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Kultur: Die Dienstälteste

Ursel Berger hat aus dem Kolbe-Museum ein Kleinod gemacht. Nun geht die Direktorin. Nach 35 Jahren.

In diesen Tagen empfängt sie Besuch im Besprechungszimmer, nicht in ihrem Büro. Dort muss sie aufräumen. 35 Jahre Material haben sich angesammelt. So lange war Ursel Berger Direktorin des Georg-Kolbe-Museums im Berliner Westend. Rein rechnerisch war am 12. Dezember 2012 ihr letzter Arbeitstag, ein rundes Datum für ein rundes Ende. Aber sie macht kommissarisch weiter, solange bis ihre Nachfolgerin kommt. Julia Wallner, 38, Kunsthistorikerin, zurzeit noch im Kunstmuseum in Wolfsburg, übernimmt im März. Bis dahin unterschreibt Ursel Berger mit i.A., sichtet und sortiert. Die bis dato dienstälteste Museumsdirektorin Berlins kommt die Treppe herunter.

Im holzgetäfelten, dunklen Stübchen nehmen wir Platz. Es war einst das Speisezimmer Georg Kolbes, erzählt sie. Beginnen wir also mit der Vorspeise. Mit dem Anfang, als Ursel Berger 1978 die Leitung des Museums von der Enkelin Kolbes übernahm. Studiert hatte sie in München, promoviert über die Renaissance-Architektur Andrea Palladios. Das daran anschließende Volontariat an der Neuen Nationalgalerie brach sie ab. Auf Anraten ihres Direktors bewarb sie sich auf die freie Stelle im Georg-Kolbe-Museum und bekam den Zuschlag – damals war sie gerade einmal 31 Jahre alt.

Ursel Berger durfte langsam in die Rolle der Direktorin hineinwachsen. „Anfangs war ich zwei Mal in der Woche da“, erinnert sich die Wissenschaftlerin. Es gab noch keinen regulären Ausstellungsbetrieb in der Sensburger Allee. Und nun? Auf 140 Ausstellungen blickt Ursel Berger zurück. Vor viereinhalb Jahren erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement um Kolbe. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das ehemalige Atelier- und Wohnhaus des Künstlers von einer Gedenkstätte zu einem lebendigen Ort der Entdeckungen und des Austausches über Bildhauerei.

Was war das Schönste an diesen 35 Jahren? „Forschen hat mir immer am meisten Spaß gemacht“, sagt Ursel Berger. „Jahresabrechnungen weniger.“ Als Direktorin dieses kleinen Hauses mit einem Assistenten, einer Mitarbeiterin fürs Archiv und zwei Volontärinnen war die 65-jährige für alles verantwortlich und fand doch immer wieder Zeit für Forschung, und wenn es am Wochenende und in der Freizeit war. Schon lange ist Ursel Berger nicht mehr richtig in den Urlaub gefahren. Eine ihrer letzten Reisen führte sie nach Istanbul. Aber das war zusammen mit dem Freundeskreis des Museums auf den Spuren Kolbes. Dort hatte sich der Bildhauer während des Ersten Weltkriegs, von 1917 und 1918 im Musenhof des deutschen Botschafters aufgehalten, um von der Front verschont zu bleiben. Bisher war dieses biografische Puzzleteil kaum bekannt. Ursel Berger hat es unter anderem im Archiv des Auswärtigen Amtes aufgespürt.

Seit sie im Amt ist, unterstützt der Senat das Museum – mit der Auflage, das Haus nicht mehr nur einem einzigen Künstler zu widmen. Berger kam das zupass, Kolbe war anfangs nicht ihr Lieblingsbildhauer. „Nach und nach bin ich in das Werk hineingekrochen“, gesteht sie. In Ausstellungen über andere Künstler und größere Zusammenhänge der bildhauerischen Moderne hat sie Kolbe widergespiegelt, in der Literatur, in der Architektur und immer wieder im Tanz. Es gab Einzelausstellungen zu Henry Moore, Wilhelm Lehmbruck, Bernhard Heiliger oder Max Klinger.

Vehement eingesetzt hat sich Ursel Berger für einen vom Senat finanzierten Erweiterungsbau, der 1996 mit einer Schau zum Franzosen Aristide Maillol eröffnete. Mit der Vergrößerung sei das Museum in eine andere Klasse aufgestiegen, sagt Ursel Berger. Gleichzeitig begannen die Geldsorgen. Betriebs- und Ausstellungskosten stiegen durch die Erweiterung auf mehr als 370 Quadratmeter, die Subventionen blieben dieselben. In dieser Zeit begann das Museum, Bronzen von Kolbe in originalen Gussmodellen nachzugießen und zu verkaufen. Das ist durchaus delikat, und Ursel Berger weiß das. Seit 1982 beschäftigt sie sich auch in Publikationen mit der Problematik posthumer Abgüsse. Es ist ihr Thema. Was ist Original, was Kopie? „Nachgüsse sind keine Fälschungen“, sagt Berger, „es kommt auf Ehrlichkeit an.“ Immer wieder ist Ursel Berger als Expertin gefragt, verunsicherte Kunsthändler und Sammler klopfen an und lassen sich von ihr ihre Bronzen datieren. Erst jüngst hat die Wissenschaftlerin auf einen Skandal hingewiesen: Etwa 200 Plastiken Maillols, dessen Werk ihr am Herzen liegt, trügen gefälschte Gießersignaturen, sagt sie.

Die Forscherin blickt aber auch nach vorn. Es war ihre Idee, 2008 den zwanzig Jahre jüngeren Kunsthistoriker Marc Wellmann als Experten fürs Zeitgenössische ans Haus zu holen. Die sogenannte Kunstkammer als Projektraum für den Nachwuchs wurde eingerichtet und ein jüngeres Publikum angelockt. Wellmann übernimmt im April die künstlerische Leitung des Hauses am Lützowplatz in Tiergarten. Von Bergers Nachfolgerin Julia Wallner ist derweil zu erwarten, dass sie die Grenzen des Skulpturalen weiter ausdehnt.

Trotz mancher Budgetknappheit – das Museum hat Ursel Berger viele Freiheiten gelassen. Ob sie je geglaubt hätte, so lange hierzubleiben? „Nein“, sagt sie. Aber: „Ich habe mir zwar manchmal überlegt, etwas anderes zu machen, aber ich war nie unglücklich.“ Wie verabschiedet man sich nach so langer Zeit? Ursel Berger hat sich für eine Ausstellung entschieden, die zu ihr passt. Unsentimental, witzig. Und es wirft einen neuen Blick auf Kolbe. Es geht um Aktmodelle. Wie ist es für die Frauen und Männer gewesen, sich vor dem Bildhauer auszuziehen? Berger hat zahlreiche Anekdoten zusammengetragen. Den Paravent, hinter dem die Modelle die Hüllen fallen ließen und dann vor Kolbes Augen traten, gibt es immer noch. Wegen der großen Resonanz wird die Schau „Zauber des Aktmodells“ bis Anfang April verlängert. Und danach?

Wie geht es weiter für Ursel Berger? Im Nachbarhaus, wo das Café untergebracht ist, richtet sie sich ein Arbeitszimmer ein. Das Gesamtverzeichnis des Künstlers Georg Kolbe muss fertiggestellt werden. Und niemand kennt sich so gut mit dem Bildhauer aus wie sie.

Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 7. April; Di – So 10 – 18 Uhr.

Anna Pataczek

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