Von Hippies zu Hipstern: Die globale Klasse, die Jens Spahn so aufregt
CDU-Mann Jens Spahn wettert gegen "elitäre Hipster". Das trägt ihm viel Spott ein. Dabei gibt es sie wirklich, die neue globale Klasse - und sie ist sehr mächtig.
Was trifft, trifft oft auch zu. Wenn dieses Bonmot richtig ist, kann sich Jens Spahn zufrieden auf die Schultern klopfen. Wieder einmal hat es das 37-jährige Enfant terrible der CDU geschafft. Er hat provoziert, alle fallen über ihn her. Kein Wunder. Gegen „elitäre Hipster“ hat er gewettert, die eine „völlig neue Form der Parallelgesellschaft bilden“, gegen die „Generation Easyjet“, in der „junge Leute aus aller Welt unter sich bleiben“, ausschließlich Englisch sprechen, sich von Otto Normalverbraucher abschotten. Besonders in Berlin lasse sich das Phänomen beobachten, meint Spahn, ein Führungsmitglied der CDU, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und vom Image her den Objekten seiner Kritik durchaus ähnlich. Ein hipper rechter Rabauke, homosexueller Katholik, Fitnessfreak, Anecker und Überflieger.
Ganz klar, dass der Spott über Spahns Spott nicht ausblieb. Konservativ, provinziell, spießig seien dessen Ansichten, hieß es. Und damit könnte man die Sache auch schon bewenden lassen, hätte sie nicht einen Aspekt, der über die plakativen Begrifflichkeiten hinausgeht. Der Begriff Hipster wird von Spahn ja eher als Metapher gebraucht. Gemeint sind weniger die Äußerlichkeiten von Hipstern - Vollbärte, Holzfällerhemden, Blümchenkleider, dezente Tätowierungen, übergroße Hornbrillen, Clubmate-Limonade, Wodka, Strickmütze, Fahrräder ohne Gangschaltung. Sondern gemeint sind das Lebensgefühl, das dahinter steckt oder vermutet wird – die Ideologie.
Hipster, das sind Vertreter der „globalen Klasse“, wie sie der Soziologe Ralf Dahrendorf bereits vor knapp zwanzig Jahren beschrieb, prognostizierte und kritisierte („Die globale Klasse und die neue Ungleichheit“). Sie sind jung, gut gebildet, haben mit Computern, dem Internet und Informationsflüssen zu tun, sie reisen viel, sind kosmopolitisch interessiert, leben in Großstädten, sprechen Englisch. Es sind die Profiteure der digitalen Revolution, haben verstanden, dass das Internet einen völlig neuen Typus der Avantgarde krönt. In dieser erweiterten Definition, die auch Nerds, Hacker und Piraten umfasst – eine Geistesgemeinschaft, gegen die sich die Genannten sicher strikt verwahren würden –, steht das Hipster-Bashing stellvertretend für die Ablehnung der „Globalists“ durch Donald Trump, die Alt-Right-Bewegung und andere Rechtspopulisten.
Es ist ein Aufbäumen gegen den Wandel
Hier wie dort soll das politisch-kulturelle Milieu von Otto Normalverbraucher (Joe Sixpack) gegen die Dominanz der „Globalists“ in Medien, Politik und Industrie verteidigt werden. Gegen Großstadt, Multikulti, globale Vernetzung, linke Werte (Ökologie, Gender, Anti-Rassismus). Es ist ein Aufbäumen gegen den Wandel.
Nun gibt es sie ja, die von Dahrendorf diagnostizierte „globale Klasse“. Deshalb macht man es sich in der Auseinandersetzung mit deren Kritikern zu leicht, in diesen lediglich abgehängte Globalisierungsgegner und verstockte Nationalkonservative zu sehen. Spahn mag klingen wie Trump, aber deren gemeinsames Feindbild ist keine „fake news“, sondern real. Der Kampf gegen die „globalists“ wird rhetorisch oft höchst unsensibel (höflich formuliert), manchmal auch zutiefst ressentimentgeladen (etwas drastischer ausgedrückt) geführt. Das zu monieren, entbindet jedoch nicht von der Aufgabe, das Phänomen der „globalen Klasse“ zu verstehen. Das schließt deren Ursprung, ihre Herkunft, Werte und Immunisierungsstrategien gegen Kritik mit ein.
Es ist kein Zufall, dass die „globale Klasse“ ihren Ursprung in Kalifornien hat, genauer in San Francisco. Dort, wo vor 50 Jahren im summer of love die Hippie-Bewegung ihr spirituelles Erwachen feierte, wurde aus dem magischen Wort „change“ die „disruptive innovation“. Im knapp einen Kilometer langen Firmengelände von Facebook sieht man durch große Fenster auf den Pazifik. Im Eingangsbereich steht ein Firmenmodell mit zwei roten Slogans. Auf dem einen steht: „Move fast and break things“, auf dem anderen „What would you do if you weren't afraid?“ Keine Angst haben, ausbrechen aus Konventionen, quer denken: Das knüpft an den Aufstand gegen Kleinfamilien-Tyrannei, verklemmte Sexualmoral und hierarchische Strukturen fast nahtlos an. Der monetäre Wert der Silicon-Valley-Unternehmen beträgt mehr als drei Billionen Dollar. Doch der Faktor Geld kam erst spät zur Cyberkultur hinzu.
