaster, als das sie allgemein verhöhnt wird? Zunächst hat noch jede Documenta einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. In ihr kreuzen sich so viele Erwartungen, Vorstellungen von Kunst und ihrer künftigen Form, dass noch keine Ausgabe auf die sofortige Gegenliebe von Kritikergemeinde oder Kuratorenkollegen stieß. Das beantwortet zugleich die immer mitgestellte Frage, ob sich in Zeiten der permanent vervielfältigenden Biennalen, des sich immer schneller drehenden Rades im Kunstbetrieb, das Modell Documenta nicht längst erübrigt hat. Gerade nicht, wie sich aus den Reaktionen ablesen lässt.

Mit der Zeit relativiert sich die harsche Kritik

Kassel ist seit Gründung der Documenta Mitte der Fünfziger der mythische Ort, um neue Ausstellungsformen zu erproben, aktuelle Werke einem breiten Publikum vorzuführen, den Diskurs über Kunst in neue Bahnen zu leiten. Dieser Anspruch wird nirgends so dezidiert formuliert, nirgends der Ausstellungsmacher so sehr zum Helden stilisiert wie hier. Die planmäßige Enttäuschung hat sich jedoch häufig im Nachhinein relativiert, wie sich nicht zuletzt an der heftig verrissenen Documenta 10 von Catherine David erwies. Heute ist auch den schärfsten Kritikern ihrer als zu unsinnlich und diskurslastig gescholtenen Ausstellung klar, dass die französische Kuratorin mit ihrer Politisierung von Kunst den Künstlern eine neue gesellschaftliche Verantwortung zusprach. Insofern hat sich Buergel mit seiner Kritikerschelte keinen Gefallen getan. Die Zeit arbeitet für ihn. Retrospektiv könnte seine Documenta visionär gewesen sein.

Trotzdem bleibt Bitterkeit zurück, wenn man an die Rumpelkammer Auepavillon denkt. Hier wurde Kunst so lieblos reingesteckt, dass man sich noch immer fragt, wie ein Kurator das verantworten kann. Vielleicht steckt darin die Ursache des Problems: Buergel hatte sich bis zur Documenta nur mit kleineren Ausstellungen an der Peripherie hervorgetan. So wie die Kritikergilde glaubte auch die Berufungskommission, die nicht zuletzt eine Kurskorrektur weg von theorielastigen Documentas seiner beiden Vorgänger Catherine David und Okwui Enwezor beabsichtigte, dem eloquenten Feingeist seine Versprechungen nur zu gern. Für die Mammutaufgabe einer Documenta, mit ihrem 20-Millionen-Etat, braucht es aber einen erfahrenen Kurator, ergänzt um ein Beraterteam, und nicht nur die Partnerin, ist sie auch noch so versiert.

Ungünstiges Leitmotiv

Gerade darin steckt auch das größte Dilemma der Documenta 12: dass sie den Blick nicht erweitert, sondern verengt. Die „Migration der Formen“ vermag als Leitmotiv eine solche Großausstellung nicht zu tragen. An vielen Stellen wirkt sie formalistisch durchkonjugiert. Alles, was mit Stoff zu tun hat, kommt in eine Abteilung, egal aus welcher Zeit, aus welchem Zusammenhang. Die pompös angekündigte „ästhetische Bildung“ tritt an vielen Stellen überdidaktisch, bevormundend auf, wenn nur oberflächlich verknüpfte Sujets wie Wasser, Straße, Auto sich aneinander reihen. Hinzu kommt Buergels erklärte Vorliebe weniger für die Kunst der Gegenwart als der Vergangenheit, was die Integration alter Kunst, Jahrhunderte alter Teppiche und asiatischer Papierarbeiten, zur Folge hat. Sie bleiben bei ihm letztlich exotischer Zierrat, was seiner Documenta auch die Charakterisierung „privatistisch“ eingebracht hat.

Stark ist diese Documenta mit der Rehabilitierung in Vergessenheit geratener Positionen aus den sechziger Jahren wie von Mira Schendel oder Charlotte Posenenske. Bei den Zeitgenossen, für die eine Documenta geschaffen ist, aber bleibt sie schwach. Nur wenigen Werken gibt sie den Rahmen, dass sie strahlen. Eine Ausnahme bildet Trisha Browns Tanzstück „Floor of the Forest“. Hier verdichtet sich auf einmal der von Buergel beschworene Geist von ästhetischer Erfahrung, die Zusammenführung von sinnlicher Anschauung und intellektuellem Reiz. Die Amerikanerin choreografierte es allerdings schon 1970. Dem Documenta-Besucher wird auf einmal nostalgisch, was kaum in der Absicht der Ausstellungsmacher liegen konnte.

Documenta, Kassel, noch bis 23. September; täglich 10 bis 20 Uhr. Informationen: www.documenta.de

Documenta
Documenta: Das Mohnfeld von Sanja Ivekovic vor dem Museum Fridericianum in Kassel. -
© Imago

Zur Startseite