Ausstellung: Die Erfindung des Mittelalters
Die Alte Nationalgalerie in Berlin zeigt romantische deutsche Architekturmalerei von und nach Schinkel.
Die Schinkel-Ausstellung am Kulturforum prunkt mit Gemälden von der Hand des Universalkünstlers, die Architektur zum Thema haben; nicht gebaute, sondern erträumte, ersehnte, aus der griechischen Antike oder dem deutschen Mittelalter. Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich Schinkels Geschichtsbild aufspannt. Griechenland steht für Erwachen und Bildung des Menschengeschlechts, das Mittelalter hingegen für religiöse wie nationale Verwurzelung.
Beide Elemente fließen zusammen in dem größten Format, das Schinkel je gemalt hat, über sechs Meter breit: „Gotische Klosterruine und Baumgruppen“ von 1809, ein Werk, das zwar seit 1950 der Nationalgalerie im Westteil Berlins übereignet wurde, aber nie in deren Räumen ausgestellt wurde. Zuletzt hing es viele Jahre lang im Treppenhaus von Schloss Bellevue – als Dekorationsstück.
Genau das ist es nicht, sondern ein Programmbild, zu lesen von links nach rechts, mit antikem Grabmal, schon von der Natur übermächtigt, mit gotischen Pfeilerresten vor dem Prospekt einer südlichen Landschaft in der Mitte und rechts einer hochgotischen Kathedrale, die zwischen Bäumen hervorlugt. Nationale Wiedergeburt vor der Folie eines antikischen Südens, das könnte die Botschaft sein, die Schinkel 1809, zur Zeit der napoleonischen Besetzung, aussenden wollte.
Das Großformat bildet den Auftakt der Ausstellung „Romantik & Mittelalter. Architektur und Natur in der Malerei nach Schinkel“, die Angelika Wesenberg, Kustodin der Alten Nationalgalerie, ebendort im zweiten Obergeschoss eingerichtet hat. Sie vereint rund 60 Gemälde aus dem eigenen Bestand; „rund die Hälfte davon ist seit Jahrzehnten zum ersten Mal zu sehen“, wie das Haus mitteilt.
Oho! Das verweist nicht nur auf einen reichen Depotbestand, sondern schreit geradezu nach Erweiterung der Ausstellungsfläche fürs 19. Jahrhundert, das, anders als das 20., in der Nationalgalerie nun wirklich erstklassig vertreten ist. Malerei „nach“ Schinkel kann zweierlei heißen: Malerei nach Schinkels Vorbild, oder aber später entstandene, nachdem er die Malerei gegen 1820 zugunsten der Architektur und seiner Baubeamtenstellung aufgeben musste. Beides ist in der Alten Nationalgalerie zu sehen.
In der Bildenden Kunst ist, anders als in der Literatur, der Begriff „Romantik“ reichlich unpräzise. Meist wird er als Stimmungswort verwendet: Wenn Ritterburgen oder Klosterruinen zu sehen sind, sprechen wir von Romantik. Waldlichtungen, Stromschnellen und grimme Felsen sind „romantische Landschaften“. Dass der inhaltliche Bezug aufs Mittelalter einschließlich der „Dürerzeit“, wie er um 1815 vorherrschte – als Wunschprojektion des sich bildenden Bürgertums – verblasst, wird meist nicht recht wahrgenommen. An die Stelle der patriotischen Träume tritt ein fast schon touristisches Interesse an pittoresken Orten und Landschaften. Bezeichnend dafür ist Oswald Achenbachs, allerdings mit 1876 sehr späte Ansicht vom „Marktplatz in Amalfi“, so etwas wie ein Schlussbild der Ausstellung, die zu Beginn den höchst selten gezeigten, vier Meter hohen „Aufriss der Westfassade des Kölner Doms“ von Schinkel und Wilhelm Berger zeigt. Mit diesem, dem der 1816 wiederaufgefundenen originalen Architekturzeichnung von 1280 nachgebildeten Riss beginnt die Geschichte der Vollendung des Kölner Doms unter preußischen Vorzeichen, ein Hauptanliegen der ins Politische gewendeten Romantik.
Caspar David Friedrich verweist mit der von Bäumen überwucherten „Klosterruine Eldena bei Greifswald“ von 1824/25 auf die untergegangene und unwiederholbare Zeit der Glaubensfrömmigkeit und so auf das Problem des modernen Menschen, Halt zu suchen und nicht mehr finden. Eduard Gärtners „Ansicht der Klosterruine Lehnin“ – freilich erst von 1863 –, ist keine Romantisierung, sondern eine Vedute, wie sie Gärtner in seiner jahrzehntelangen Karriere stets zuverlässig geliefert hat.
Bei kleineren Meistern überwiegt die Freude an genrehafter Genauigkeit. Das gilt für Carl Wilhelm Kolbe d. J., der 1824 eine „Altdeutsche Straße“ als Ansammlung sämtlicher Klischees darstellt, die über das „bunte Treiben“ zur Dürerzeit im Umlauf waren. Oder Anton Heinrich Dählings „Einzug eines Fürsten“ von 1822, wo sich ein liebevolles Gewimmel von Staffagefiguren vor der Kulisse einer spätmittelalterlichen Stadt ausbreitet, die selbst wie ein Bühnenprospekt ansteigend Stadttor, Kirche und Burg vereint. Die Arbeit fürs Theater ist ohnehin eine Quelle der Malerei. Carl Blechens Architektur-Aquarelle verweisen auf seine Arbeit als Bühnenbildner am Königstädtischen Theater. Seine beiden Gemälde von Turmruinen von 1827 und 1830 lassen den ebenso kühnen wie zerrissenen Geist Blechens erahnen, frei von Konventionen, aber auch von innerem Halt.
„Die symbolische Landschaft ist durch eine atmosphärische ersetzt“, schreibt Angelika Wesenberg im schmalen, hervorragend illustrierten Katalog der Ausstellung über die späten Werke wie die Ansicht „Der Dom zu Limburg an der Lahn“ von Gottfried Pulian. „Patriotisch oder religiös aufgeladen sind diese Bilder nicht mehr, sie sind auch eigentlich nicht mehr romantisch.“ Das „eigentlich“ verweist auf das Dilemma des Begriffs. „Romantisch“ ist alles, was das Gemüt bewegt, so eines beim Betrachter vorhanden ist. Wo nicht, ist es ganz einfach die Kunst einer Zeit, die sich dagegen sträubte, modern zu werden. Blechens bedeutsames Gemälde „Eisenwalzwerk von Neustadt-Eberswalde“ (1830) hätte unbedingt in diese Auswahl gehört, weil es leise andeutet, was diese Moderne an Industrialisierung und Naturzerstörung mit sich bringen wird. In der Schinkel-Ausstellung am Kulturforum ist das entschieden deutlicher zu sehen. Aber die steht auch nicht unter dem problematischen Leitbegriff der Romantik.
Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, bis 6. Januar. Katalog (Edition Minerva), 56 S., 40 Farbabb., 14,90 €, im Buchhdl. 19,80 €.
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