Sasha Waltz und der Kulturhaushalt: Die gefeierte Fußnote
In Berlin wird um den Haushalt gepokert. Eine Verliererin steht schon fest: Sasha Waltz. Sie geht leer aus - weil sie für Berlin zu groß geworden ist.
Es klingt wie ein schlechter Witz: Die Zukunft von Sasha Waltz & Guests hängt von einer Fußnote ab. Als am 20. November der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses über den Haushalt 2014/15 beriet, wurden zwar 1,2 Millionen nachgelegt für die freie Szene. Zu denen, die von der Finanzspritze profitieren, gehören Nico and the Navigators, die Sophiensäle, die Neuköllner Oper und die Tanzcompagnie Toula Limnaios. Aber Sasha Waltz ging leer aus. Eine böse Überraschung.
Es war wohl vor allem die SPD, die eine Aufstockung des Etats torpediert hat. Allerdings gibt es eine ominöse Fußnote: Laut diesem Zuwendungsvermerk sind im Etat der Opernstiftung bis zu 500 000 Euro gesperrt für Sasha Waltz & Guests. Die Entscheidung darüber trifft allein der Kultursenator, also Klaus Wowereit. So schließt sich der Kreis. Die Politiker sind zu keiner Lösung gekommen und haben den Ball zu Wowereit zurückgespielt. Der hätte die Sache noch retten können.
Hinter Sasha Waltz liegt ein Jahr des Hoffens und Bangens. Dabei feierte ihre Compagnie 2013 ihr 20-jähriges Bestehen. Von der Europäischen Union wurde sie offiziell zum „EU-Botschafter“ ernannt – ein einmaliger Zuschuss von 200 000 Euro half ihr, über die Runden zu kommen. Das Karlsruher Medienmuseum ZKM richtete der Choreografin eine Ausstellung aus, die die bildnerische Dimension ihrer choreografischen Arbeiten erfahrbar machte. Der Höhepunkt war freilich die furiose Staatsoper-Premiere des „Sacre du Printemps“ mit Daniel Barenboim als Dirigenten. Parallel dazu spielte sich auf der kulturpolitischen Bühne ein anderes Stück ab: das Herbstopfer. Der letzte Akt in einem lang andauernden Trauerspiel.
Schon Anfang des Jahres hatte Sasha Waltz Alarm geschlagen. Sie werde die Stadt vielleicht verlassen, wenn nicht endlich die Deckungslücke von 500 000 Euro geschlossen werde, die seit acht Jahren besteht. Viele hielten das für eine leere Drohung.
Bislang hatte die weltweit gefeierte Künstlerin die Lücke durch Eigeneinnahmen ausgeglichen. Sasha Waltz & Guests arbeiten im Grunde wie ein mittelständisches Familienunternehmen. Rund die Hälfte ihres Etats, also 2 Millionen, erwirtschaften sie selbst. Zudem hat die international umworbene Choreografin sich ständig neue Partner gesucht.
Sasha Waltz & Guests werden derzeit mit 975000 Euro vom Land Berlin gefördert, hinzu kommen 875000 Euro vom Hauptstadtkulturrfonds – eine Konstruktion, die Waltz selber für unglücklich hält. Die Senatsverwaltungen für Kultur und Finanzen haben einen Mehrbedarf in Höhe von 970 000 Euro anerkannt. Ein entsprechender Antrag wurde vom Kulturausschuss in den Hauptausschuss eingebracht und abgeschmettert. Dieses Nullsummenspiel wird in die Berliner Annalen eingehen: als große Blamage.
Sasha Waltz fühlt sich verschaukelt von der Kulturpolitik. Dabei hatte sie stets signalisiert, dass sie offen sei für verschiedene Modelle. Schon im Sommer 2011 hatte Staatssekretär André Schmitz Kontakt mit ihr aufgenommen, um gemeinsam über das Strukturproblem der Compagnie zu sprechen. Ein Jahr später schien sich eine Lösung im Rahmen einer Neubesetzung der Intendanz des Staatsballetts anzudeuten. Doch das vereinbarte Konzeptgespräch kam nie zustande. Nacho Duato wurde zum neuen Intendanten berufen, in einer Hauruckaktion. Die Chance, Sasha Waltz & Guests in die Opernstiftung einzubinden, wurde damit verspielt. Aber auch Sasha Waltz hätte stärker in die Offensive gehen und für ihre Ideen werben müssen.
