Kultur: Die Frau mit den Scherenhänden
Dada ist nicht Dingsda: Die Berlinische Galerie feiert ihre „Hausheilige“ Hannah Höch
Es liegt in einer Vitrine, ein Buch, oder eher eine Zettelsammlung, mühsam zusammengehalten von Pappdeckeln, chaotisch überquellend: das Adressbuch der Hannah Höch. Eingeklebt oder eingelegt sind Visitenkarten, bunte Zettel, auf denen ganz unten steht: „hinten geht’s weiter“, El Lissitzkys Adresse am Moskauer Arbat liegt zufällig aufgeschlagen. Adressen, Freundschaften, Kontakte von 1917 bis 1978: Ein ganzes Künstlerleben lässt sich hier ablesen.
Die zurückgezogen in ihrem Häuschen in Heiligensee lebende Hannah Höch, die nach eigenem Bekunden „Hemmungen vor allem Briefschreiben“ hatte, kannte sie alle, die Dadaisten, Surrealisten, die Berliner und Pariser Szene nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten: Irgendwann stand jeder einmal am Gartenzaun. Doch sie ist, bei all diesen Bekanntschaften, eine Einsame geblieben, eine Vergessene auch, lange Zeit eine Verarmte. Ihr Nachlass, bewahrt im Künstlerarchiv in der Berlinischen Galerie, ist ein unerschöpflicher Zettelkasten – und selbst eine Collage.
18 Jahre nach der letzten Hannah- Höch-Ausstellung widmet die Berlinische Galerie ihrer „Hausheiligen“ nun erneut eine große Einzelausstellung: rund 160 Werke, darunter vieles aus dem eigenen, reichen Bestand. Beflügelt von dem internationalen Erfolg der letzten Jahre, in denen Hannah Höch von New York bis Madrid mit großen Retrospektiven gefeiert wurde, unterfüttert mit den Erkenntnissen, die die Herausgabe der sechsbändigen „Lebenscollage“, des Höch-Archivs, in den Jahren von 1989 bis 2001 erbrachte, will man das Oeuvre als Kontinuum präsentieren: Nicht nur die kurzen, einflussreichen Dada-Jahre von 1918 bis 1922 sowie die dunklen von 1933 bis ’45, die Diffamierung als „Kulturbolschewistin“ und „entartete Künstlerin“, die innere Emigration und das Versteck in Heiligensee, sondern vor allem die bis ins Alter wache, experimentierfreudige Beobachterin, die in ihren Collagen so ziemlich jede Kunstströmung, auch nach 1945, aufgreift und reflektiert. Immer wieder hängen Fotomontagen aus den Zwanzigern neben solchen der Sechziger – die Nähe ist verblüffend, doch mindestens so verblüffend auch die Virtuosität, mit der Hannah Höch die Schere wie einen Pinsel verwendet, zum malerischen, freien gestischen Schwung.
„Aller Anfang ist DADA“, titelt die Ausstellung, die mit einem traumdunklen „Dada-Kern“ beginnt. Doch „einmal Dada, immer Dada“ ist schnell zum Fluch der Künstlerin geworden, die gern auf die Zeit im Berliner Kreis um Raoul Hausmann reduziert wird. „Dada hängt mir zum Hals heraus“ hat sie kurz vor ihrem Tod bekannt. Sicher, sie hat die mit Hausmann erprobte Technik der Collage konsequent beibehalten. Ihre feine, biegsame Ironie klingt bis ins Spätwerk fort: „Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen“, heißt es auf einer ihrer Werke: ein Lebensmotto, ebenso jenes „Gefährlich ist nur eine unentschiedene Mischung“ aus den „Haussprüchen“ von 1922. Die politischen Implikationen, die die frühen Dada-Collagen haben (etwa in der „Dada-Rundschau“ von 1919), weichen später einer allgemeineren, abstrakteren Sicht. Wenn schon Dada, dann als Lebenshaltung: als konsequente Zusammenfügung des Nicht-Zusammengehörigen. Dafür steht Hannah Höchs Leben so sehr wie ihr Werk, und das ist vielleicht auch der Grund, warum man der kunsthistorisch längst Etablierten doch nie ganz beikommt: Weil sie Widersprüche zeigt und lebt, die sich nicht auf ein Gesamtbild vereinfachen lassen.
Das beginnt, natürlich, mit dem Frauenbild. Die „neue Frau“ der zwanziger Jahre scheint Hannah Höch mit ihrem Bubikopf zu verkörpern wie kaum eine. Die in Gotha geborene Bürgerstochter, deren Vater „ein Mädchen verheiratet wissen, aber nicht studieren lassen wollte“, wagt 1912, mit 23 Jahren, den Sprung nach Berlin. Studiert an der Kunstgewerbeschule („Kunstgewerblerin war immerhin nicht Künstlerin“), verdient ihr Geld als Entwurfszeichnerin für die Handarbeitenredaktion des Ullstein-Verlags – und verliebt sich 1915 in einen charismatischen, aber leider verheirateten Mann: Raoul Hausmann. Selbstständigkeit und Abhängigkeit, beides ist in dieser Amour fou verwoben, der Wunsch nach Familie und Kindern (aus Angst vor einer Trennung lässt sie zwei Abtreibungen vornehmen) und der nach gleichberechtigter Aufnahme in den Männerbund des „Dada-Clubs“.
Immer wieder kommt Hannah Höch in ihren Collagen auf dieses Lebens-Dilemma zurück. Sei es die Bildikone der „Braut“ von 1924 oder die bis in die sechziger Jahre fortgeführten Bildschöpfungen von Frauenbeinen und Kinderköpfen, bleistiftspitzen Brüsten und Kussmündern: Hier sucht jemand bis zuletzt aus disparatem Material seine eigene Rolle zusammenzusetzen. Das macht das Werk der Hannah Höch so einzigartig wie ehrlich und fragmentarisch: Sehr viel klarer ist das Bild bis heute nicht geworden.
Auf einem der Albumblätter, die die Künstlerin 1933 aus Illustriertenblättern als ihren eigenen Bild- und Vorlagenkosmos zusammenstellt, lächelt einem, umgeben von anderen Filmschönheiten, die junge Marlene Dietrich entgegen. Auch deren Adressbuch, geführt von 1960 bis zu ihrem Tod, war eine Fundgrube deutscher Kultur, so wie das Adressbuch der Hannah Höch eins ist. Die Dietrich, früh schon in die USA und dann nach Frankreich gegangen, hat einen anderen Weg gewählt als die bescheidenere, zwölf Jahre ältere Hannah Höch. Doch mit dem Frauenbild ihrer Zeit haben sie beide auf ihre Weise gehadert.
Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, bis 2. Juli, täglich außer Di 10–18 Uhr. Katalog (Hatje Cantz) 39,80 Euro
Christina Tilmann
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