Aus Kommunen und LSD entstand die Tech-Szene
Im Museum von Berkeley wurde im Frühjahr die Ausstellung „Hippie Modernism“ eröffnet. Darin wird gezeigt, wie aus Kommunen und psychedelischen Drogen nach und nach eine Moderne entstand, deren Ideale sich in denen des Silicon Valley fortpflanzten. Aus den „Gentle people with flowers in their hair“, wie es in der Hippie-Hymne von Scott McKenzie heißt, entstand eine Tech-Szene, die ebenso weltverbessernd, bewusstseinserweiternd und Establishment-verachtend auftrat, wie es ihre Vorgänger im Jahre 1967 taten.
Eine Präsentation bei Airbnb erfolgt in einem Beduinenzelt, mit Bambusdecke und dickem, rotem Teppich auf gepolsterten Bambusstühlen. Über Yahoo schrieb der Blogger Jim McCarthy vor einem Jahr („The Hippie Values which Made Yahoo the Coolest Company in the World“), die Atmosphäre dort sei magisch gewesen, die Gründer des Unternehmens hätten Schlafsäcke in ihren Büros gehabt, „it was a place which welcomed the weirdos, geeks, thrill-seekers and dreamers“. Sein Artikel endet mit einer Fanfare: „Long live the anti-establishment, counterculture hippies of Silicon Valley!“
Ein Bindeglied zwischen Hippie- und Cyberkultur waren Psychedelika. Von Timothy Leary, dem Psychologen, Autor und LSD-Advokaten, ist der Satz überliefert, der Computer sei das LSD der neunziger Jahre. Mit beiden würden höhere Bewusstseinsebenen erreicht. Steve Jobs, der Gründer von Apple, beschäftigte sich Anfang der siebziger Jahre intensiv mit Meditation und Hinduismus, stark beeinflusst wurde er von dem 1971 erschienenen Buch „Be Here Now“, das als Hippie-Bibel galt. Mehrmals nahm er LSD. Das sei „einer der zwei bis drei wichtigsten Entscheidungen“ seines Lebens gewesen, sagte Jobs später über diese Zeit.
Die Hausgruppe der Merry Pranksters waren Grateful Dead
Ein Mittler zwischen der Hippieszene von San Francisco und der Cyberkultur des Silicon Valley ist der 1938 geborene Stewart Brand. Er war Mitte der sechziger Jahre bei den „Merry Pranksters“, einer Gruppe aus LSD-Freaks und Künstlern, gegründet von Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“), die so genannte Acid-Tests veranstalteten. Gewissermaßen die Hausgruppe der Merry Pranksters waren die Grateful Dead, die auch 1966 in San Francisco bei dem von Brand organisierten dreitägigen Drogen-Festival Trips auftraten.
Zwei Jahre später brachte Brand den „Whole Earth Catalog“ heraus mit praktischen Tipps für das nachhaltige Leben, der in den Hippie-Kommunen viel gelesen wurde, eine „Encyclopedia of countercultural romance“ (New York Times). Darin standen auch Personal Computer. Steve Jobs bezeichnete den Katalog als Vorläufer von Suchmaschinen.
Mitte der achtziger Jahre gründete Brand die erste Online-Community WELL (Whole Earth Lectronic Link). Demokratisierung der Öffentlichkeit, Ende von Deutungsmonopolen, globale Vernetzungen, der freie Fluss von Informationen, Einreißen von Hierarchien, Revolution im menschlichen Bewusstsein: Das alles schien plötzlich möglich zu sein. Die Cyberkultur als die Erfüllung der Hippie-Gegenkultur. Wikipedia entzieht die Definitionsmacht den Experten, Uber und Airbnb ermöglichen eine Gemeinschaft von Teilenden: Das passte zum „Human Potential Movement“, dessen Anhänger davon überzeugt sind, dass das menschliche Bewusstsein größer und sozialer ist als bekannt und auch durch Technologien wie das Internet ausgedehnt und kultiviert werden kann. Kein Aufbäumen mehr gegen Regierungen, Konzerne und Religionen. Jeder Einzelne, aber im vernetzten Verbund, hat es in der Hand, dass die Welt sich ändert.
Die Welt des Digitalen wurde cool und hip gemacht
Das Standardwerk über den Weg der Blumenkinder ins Silicon Valley stammt von Fred Turner, Professor für Kommunikation an der Stanford-University. Es heißt „From Counterculture to Cyberculture: Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism“ (University of Chicago Press, 2006). Demnach zerfiel die Hippie-Bewegung in eine politisierte „Neue Linke“ und eine auf Veränderung des Bewusstsein vertrauende „New Communalists“. Aus den Werten der zweiten Gruppe – wir brauchen weder Regeln noch Regierungen, Bürokratien oder Hierarchien – entstand die Nähe zur Cyberkultur. Die Welt des Digitalen, vom Internet bis zum PC, wurde durch die New Communalists legitimiert, sie wurde cool und hip.
Von den Hippies zu den Hipsters zur globalen Klasse: Aus Jens Spahn sprach bloß ein diffuses Unbehagen. Es ist halt Wahlkampfzeit. Vielleicht aber ist die Sache selbst weit mehr als das.