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Locus amoenus. 729 Künstler waren hier seit der Gründung zu Gast, von Arno Breker bis Feridun Zaimoglu.
© Ullstein /Straub

Villa Massimo: Die Früchte dieses Parks

Hier gibt es das höchst dotierte Stipendium der Republik. Paradies für deutsche Künstler: Zum 100. Geburtstag der Villa Massimo in Rom.

Das Tor, an dem die Zeit stehen bleibt, öffnet sich auf eine römisch-feierliche Zypressenallee. Weißer Kies bedeckt den Fahrweg, so fein, so sauber, als würde er täglich gesiebt. Zwischen den Stämmen säumen mächtige bauchige Tonvasen die Straße, an die 2000 alt, Statuen gleich, die beredt schweigen.

Oft ist der Park der Villa Massimo in Rom besungen worden; kein Wunder, schließlich gehen hier seit bald 100 Jahren deutsche Wortkünstler ein und aus. Martin Mosebach zum Beispiel schwärmt: „Wie naheliegend ist die Vorstellung, diese Gefäße zu umarmen! Vorratsfässer müssen es in der Antike gewesen sein – für Öl? Für Getreide?“ Vielleicht dampften aus ihnen auch die Gerüche altrömischer Straßenküchen, jener Fast-Food-Lokale, an denen schon die Antike nicht vorbeikam.

Was immer sie bargen, diese tönernen Tanks, zu ihren Zeiten waren sie sicherlich im Boden eingegraben oder in gemauerten Küchentheken verborgen. In der Villa Massimo hingegen, dieser deutschen Vorstellung von Italien, stehen sie hoch oben, auf umgestürzte Marmorkapitelle antiker Säulen montiert, Reichtum und Wohlergehen weithin sichtbar verheißend, Füllhörner in Ballonform.

Im Sommer vor 100 Jahren erwarb der jüdische Berliner Unternehmer und Mäzen Eduard Arnhold das Gelände und legte den Grundstein für die Villa Massimo, die er dem preußischen Kaiser schenkte, weil ihn das Hungerleider-Schicksal deutscher Künstler in Rom dauerte. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat dem „Kleinod der deutschen Kulturnation“ zum Jubiläum diese Woche nun eine Haushaltserhöhung um 40 Prozent mitgebracht, auf gut zwei Millionen Euro im Jahr. Die Villa Massimo, so rühmte er, sei „ein einzigartiger Ort der künstlerischen Inspiration und des Austausches, eine Tankstelle für Kreativität. Wir brauchen diese Freiräume der Kunst und Kultur gerade in Zeiten, in denen ökonomische Schreckensszenarien alles andere zu überdecken drohen“.

Der Direktor ist zufrieden. Seit 2002 führt der Kölner Kunsthistoriker und Galerist Joachim Blüher die Geschäfte in Rom. Er hat die Villa Massimo – „weil ich auch sehr viel Wert lege auf das Urteil des italienischen Publikums“ – mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten, Sommerfesten fest im römischen Kulturleben verankert, und wenn ihm eine italienische Kunstkritikerin bescheinigt, die Villa stelle die „Avantgarde“ unter den ausländischen Akademien dar, dann fühlt er sich und die Absichten des Gründer-Mäzens verstanden.

Blüher hat die Villa Massimo auch gewissermaßen hinter ihren hohen Parkmauern hervorgeholt. Alljährlich werden die dortigen künstlerischen Hervorbringungen im Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert, um auch in Deutschland jenen eine gemeinsame Bühne zu geben, die die Hauptpersonen sind: den Stipendiaten. Sie seien, sagt Blüher, „die Besten, die Deutschland hat“. Der „Rompreis“ ist denn auch das höchstdotierte Künstlerstipendium der Republik.

Jahr für Jahr geht es laut Statut an zehn „außergewöhnlich qualifizierte und begabte“ Künstler – Maler, Bildhauer, Literaten, Architekten und Komponisten –, die einerseits zu den „jüngeren“ gehören sollen, andererseits „bereits öffentliche Anerkennung gefunden haben“ und „in ihrer künstlerischen Entwicklung noch offen sind“. Zwölf Monate in der Ewigen Stadt sollen sie inspirieren und voranbringen; 2500 Euro steuerfrei pro Monat sollen sie aller materiellen Sorgen entheben.

