Bilder vom Kalten Krieg: Die große Angst
Als die Apokalypse vorstellbar wurde: Martin Roemers' Fotoserie „Relikte des Kalten Krieges“ im Deutschen Historischen Museum Berlin erinnert an die Zeit, in der die Welt am atomaren Abgrund stand..
Der Begriff „Kalter Krieg“ ist ein Euphemismus. Denn er verschweigt nicht nur, dass dieser Weltanschauungskonflikt immer wieder heiß geworden ist, in Korea, Vietnam oder Afghanistan, mit Millionen Toten. Er unterschlägt auch die Langzeitfolgen der Angst und des Hasses, die sich tief in die Seelen der Menschen gesenkt haben, besonders in Europa, wo die unmittelbare Frontlinie verlief. Es waren – und das wäre vielleicht wäre eine bessere Bezeichnung für diese nur oberflächlich friedliche Epoche – Jahre, in denen die Apokalypse vorstellbar wurde.
Der Besuch der Fotoausstellung „Relikte des Kalten Krieges“ im Deutschen Historischen Museum gleicht einem Abstieg ins kollektive Unbewusste. In einer höhlenartigen Inszenierung im Untergeschoss des Hauses hängen, nur von Punktscheinwerfern beleuchtet, großformatige Abzüge der Bilder, die der holländische Fotograf Martin Roemers seit Ende der neunziger Jahre von Orten der großen Angst gemacht hat. Nachdem in der Kuba-Krise klargeworden war, wie schnell die Welt an den Abgrund der atomaren Vernichtung geraten kann, hatten Militärs und Entscheidungsträger in Ost wie West begonnen, sich immer tiefer in die Erde einzugraben. Man bunkerte sich ein, auch ideologisch. Wer länger abtauchen könnte, so die illusionäre Hoffnung, würde siegen.
Pläne für den Untergang
Im Atomschutzbunker, der ab 1960 in Marienthal für die Bundesregierung gebaut wurde, führen von Neonröhren gleißend erhellte Schächte in labyrinthische Unterwelten. An einer Stelle lehnt ein Fahrrad an der Wand, der Tunnelkomplex umfasst ein Wegenetz von 19 Kilometern. Bis zu 3000 Menschen sollten hier 30 Tage lang den Beginn eines dritten Weltkriegs überleben können. Und dann? Die Tunnel machen einen sauber durchgefegten, vorbildlich gepflegten Eindruck. Es sieht so aus, als ob der Regierungsbunker jederzeit Gäste aufnehmen könnte, eine Untergangsgesellschaft wie in Boccaccios „Decamerone“. Vielleicht ist der nächste Krieg bloß verschoben.
Am Zustand der unterirdischen sowjetischen SS-4-Raketenabschussbasis im litauischen Plokfmiai lässt sich hingegen ablesen, wer den Kalten Krieg verloren hat. Von den Wänden blättert die Farbe, technische Geräte rosten vor sich hin. Ruinen markieren in ihrer malerischen Verkommenheit eine Kapitulation. Wahrscheinlich hat der Kapitalismus deshalb über den Kommunismus gesiegt, weil er die größeren Ressourcen besaß. Im Bundeswehr-Versorgungslager im hessischen Lorch, einer raumschiffgroßen unterirdischen Anlage, signalisiert ein Schild an einer Weggabelung, dass hier nur mit Tempo 30 gefahren werden darf. Es ist eine dunkle, klaustrophobische Gegenwelt, in die Roemers’ Fotos führen. Am Ausgang des Nuklearbunkers im südenglischen Kelvedon Hatch zeigt sich ein Hauch von Hoffnung. Efeu hat die kreisrunde Öffnung überwuchert, dazwischen strömt Tageslicht herein.
