Kultur: Die Erinnerung besiegen
Marceline Loridan-Ivens stellt sich in „Birkenau und Rosenfeld“ ihrem Trauma von Auschwitz
Mehr als fünfzig Jahre hat Marceline Loridan ihre Erinnerungen an Auschwitz mit sich herumgetragen. Sie arbeitete als Fernsehjournalistin, wurde Mitarbeiterin und die Ehefrau von Joris Ivens, an dessen Seite sie in Vietnam und in China filmte. 1988, als der Sieg des Weltsozialismus endgültig in unerreichbare Ferne gerückt war, drehte sie mit Ivens im Reich der Mitte „Eine Geschichte über den Wind“. Der Wind kommt und geht wie die Utopie.
Die Hoffnung auf eine bessere Welt half Marceline Loridan lange Zeit, das Trauma des Lagers zu verdrängen, in dem sie ihren Vater verlor und als Sechzehnjährige Gruben zur Verbrennung der Leichen ausheben musste. Erst mit fünfundsechzig entwickelte sie das Projekt einer fiktiven Reise nach Auschwitz-Birkenau und kämpfte sieben Jahre um dessen Finanzierung. Endlich sprangen zwei deutsche Produzenten ein. Auf dem Filmfest München erhielt „Birkenau und Rosenfeld“, der zuvor schon auf der Berlinale gezeigt worden war, den Bernhard-Wicki-Preis und den Friedenspreis des Deutschen Films.
Man kann es bedauern, dass die Regisseurin nicht als Dokumentaristin nach Auschwitz fuhr, sondern die vier Jahre jüngere Anouk Aimeé an ihrer Stelle auftreten ließ. Wie wenig sie ihre Profession verleugnen kann, zeigt die lockere Folge aussagekräftiger Situationen, zwischen denen kein epischer Fluss entsteht. Um so mehr fällt die makabre Komik auf – etwa bei der Tombola beim Treffen der Überlebenden in Paris, wo ausgerechnet eine Reise nach Krakau den Hauptpreis bildet. Oder wenn Myriam/Aimeé zum vorgestellten Radetzky-Marsch auf der einstigen Lagerstraße im Soldatenschritt marschiert. Oder wenn sie in einem Krakauer Lokal den Lageplan der Baracken aufs Tischtuch zeichnet, während neben ihr die Paare über die Tanzfläche wirbeln.
Zum „Preis des Überlebens“ gehört offenbar, wie der gleichnamige, unlängst auf dem Berlinale-Forum vorgestellte Dokumentarfilm des Niederländers Louis van Gasteren bestürzend vor Augen stellte, die innere Bindung des Opfers an den Ort seiner Qualen. Marceline Loridan nimmt dieses Motiv auf, aber sie verlagert die innere Zwiesprache in eine Pseudoerzählung, die in der Begegnung Myriams mit einem jungen deutschen Fotografen (August Diehl) auf das Seltsamste kulminiert. So sehr er sie auch darum bittet: Die Frau erzählt dem vier Jahrzehnte Jüngeren fast nichts von ihren Erlebnissen, schickt ihn, dessen Großvater zur Wachmannschaft gehörte, aber auch nicht fort. Im Gegenteil, aus einer erotischen Laune heraus lässt sie ihn sogar in ihrem Hotelzimmer übernachten.
Anouk Aimeé prägt den Film von Anfang bis Ende. Ihre Auftritte im frischen grünen Gras der Gedenkstätte werden zu Triumphmarken der Regisseurin über eine grausige Erinnerung, die optisch nicht ausgemalt werden kann. Die Betonpfähle des elektrischen Zaunes, die Pritschen und Latrinen, die falschen und echten Duschräume bilden die Kulisse eines Seelendramas, das der Zuschauer allenfalls respektvoll erahnen kann. Statt sein Scheitern angesichts des Themas offen einzugestehen (was auch ein Ergebnis wäre), lockt der Film den Zuschauer auf eine falsche Fährte. Nur wenn Zbigniew Zamachowski als jüdischer Ortschronist den französischen Gast zum einstigen Wohnhaus der Eltern, der Rosenbaums, führt, gewinnt „La petite prairie aux bouleaux“ (der Originaltitel „Die kleine Birkenwiese“ – und wörtliche Übersetzung des polnischen „Brzezinska“) Athentizität. Zamachowski darf auch in der deutschen Fassung polnisch sprechen. Anouk Aimeé jedoch bleibt die Fremde, die mit dem aufklärungsbedürftigen Enkel eines SS-Mannes fließend deutsch parliert.
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