Kultur: Die Geschichte eines Weggangs
Irina Liebmann las in der fabrik aus „In Berlin“
Es freue sie ganz besonders, sagte die Berliner Autorin Irina Liebmann zu Beginn, als sie am Dienstag im Café in der fabrik las, dass es an diesem Abend um ihr 1994 erschienenes Buch „In Berlin“ gehe. „Denn in der Regel“, so die Schriftstellerin, „wird man immer nur mit dem neuesten Buch eingeladen, am liebsten mit dem, was noch gar nicht erschienen ist – als sei das, was vorher war, gar nicht gewesen.“
Dass Irina Liebmann eine äußerst vielseitige Autorin ist, hatte Elke Liebs, die diesen Literarischen Salon-Abend des Autonomen Frauenzentrums moderierte, in ihrer Einführung besonders betont: Neben literarischer Prosa zählen auch Hörspiele, Theaterstücke, Sachbücher und Bücher mit eigenen Fotos zu ihren Veröffentlichungen.
Für den Roman „In Berlin“, den sie 1987/88 begann, als ihr Antrag auf Ausreise aus der DDR bereits lief und sie überzeugt war, dass dieses Land zusammenbrechen würde, habe sie „mitgeschrieben mit der Zeit“. Um ihrem Anspruch nach größtmöglicher Unmittelbarkeit gerecht zu werden, bediente sich die Autorin eines Kunstgriffs, der ihr die Möglichkeit verschiedener Erzählperspektiven erlaubte, sie nannte ihre Hauptfigur „die Liebmann“.
Der Roman beschreibt die Zeit der späten 80er und frühen 90er Jahre in Berlin, als würde man „in ein altes Foto hineinsehen“ (Irina Liebmann). Über die private Geschichte eines Weggangs aus Ost- und der Ankunft in Westberlin, der Fortsetzung einer Liebesgeschichte, die schon vorher im Osten begonnen hat, aber schließlich verloren geht, hinaus, ist das Buch eine Biografie der Stadt.
In der Zeit des Mauerfalls, aber auch schon in der unmittelbaren Zeit davor, so konstatierte die Autorin im Gespräch, sei im Osten wie im Westen unheimlich viel an menschlichen Beziehungen zerbrochen. Die Gesellschaft sei in eine Art „radikalisierte Moderne“ eingetreten. Auch der Rhythmus des Lebens habe sich stark beschleunigt. Nicht nur im Buch, in dem „innere und äußere Bewegung wie in einem Zopf zusammengeflochten sind“, stellt sich die Hauptfigur die Frage nach den Ursachen dafür – sie schwebte auch nach der Lesung im Raum. Und ließ sich keinesfalls so eindeutig und klar beantworten, wie die Nachfrage aus dem Publikum, was aus den im Buch beschriebenen Menschen geworden sei, ob auch sie zu den Entwurzelten gehören würden.
Dass der von Irina Liebmann sehr authentisch vorgetragene, vielschichtig verwobene Text und das Gespräch darüber bei den Zuhörerinnen ganz unterschiedlich aufgenommen wurde und durchaus konträre Gedanken, Empfindungen und Assoziationen auszulösen vermochte, wurde gegen Ende des Abends deutlich: Die Replik einer Zuhörerin, die eine Ursache für die angesprochenen Veränderungen des Lebens in globalisierten ökonomischen Prozessen sah, in denen der Einzelne recht hilflos sei, löste den Einwurf einer anderen aus, diese Diskussion sei zu pessimistisch und führe von dem Text weg. Sie machte dagegen noch einmal bewusst, wie befreiend es damals war, als die erstarrten DDR-Strukturen endlich aufbrachen.
„Das ist ein bisschen wie im Osten, da musste auch alles positiv enden, sonst musste man sich verantworten“, konterte Irina Liebmann ironisch und las zum Abschluss noch eine wunderbare Textstelle über das wuchernde Leben in Berlin.
Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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