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Aufregendes Gassi-Debüt: Szene aus "The Artist" mit Filmhund Archie
© dpa

Martensteins Berlinale (II): Die düster-epische Filmkritik-Kritik

Harald Martenstein liest, nein lebt!, Filmkritiken. Das begleitet ihn in seinem unverwechselbarem Leben. Es zeigt ihm Berlin auf, diese vielschichtige Stadt mit ihrer figurativen Realität! Und welch emotionale Achterbahnfahrt, wenn er mit seinem Hund Gassi geht - und dieser beginnt, sein Bein zu heben.

Während der Berlinale beginne ich den Tag immer mit der Lektüre von Filmkritiken. Wenn ich aber morgens eine Melodie höre, begleitet die mich den ganzen Tag.

Das basiert auf einer wahren Geschichte. Ich gehe zur Kaffeemaschine – eine echte Entdeckung! – und mit meiner unverwechselbaren Handschrift und viel schrägem Humor gieße ich mir eine Tasse ein. Der Inhalt des Kühlschranks ist tief verstörend und liefert ein irritierendes Gesellschaftsporträt, an dem vor allem eingefleischte Cineasten ihre Freude haben dürften. Mein Hund bricht mit eingefahrenen Sehgewohnheiten, indem er kein Trockenfutter fressen will. Mit diesem Hund langweilt sich der Zuschauer keine Sekunde. Er spielt raffiniert mit Erwartungen und ist ein echtes Highlight. Nur sein Glamourfaktor lässt zu wünschen übrig.

Ich nehme meine Figuren ernst. Wir gehen Gassi, das ist jeden Morgen ein aufregendes Debüt. Hund goes Kiez. Obwohl die Straße mit bekannten Namen gespickt ist, hat Cannes mehr Strände. Unsere Straße ist das vielschichtige Porträt einer bewegten Epoche, bildersatt, mit politischem Subtext und beinahe schmerzhaft intensiv. Diese Straße ist eine figurative Realität, sag’ ich jetzt einfach mal. Oh – jetzt hebt er endlich das Bein, er überschreitet die Grenze zum Splatterfilm. Wenn dieser Hund das Bein hebt, dann ist es eine eigenwillige Melange aus Selbstinszenierung und Zeitdokument. Am Ende entsteht ein Meisterwerk, düster und kompromisslos in der Form. Ich hatte schon gefürchtet, dass er unter ikonischen Dystopien leidet. Die Sensibilität, das zu visualisieren und zu einer filmischen Meditation zu verdichten, was da kommt, hätte ich nicht, obwohl es unglaublich lebensecht ist.

Ich nehme den Bus. Jede Berliner Busfahrt bietet starke Charaktere, karge Seelenlandschaften und einen spannenden Plot. Das ist eine emotionale Achterbahnfahrt, auf die der Fahrer mich mitnimmt. Ein Berliner Busfahrer ist fast immer eine schillernde Hauptfigur mit einer enormen darstellerischen Bandbreite, die sich nicht in Schablonen pressen lässt. Da kriege ich Risse in der Fassade. Die Wandlung meiner Figur ist aber, trotz gelegentlicher Klischees, durchaus glaubhaft. Die digital restaurierte Originalfassung dieser Busfahrt will ich aber nicht sehen.

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