Theaterpreis Berlin: Die "good vibrations" des Maxim-Gorki-Ensembles
Shermin Langhoff und Jens Hillje vom Maxim Gorki Theater sind mit dem Theaterpreis Berlin ausgezeichnet worden. Das Theater sei „Ort des Vorgeschmacks für eine künftige Gesellschaft“.
Manchmal ist es ja besser, gleich in die Zukunft zu springen und die Hürden einer komplex-komplizierten Gegenwart damit schon der Vergangenheit zuzuschlagen. Jedenfalls war es genial, dass Shermin Langhoff, die türkisch-deutsche Intendantin des Berliner Maxim Gorki Theaters, ihre mit aller Kunst in die Großstadtgesellschaft einwirkende Theaterarbeit schon früh, bereits als Festivalmacherin beim HAU und dann als Leiterin des Ballhauses Naunynstraße, als „postmigrantisch“ bezeichnet hat. Das war gleich: Avantgarde – während andere gerade erst das Unwort „Migrationshintergrund“ zu buchstabieren begannen.
Als Shermin Langhoff und ihr dramaturgischer Mitstreiter und heutiger Gorki-Kodirektor Jens Hillje am Sonntagmittag im Haus der Festspiele den zum 29. Mal verliehenen und mit 20 000 Euro dotierten Theaterpreis Berlin erhielten, nahm Festspiele-Intendant Thomas Oberender in seiner Begrüßung den Ball gleich auf. Leicht ironisch nannte er den Begriff „Postmigrantisches Theater“ Shermin Langhoffs erfolgreiches „Sturmgeschütz“. Mit ihm haben sie und Hillje „transformiert, was man so Stadttheater nennt“ und das Maxim Gorki seit drei Jahren zu einem „Ort des Vorgeschmacks für eine künftige Gesellschaft“ gemacht.
Bevor sie diesen Gedanken selber weiterspielte, hat die in Berlin und jetzt auch in Istanbul lebende, in Russland geborenen Autorin Sasha Marianna Salzmann („Muttersprache Mameloschn“) erst mal für geistige Entspannung gesorgt. So locker, so uneitel persönlich und mit heiterstem Ernst ist eine Laudatio beim Theaterpreis Berlin noch selten gehalten worden. Salzmann begann ihre Theaterpreisrede mit dem Blick nach draußen, sie zitierte dabei ihren türkisch-deutschen Schriftstellerkollegen Selim Özdogan und dessen Erzählung mit dem Titel „Vibrationshintergrund“.
Theatermacherin Yael Ronen beschwört die "good vibrations" am Gorki
„Er selber verstand als kleiner Junge statt ,Zivilcourage‘ immer ,Zivilgarage‘ und stellte sich eine Garage voller Polizisten vor. Nun kommt seine kleine Tochter zu ihm und sagt: ,Papa, die Lehrerin in der Schule hat gesagt, ich habe einen Vibrationshintergrund. Was ist das?‘ Die gesamte Geschichte über erklärt Özdogan der Tochter, dass Vibratoren etwas sind, was den Leuten Spaß macht. Sie sind ihnen aber auch peinlich, darum verstecken sie sie weit hinten in der Schublade und holen sie dann heraus, wenn sie ihren Spaß haben wollen. Weiter vergleicht Özdogan Migrant/-innen mit Vibratoren und findet, dass seine Tochter den Punkt genau getroffen hat: Wir machen Spaß, wir sind ein bisschen peinlich, wir werden ausgepackt, wenn man uns braucht – und wir vibrieren.“
Auch die israelische Theatermacherin Yael Ronen, die in ihrer Inszenierung „The Situation“ die in Mitteleuropa sich auswirkenden Folgen des Nahostkonflikts mit allen deutsch-christlich-jüdisch-israelisch-palästinensisch-muslimischen Komplikationen hochkomödiantisch auf die Gorki-Bühne und zum gerade laufenden Theatertreffen gebracht hat, beschwor in ihrer Gratulation immer wieder die „good vibrations“ – wie alle anderen Autoren, Musiker, Schauspieler, Regisseure des vielstimmig eingeschworenen Maxim-Gorki-Ensembles.
"Gorki ist ein Prisma. Eine Metapher für ein Denkprinzip"
So herrschte ungetrübte Festtagslaune, obwohl die Berliner Zukunft auch schon derart begonnen hatte, dass vor den Toren Studierende der Filmschauspielschule Berlin öffentlich um ihre Existenz bangten und gegen die Kündigung ihrer Unterrichtsräume zum Monatsende wegen einer horrenden Mieterhöhung demonstrierten. Doch drinnen im Saal war erst mal überraschend wenig von aktueller Politik zu spüren. Nur auf der Programmkarte stand neben dem Foto der Preisträger rot das Wort „Revolüsyon!“. Sonst aber wurde auf Türkisch meist nur Müttern, Freunden und Mitarbeitern gedankt. Auch Marianna Salzmann erinnerte zunächst daran, dass Langhoffs und Hilljes Theater den „Vibrierenden“ das Fremde und Exotische genommen und ins Selbstverständliche verwandelt habe. Freilich müsse man im Erfolg nun aufpassen, damit nicht strukturell folgenlos vereinnahmt zu werden. Jedenfalls gelte: „Das Maxim Gorki Theater unter eurer Leitung ist kein postmigrantisches Haus. Es ist ein Haus im 21. Jahrhundert. Mit zeitgenössischen Lesarten von Klassikern von Tschechow bis Shakespeare, mit Festivals zum Armenischen Genozid, zum Arabischen Frühlung, zu Flucht und Vertreibung. Mit Stoffen, die Geschlechterkonstruktionen herausfordern, und mit echt guten Partys. Gorki ist ein Prisma. Eine Metapher für ein Denkprinzip.“ Dieses Theater sei zugleich „sexy“ und „die Verpflichtung zum demokratischen Handeln“.
Langhoff und Hillje wollten eigentlich zu den Wiener Festwochen
Das nahm auch der Regierende Bürgermeister bei der Preisübergabe auf. Im Parkett hatte Michael Müller zwischen Langhoff und Hillje gesessen, als sich beide über ihm als Paar des Tages küssten – Salzmann hatte zuvor erklärt, dass man das Wort „gorki“ oder „gorko“ in Russland als bittersüße Aufforderung bei Hochzeiten rufe. Nun auf der Bühne dankte Müller vor allem seinem anwesenden Vorgänger Klaus Wowereit und dessen Kulturstaatssekretär André Schmitz, dass sie die beiden noch kurz vorm Weggang nach Wien zu den dortigen Festwochen „eingefangen“ hätten: als „Glücksfall für die Stadt“. Es gehe darum, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu verbünden, für ein „gelingendes interkulturelles Miteinander im Theater und in der Gesellschaft“.
Jens Hillje („Ich habe einen friesischen Migrationshintergrund“) und Langhoff werteten diese Einschätzung in ihren Erwiderungen als Verpflichtung auch jeder künftigen Berliner Politik. Langhoff, der für Kunst und Politik Brennenden, war die Freude anzumerken, dass sie angesichts von so viel Harmonie und Hoffnung kein ausdrücklicheres Statement zur Lage der Welt, zu neuen Nationalismen und Grenzen anbringen musste.
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