Sasha Waltz ist den freien Strukturen inzwischen entwachsen
Bleibt noch die Fußnote, die besagt, dass bis zu 500 00 Euro aus der Opernstiftung abgezweigt werden können. Eine äußerte fragwürdige Lösung, denn hier würden nur neue Abhängigkeiten geschaffen. Georg Vierthaler, der Geschäftsführer der Opernstiftung, hat schon erklärt, dass er diese Art der Querfinanzierung für ein fatales Signal hält. Und auch bei Sasha Waltz & Guests lehnt man das Modell ab. „Die Opern sind nicht zuständig für unsere Basisfinanzierung“, kommentiert die Geschäftsführerin Anja Schmalfuß knapp. Es klingt Resignation durch, wenn sie sagt: „Wir werden unsere Strukturen der Förderung anpassen.“ Aber was 2016 sein wird, weiß noch niemand. Einschneidende Maßnahmen stehen bevor. Waltz wollte eigentlich neun zusätzliche Tänzer. Nun wird sie einen großen Teil der insgesamt 35 Stellen (davon 13 feste Tänzerstellen) streichen müssen. Die Anzahl der Vorstellungen in Berlin werde davon aber nicht berührt, heißt es. Derzeit hat die Compagnie 18 Vorstellungen im Repertoire, von „Twenty to eight“ aus dem Jahr 1993 bis zu „Gefaltet“, das an diesem Wochenende wieder im Haus der Berliner Festspiele zu sehen ist.
Sasha Waltz will am heutigen Freitag Stellung nehmen zu den kulturpolitischen Rochaden und der Zukunft ihrer Compagnie nach dem harten Dämpfer. Viel Spielraum bleibt ihr nicht. Aber sie wird in Berlin bleiben. Ihre Erfolgsgeschichte ist eng mit der Stadt verbunden. In Berlin hat sie dem Tanz neue Räume erobert. Sie bringt den Wagemut und die Innovationskraft mit, die man in der Off-Szene braucht. Doch inzwischen ist sie den freien Strukturen entwachsen. Sie steht für den inspirierenden Dialog zwischen Tanz und Musik, wünscht sich ein größeres Ensemble und will auch weiterhin mit hochkarätigen Musikern zusammenarbeiten. Daniel Barenboim hat ihr an der Staatsoper den roten Teppich ausgerollt. Bei den Festtagen 2014 wird sie dort zusammen mit dem Dirigenten Wagners „Tannhäuser“ herausbringen.
Sasha Waltz wird überall in der Welt als die neue Pina Bausch gefeiert. Doch Berlin ist sie offenkundig zu groß geworden. Es scheint der politische Wille zu fehlen, die Compagnie auf eine solide Basis zu stellen. Im März dieses Jahres ist Sasha Waltz 50 geworden. Sie steht im Zenit ihres Schaffens und wird sich nicht ewig vertrösten und in ihren kreativen Möglichkeiten beschneiden lassen.
In gewisser Weise ist der Fall ein Lehrstück. Das Lavieren der Politik zeigt, dass der Tanz in Deutschland immer noch keine gewichtige Stimme hat. Und dass in Berlin wieder einmal versucht wurde, Opernleute und Tänzer gegeneinander auszuspielen, mutet wie ein Rückfall in alte Zeiten an. Das schwant wohl auch dem Kultursenator. Bei der gestrigen Sitzung des Hauptausschusses hat Klaus Wowereit das Wort ergriffen. „Ein Haushalt ist kein Wunschkonzert“, sagt er einleitend. Und führte dann weiter aus: „Natürlich hat die freie Szene Ansprüche. Was wir nicht zulassen werden, ist ein Gegeneinander von freier Szene und Häusern.“ Es gehe darum, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln. Eines steht aber schon fest: Sasha Waltz ist die große Verliererin im Berliner Haushaltsspoker.
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