Kultur: Die Grenzgänger
Ólafur Ólafsson und Libia Castro leben als Künstler in Berlin. Auf der Biennale Venedig vertreten sie Island
Düster ist es in dieser Ecke Berlins. Keine Restaurants, die abends die Straßen erleuchten. Keine Menschen auf den Gehwegen. Keine Kneipen. Wenn man sich im Villenviertel am Halensee so umsieht, fragt man sich, warum einen immer alle vor Neukölln warnen. Andererseits: Wenn man dann die Residenz des Isländischen Botschafters betritt, wegen einer jener Veranstaltungen, bei denen es in jeglicher Kleidung unmöglich ist, sich nicht underdressed zu fühlen, versteht man das wieder. Ja, hallooo, willkommen, legen Sie ab, kennen Sie schon …, darf ich vorstellen …, sagen Sie, wussten Sie …, Canapés, nein danke, Champagner? Ja bitte.
Und jetzt noch mal ohne Vorurteile: Nett sind sie, die Isländer und ihre Anhänger, ein bisschen geschwätzig. Machen mit Anekdoten über taghelle Sommernächte und winterliche Nordlichter die vielen Anzüge und Silbertabletts schnell vergessen. Spätestens als die Gruppe Künstler, der zu Ehren all das Gläserklirren stattfindet, in die Mitte tritt, sind sämtliche Spießergesten vergeben. Eine knickt vor ihrem Gemälde auf dem Absatz um, ein anderer fasst seine Arbeit mit den Worten „Das ist ein Stab“ zusammen.
Die meisten Lacher aber erntet dieses ungleiche Pärchen, er dunkelblond, schmal und aus Reykjavík, sie schwarzhaarig, rassig und aus Madrid. Ólafur Ólafsson und Libia Castro sind die Stars der Vernissage, bei der mit isländischen Werken und ihren nebenstehenden Schöpfern gezeigt werden soll, dass die Inselbewohner mehr drauf haben als nur Vulkanausbrüche. Damals, beginnt Ólafsson, als sie ihre Idee das erste Mal vortrugen, sei die Antwort eindeutig gewesen: „Schön. Aber nein.“ Gemeinsam mit Lebens- und Arbeitspartnerin Castro hatte er sich in den Kopf gesetzt, den Isländischen Botschafter in Berlin ein Bild ausmalen zu lassen. Das war schwierig. Erstens hatte das dortige Ministerium ein Problem damit. Und zweitens der Botschafter.
Dabei hatten die beiden schon viel Überzeugungsarbeit geleistet. Mit ihrer Reihe, die eher an eine Kampagne als an Kunst erinnert. Das Motto: „Dein Land existiert nicht“. In verschiedenen Sprachen ließen die Künstler den Satz auf T-Shirts oder Tassen drucken. Man hörte ihn im Radio, sah ihn im Fernsehen. Sogar einen Getränkeautomat gab es, der nicht verriet, welche Dose er nach dem Geldeinwurf ausspucken würde. Geschweige denn, ob darauf „Tu país no existe“ oder „Dit land findes ikke“ stehen würde.
Nun wollten Ólafsson und Castro unbedingt, dass der Botschafter in seinem Anwesen im Grunewald jenen Spruch aufschreibt. In Reinform und mit Farbe. Denn daran versucht sich das Künstlerpaar: Sozialkritik, Medienkritik, Politikkritik. Oder zumindest, Menschen zum Reflektieren zu bringen. Regierende aufzuwecken. Selbst wenn diese dafür einen Pinsel in die Hand nehmen müssen. 2003, zum Zeitpunkt des Irakkriegs und unzähliger Proteste, stellten sich die zwei eine Frage, die ihr späteres Leitmotiv regelrecht heraufbeschwor: „Wem gehört ein Land?“ Libia Castro blickt ihren ernsthaften Blick. Die Augen grün, der Lidstrich lang. „Wenn Nationen reine Kreationen sind“, Grenzen gezogen werden. Überhaupt, wie viel darf der Bürger schon mitbestimmen? Was ist seine Stimme wert, wenn Länder in den Krieg ziehen?
Das erste Mal kreuzten sich ihre Lebensläufe, als Ólafsson und Castro 1997 ein Semester in den Niederlanden studierten. Er war bereits auf der Schule mit Theater und Malerei in Berührung gekommen, sie hatte sich geschworen, etwas anderes als ihre Eltern – Kunstprofessoren – zu werden. Bis die junge Libia irgendwann, während eines ihrer Design-Seminare, vom Dozenten zur Seite genommen wurde. Bei den Aussagen, die sie machte, den Überlegungen, die sie antrieben, da läge doch auf der Hand: „Sie sind Künstlerin.“
Wenige Monate nachdem sie sich kennengelernt hatten, waren Ólafsson und Castro in eine Liebes- und Arbeitsbeziehung gestolpert. Und noch heute, nachdem sie zusammen recherchiert, gedreht, gezeichnet und renommierte Preise gewonnen haben, 2008 ein Jahr im Künstlerhaus Bethanien zubrachten und seitdem zwischen Reykjavík, Rotterdam und ihrer Wohnung am Hermannplatz pendeln, würden sie nicht einen Moment auf die Kreativität des anderen verzichten wollen. „Klar gibt es Hochs und Tiefs“, meint Ólafsson. „Klar verarbeiten wir unsere Konflikte auch in unseren Werken“, meint Castro. Klar funktioniert das. Und wie. Bei der diesjährigen 54. Venedig Biennale stellen sie im Isländischen Pavillon aus, mit Ellen Blumenstein als deutscher Kuratorin, einer sympathischen und – natürlich – politisch aktiven Frau. Sie hat den offenen Brief an Klaus Wowereit initiiert, in dem sich 200 Künstler über das Lieblingsprojekt des Regierenden Bürgermeisters empörten, seine geplante Kunsthalle inklusive „Leistungsschau“. Bei dem Vorhaben ginge es nur noch um Marketing, so Blumenstein, „darum, zu zeigen wie bunt und international Berlin ist“. Die Kunst selbst rücke in den Hintergrund. Ólafur Ólafsson nickt heftig, wenn er auf das Schreiben angesprochen wird: „Libia und ich haben sofort unsere Namen darunter gesetzt.“
Ólafur Ólafsson nickt auch heftig, wenn er in der Westberliner Residenz vor dem schwarzen Bild mit großem weißen Fleck steht. Denn nebendran dokumentieren zwei eingerahmte Fotos, dass sie den Botschafter doch noch dazu bekommen haben, zum Pinsel zu greifen. Da steht Herr Gunnar Snorri Gunnarsson, Isländischer Botschafter, die Augen zusammengekniffen, das Hemd in der Stoffhose. Und malt. „Auf die Weise hat er einen wunderschönen Nachmittag verbracht“, erzählt das Paar.
Nur auf einen kleinen, aber feinen Kompromiss mussten sie sich einlassen. Das „nicht“, das englische „not“, brachte der Diplomat weder übers Herz noch auf die Leinwand. Nur wenn man ganz genau hinsieht, bemerkt man die Bleistiftumrisse, die ihm Ólafsson und Castro vorgegeben hatten. Sonst liest es sich jetzt so: „Your country does exist.“
Annabelle Seubert
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