TV-Kultserie „Borgen“ an der Schaubühne: Die Frau und die Macht
Wenn das Theater dem Fernsehen nachläuft: Regisseur Nicolas Stemann versucht die dänische TV-Kultserie „Borgen“ als Polit-Theater nachzuerzählen.
Der Wikipedia-Artikel über die 30-teilige dänische Politfiction-Serie „Borgen“ ist leider gar nicht gut. Aber nehmen wir mal an, er wäre doch besser geschrieben. Stellen wir uns dazu noch ein paar aufgeweckte Theaterleute vor, die sich in „Borgen“ verknallt haben, aber nicht die Rechte oder die zeitliche Möglichkeit kriegen, allen „B“-Fans plus den fernsehbildungsferneren Schichten die ganze Serie einfach auf Großleinwand im Theater vorzuführen. Und jetzt kommt die dritte Hypothese: Die von „Borgen“ begeisterten Theaterleute sind so hartnäckig, dass sie nun statt des Films nur den (verbesserten) Wikipedia-Artikel über „Borgen“ genommen und ihn mit ein paar Eigenkommentaren angereichert auf die Bühne gebracht haben.
Diese letzte Annahme ist soeben Realität geworden. Die Berliner Schaubühne hat erstmals einen (getarnten) Wikipedia-Artikel als angebliches Stück uraufgeführt. Das Ganze heißt tatsächlich „Borgen“, darunter steht „Nach der TV-Serie von Adam Price, entwickelt mit Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm“, zudem wird als deutsche Übersetzerin Astrid Kollex genannt – und für alle Fälle, vermutlich auch den der Tantiemen, heißt es noch: „Fassung von Nicolas Stemann“. Ein Unikum und ein Monstrum an Titelei: für eine dreidreiviertel Stunden lang (mit zwei Pausen, wie bei Wagner) gestemmte Seifenblase. Nicht Serien-, aber Soaptheater, und politisch.
Eigentlich ist es ja eine super Geschichte. Die gleichermaßen links, grün, humanistisch und idealistisch beflügelte Politikerin, Parteivorsitzende, Ehefrau und zweifache Kindsmutter Birgitte Nyborg schafft es, bei der TV-Schlussdebatte unter den Spitzenkandidaten für die dänischen Parlamentswahlen durch ein ungewöhnliches, nicht im Politsprech gehaltenes Schlusswort voll emotionaler Intelligenz den Ring der Etablierten zu durchbrechen. Und kann das fast schon gelaufene Rennen drehen.
Die Sardine im Haifischbecken überrascht dann auch bei den Koalitionsverhandlungen, sie bleibt beim Posten- und Positionenschacher seidenhart (so taktisch flexibel wie prinzipientreu) und wird über Nacht Dänemarks erste Ministerpräsidentin. Nur klar, das geht nicht immer so weiter, geht nicht immerfort gut. Der Job ist hochstressig, die Spitzenpolitik lässt sich kaum mit dem Familienleben vereinbaren, Birgittes Ehemann, der selber eine Wirtschafts- und Wissenschaftskanone ist, steckt zurück, spielt den Hausmann, aber die Kinder leiden (Angstneurosen, Bettnässen), irgendwie gibt es kaum helfende Freunde und überhaupt soziale Netze – eine der Schwachstellen der weltweit gerühmten „Borgen“-Serie. Und natürlich zehren die Macht und der ständige Kampf um den Machterhalt in der eigenen Partei, Fraktion und Regierung sowie eine Kombi aus skandalisierender Boulevardpresse und investigativem TV-Nachrichtensender an Nyborgs Integrität. Ihre Ehe geht zu Bruch (wie hier fast alle Beziehungen im politischen oder journalistischen Umfeld), sie selbst wird ihren politischen Gegnern wider Willen immer ähnlicher. Auch starke gute Frauen sind nur Menschen, und die Wirtschaft, von der die Politik abhängt, wirkt allemal skrupellos, ach ja, es bleibt viel faul und finster im Staate Dänemark. Sprich: in der Welt.
Diese Einsichten sind nun weder neu noch originell, sie erscheinen auch: stereotyp. Trotzdem hat die dänische Serie einen suggestiven Drive und war viel schlauer, feiner, glaubwürdiger gestrickt als neulich der kürzere schwache ARD-Abklatsch „Die Stadt und die Macht“. Ob „Borgen“ tatsächlich, wie behauptet, die beste politische Fernsehfiction aller Zeiten ist, bin ich mir nicht sicher. Vermutlich ist es die beste europäische Serie. „House of Cards“ wirkte schon wegen Kevin Spacey härter, charismatischer, und Kopenhagens Schloss Christiansborg (dänisch abgekürzt: Borgen) ist halt nicht das White House oder das Kapitol.
Aber ich habe alle 30 Folgen, also 1800 Minuten gesehen. Das mag ein Handicap sein, weil die von Nicolas Stemann arrangierte Schaubühnen-Version nicht mal einen Abglanz schafft. Da sitzen die Schauspielerinnen Stephanie Eidt (präsent, doch mit wenig Rollenfutter als Nyborg) und Regine Zimmermann mit ihren Kollegen Sebastian Rudolph und Tilman Strauß erst mal nur mitsamt Technikern und Statisten vor und neben einigen Laptops am Tisch und erzählen die Handlung nach. Wikipedia. Früher Konversationslexikon. Die im Original interessantesten Parts der Spin-Doctors: kaum vorhanden. Dafür springt man gelegentlich auf, turnt ein bisschen im Raum rum, ungefähr fünf Prozent des Gesagten sind sogar wörtliche „Borgen“-Zitate, und auf den üblichen Videoscreens erscheint mal ein Stück Visage des US-Präsidenten Kevin Spacey, quasi Serien unter sich. Mehr nicht, aber das fast vier Stunden lang.
Alle, die „Borgen“ nicht schon kennen, haben freilich ihr eigenes Handicap. Sie werden unentwegt mit Personennamen und Detailanspielungen traktiert, mit denen sie kaum etwas anfangen können. Für die einen ist’s überflüssig, für die anderen unverständlich. Aha-Effekte stellen sich so nur ein, wenn die fiktive Birgitte Nyborg als Folie der realen Angela Merkel dient. Wenn Stichworte wie Flüchtlings- und Einwanderungspolitik fallen. Und am Ende, als an der Rampe zwei Herren des fiktiven TV-Nachrichtensenders mit Grabesstimmen darüber reden, dass der Gebührenzahler als vox populi eigentlich auch beim Programm das Sagen haben müsste, brüllen im Off plötzlich Pegida-Sprechchöre los: „Wir sind das Volk!“ – und die Schaubühnen-Kulisse bricht schier zusammen.
Merkwürdig, früher fühlte sich das Theater als Kunst dem Fernsehen so überlegen. Jetzt aber schaut es ihm hinterher.
Wieder am 16., 17.2. und 6. bis 8.3.
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