In 100 Akademiejahren waren 729 Künstler hier zu Gast; was zum vollen Tausend fehlt, das haben zwei Weltkriege und Jahre der Beschlagnahmung verhindert. Zu den Villa-Gästen zählten Karl Schmidt-Rottluff und Arno Breker, Wolfgang Rihm und Hans Zender, Rolf Dieter Brinkmann, dessen zornige Textcollage „Rom, Blicke“ zu den berühmtesten Hervorbringungen der Villa gehört, die Schriftsteller Rolf Hochhuth, Hans Magnus Enzensberger, Feridun Zaimoglu, Hanns-Josef Ortheil und Julia Franck – nach Großvater und Großonkel schon die dritte aus ihrer Familie.

Wie sich im Park enthauptete Statuen und Porträtbüsten ohne Unterleib recht harmonisch versammeln, echte Fundstücke und künstliche Ruinen, so wohnten in der Villa Massimo glühende Romverehrer und erboste Romhasser. Solche, die sich in ihre Ateliers zurückziehen wie aktuell etwa der Komponist Arno Schreier, von dem das Opernhaus in Zürich eine nagelneue Oper erwartet, oder wie die 52-jährige Trägerin des Deutschen Buchpreises, Kathrin Schmidt, die nach Jahrzehnten des Familienmanagements – fünf Kinder – hier endlich einmal die äußere und finanzielle Ruhe zum Schreiben findet. Für sie könnte die Villa Massimo „auch in Honolulu oder Papua-Neuguinea“ stehen; die Stadt Rom kommt ihr eher vor wie ein historisch übereinandergeschichteter „Mischmasch“, mit dem sie noch nichts Rechtes anzufangen weiß.

Sie alle wohnen in den großzügigsten Ateliers, die Rom zu bieten hat, mit neun mal neun Metern bei bis zu sieben Metern Höhe. „Die Dimensionen richteten sich nach den monumentalen Maßen überlebensgroßer Ehrenmale, Reiterstatuen und meterlanger Leinwände, wie man sie von den Rompreisträgern damals (in der kaiserlich-preußischen Gründungszeit) noch erwartete,“ schreibt die Historikerin Angela Windholz. Dankbarkeit gegenüber den edlen Spendern? Eines weiß Kathrin Schmidt genau: Ein Romgedicht wird sie bestimmt nicht schreiben, „das ist mir zu abgelutscht“.

Andere stürzen sich kopfüber ins römische Chaos. Die Fotografin Heidi Specker zum Beispiel hatte ein konkretes Romprojekt im Koffer und durchstreift nun die Stadt „mit kochenden Füßen“ auf der Suche nach Motiven, nach Inspiration – für einen Jahres- oder Endzeiten-Zyklus, für ein „Projekt Termini“. Specker, die wie alle der „jüngeren Künstler“ hier längst weit über ihr Debütwerk hinaus ist, sie hat gerade ihre Studenten aus Leipzig zu Gast. Schnell multiplizieren sich Leben und Werk in der Villa Massimo.

Ob man sich begegnet oder einander aus dem Weg geht, das hält hier jeder, wie es ihm gefällt. Ein solch „harmonischer Jahrgang“ – so sehen sich die derzeitigen Bewohner – ist nicht die Regel. Geradezu mit Erstaunen nimmt man sich zur Kenntnis. Heidi Specker zum Beispiel findet die Schriftsteller interessanter als die bildenden Künstler: „Sie sind einem fremder.“ Und Kathrin Schmidt, die sich unter den Stipendiaten als „Alterspräsidentin“ fühlt, stellt verblüfft fest, wie zwanglos sich die Generationsgrenzen verwischen: „Ein Komponist ist da, der ist so alt wie meine älteste Tochter.“

Das alles sind Früchte dieses Parks; hier ist Naschen ausdrücklich erlaubt. Das Tor, wie einst, trennt den Garten von der Welt. Das Internet, Facebook, die neuen Medien ändern in der Villa Massimo gar nichts; der Direktor weiß nicht einmal, ob jemand einen Fernseher hat. Und wenn Stipendiaten zur Zeit des Abendwindes durch den stillen Park ziehen, um Zitronen oder Pfirsiche zu pflücken oder einen Salatkopf zu schneiden, wenn sie dann vor ihren Ateliers sitzen, um den Vögeln zuzuhören, dann ist die Aura wieder perfekt hinter dem Tor, an dem die Zeit stehen bleibt.

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