Martin Roemers, der 2014 unter dem Titel „Eyes of War“ seine erschütternden Porträts von Opfern des Zweiten Weltkriegs im DHM zeigte, hat elf Jahre an seinem neuen, rund 70-teiligen Zyklus gearbeitet. Ihm ging es um einen „authentischen Zustand“ der Objekte, die er fotografierte. Orte, die zum Museum umdekoriert worden waren, haben ihn nicht interessiert. So wirken die Räume am beklemmendsten, in denen sich seit dem Mauerfall scheinbar nichts verändert hat. In der Nachrichtenzentrale der Zivilschutzorganisation im niederländischen Schagen hängt die grafische Darstellung eines Atompilzes neben einem Telefon-Verschlag, darauf sauber vermerkt, wie groß die Gefahr in welchem Abstand zur Explosion ist. In solchen Bunkern sollte die Evakuierung der Zivilbevölkerung im Kriegsfall organisiert werden, und das Atompilz-Plakat half, das Phantasma aufrechtzuerhalten, dass auch im Fall eines letalen Fallouts noch Rettung möglich sei.
Wahnsinn bekommt Kommandogewalt
Roemers zeigt bis zur Decke mit Überwachungsmonitoren, Telefon- und Computeranschlüssen überladene Kommandozentralen, in denen noch immer Paranoia und Hybris zu herrschen scheinen. Im Befehlszentrum der belgischen Armee in Kemmel, einem unterirdischen Stahlbetonbau aus dem Jahr 1953, stehen zwei Reihen von Stahlrohrstühlen für den Krisenstab bereit. Daneben hängt eine raumhohe Europakarte, auf der sich Einschlagsorte und Angriffsziele markieren lassen. Ein Telefon im Vordergrund warnt: „Deze telefoon is niet veilig“, dieses Telefon ist nicht sicher.
Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, im unterirdischen NVA-Fernmeldebunker Wollenberg bei Bad Freienwalde, findet sich ein ähnliches Arrangement aus Metallschreibtischen, Telefonanlagen und Schaltkästen. Nur die Vorliebe für floral ornamentierte Kunststofffußböden hatte der Ostblock exklusiv. Jederzeit, so glaubt man, könnte hier Peter Sellers als Dr. Seltsam aus Stanley Kubricks gleichnamiger Militärkomödie durch die Tür treten und im Namen des Wahnsinns die Befehlsgewalt übernehmen. Nur, dass wir uns mit diesen Bühnenbildern in der Wirklichkeit befinden, nicht in einer Satire.
Wo Highttech verrostet
In einer besonders gelungenen Inszenierung hängen sich die Fotos von 14 Überresten einstiger Hightech-Waffen-Arsenale in einer Rotunde gegenüber. Es scheint, als ob sie einander immer noch feindlich mustern würden. Die zerrupften Antennenkuppeln der amerikanischen Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg sehen wie extraterrestrische Riesenpilze aus. Auf einem ehemaligen Fliegerhorst im polnischen Przesieczany verrotten sowjetische Jagdbomber. An der Nasenspitze einer Mig 21 hebt ein Schäferhund sein Bein. Das Atomwaffen-Forschungsgelände auf der englischen Nehrung Orford Ness haben die Versuche in eine Mondlandschaft verwandelt. Wo die Natur sich Orte zurückholt, geht von ihrer Ruinenschönheit Trost aus.
Die Ausstellung endet mit den Toten. Die Porträttafeln auf den Gräbern eines sowjetischen Militärfriedhofs in Potsdam sind von Pflanzen überwuchert, die Farben ausgewaschen. Woran die Soldaten starben, von deren Gesichtern bloß noch ein Auge, ein Mund, ein Kinn erkennbar sind: unklar. Vielleicht bei einem Unfall, vielleicht an einem Herzinfarkt. Der Tod, so viel steht fest, ereilte sie fern ihrer Heimat. Sie sind die Toten des Kalten Kriegs.
Deutsches Historisches Museum, bis 14. August. Täglich 10–18 Uhr.
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