Die Seele des Südens: Die Côte d’Azur im Licht von Cézanne sehen
Aix und Marseille feiern die mediterrane Malerei mit einer opulenten Doppelausstellung. In Werken von Cézanne und van Gogh bis hin zu Beckmann leuchtet sie auf, die Begeisterung für den französischen Küstenstreifen zwischen Italien und Spanien.
Auf seiner Reise in den Süden Frankreichs machte Vincent van Gogh 1888 in Arles Station und ließ sich dort auf Dauer nieder. „Ich beginne also“, schrieb er an den Bruder Theo, „ein Atelier einzurichten, das gleichzeitig den Gefährten dienen könnte, falls sie hierherkommen oder falls es hier Maler gibt.“ Es kam allerdings nur einer, Paul Gauguin, und die Gemeinschaft hielt auch nicht lange, sondern endete nach gut zwei Monaten im Streit mit dem berühmten, von ihm selbst abgeschnittenen Ohr van Goghs.
Das Ideal eines Gemeinschaftsateliers aber war damit umrissen. Andere Künstler folgten oder hatten bereits zuvor den Süden entdeckt, und das hieß: die Küste des Mittelmeeres. Unter dem van Gogh entlehnten Titel „Das Große Atelier des Südens“ zeigen nun die Kunstmuseen von Marseille, der Kulturhauptstadt Europas 2013, und dem nahen Aix-en-Provence eine Doppelausstellung, die die Faszination des schmalen Landstrichs entlang der Küste in den Werken der zeitweilig oder auf Dauer dort arbeitenden Künstler verdeutlichen will. Es ist nicht nur die geografische Côte d’Azur. Vielmehr reichen die aufgesuchten Örtlichkeiten von Collioure nahe der spanischen Grenze bis Menton an der italienischen.
Marseille zeigt im Palais Longchamp, einem Prachtbau der Zeit Napoleons III., den Teil „Von van Gogh bis Bonnard“ und konzentriert sich auf die Farbe, die bei dem Holländer expressiv lodert, später, bei den Pointillisten, naturwissenschaftlich zerlegt wird und bei Pierre Bonnard, der 1947 in Le Cannet starb, erneut zum Träger der Emotion wird.
Im Musée Granet von Aix hingegen ist mit dem Teil „Von Cézanne bis Matisse“ der Vorrang der Form gemeint, der Linie, ohne dass darum die Farben dieser intensiven Landschaft verleugnet würden. Paul Cézanne, der Kunst nicht als Abbildung, sondern als eine Harmonie parallel zur Natur verstand, hielt sich gleichwohl oder gerade darum an die visuellen Vorlagen, die ihm die Natur lieferte. Und da Cézanne, wiewohl er zum Malen auch ans Meer fuhr, nun einmal in Aix lebte und den Hausberg der Stadt, die Montagne Sainte-Victoire, immer und immer wieder als Bildvorwurf nahm, musste das Musée Granet als Außenstation des Marseiller Programms als Kulturhauptstadt Europas 2013 natürlich einbezogen werden. Henri Matisse, der ab 1921 in Nizza und später bis zum Tod im nahen Vence lebende Nordfranzose, hat für die zweiteilige Ausstellung eine Klammerfunktion, weil er sowohl die Form der Dinge bewahrt, zugleich aber in seinen Jahren als Mitbegründer der Fauves knallbunte Farben wählt.
Seit dem späten 17. Jahrhundert trug die französische Kunstakademie den Disput aus, ob der Farbe oder aber der Linie der Vorrang in der Malerei gebühre. Dafür standen seinerzeit die Namen von Rubens versus Poussin. Eine solche Kontroverse hat es am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr gegeben. Zumindest nicht im Süden Frankreichs, wo die Natur schon derart intensive Farben bereitstellt, dass Claude Monet ausrief: „Es ist so schön, so klar, so strahlend! Man schwimmt in der blauen Luft, es ist schrecklich!“
Monet zählt zu denjenigen Künstlern, die sich in ihrer künstlerischen Entwicklung keiner bestimmten Region zuordnen lassen. Er hat schließlich ebenso und weit mehr in der Normandie gemalt, deren Küste doch so ein ganz anderes, nicht minder intensives und doch ganz anderes Licht kennt. Aber der Süden bot nun einmal den Vorzug des wintermilden Klimas, abgesehen vom Vorzug der leichten Erreichbarkeit ab Paris seit der Eröffnung der Eisenbahn entlang der gesamten Küste im Jahr 1878. Das Motiv der Eisenbahn selbst taucht nicht auf, anders als bei den Pariser Impressionisten; ein einziges Mal bei dem Kubisten Georges Braque, der 1907 den Viadukt im Örtchen L’Estaque festhält, und Industrie gibt es ansatzweise bei Raoul Dufy, der ebendort eine Fabrik ins Bild nimmt. Beide waren nur zur Sommerfrische angereist.
Eine mythische Landschaft
Plötzlich steht der Besucher dann vor einem Bild von Matisse, das so gar nichts mit dem Genius Loci zu tun hat: „Fensterläden in Collioure“ von 1914. In Collioure, einem beschaulichen Fischerdorf am südwestlichen Rande Frankreichs, hatte Matisse den Fauvismus geschaffen, und nun, 1914, malt er vier senkrechte Farbstreifen, deren breitester, schwarzer, dem Bild einen düsteren Klang gibt. Man mag es als Ausdruck der Kriegsfurcht deuten, die Matisse damals empfand; zumindest ist es ein Abschied von der Heiterkeit des Ortes hin zu einer Malerei, die keiner spezifischen Lokalität bedarf.
So vielfältig wie die Orte sind die persönlichen Stile der Künstler. Es gibt keine Malerei des Südens, vielmehr eine, die im Süden entstand. Und die, wie im Marseiller Ausstellungsteil vorgeführt wird, die Côte d’Azur mehr und mehr zu einer mythischen Landschaft verklärt, zum Inbegriff des Mittelmeerischen, zu einem neugriechischen Arkadien. Aristide Maillol malt die „Méditerrannée“ als Personifikation der Küste (1895), und der Belgier Théo van Rysselberghe lässt ganze Frauengruppen in paradiesischer Nacktheit an den Stränden lagern. Diese Entzeitlichung des Ortes kehrt dann bei Picasso wieder, der in einer französischen Ausstellung nicht fehlen darf. Der Wahlfranzose malt mythische Seebewohner und wundert sich selbst, in Paris niemals Faune und Zentauren zu zeichnen: „Man sagt, dass sie nur hier leben.“
Im vorbildlich gestalteten Katalog, der beide Ausstellungsteile vereint, ist von der Cézanne’schen Revolution die Rede, der „Versöhnung zwischen Linie, Form und Farbe“. Zum Beleg lassen sich zahlreiche Äußerungen des 1906 verstorbenen und fortan hymnisch verehrten Einzelgängers aus Aix heranziehen. Eine der berühmtesten ziert die Eingangswand im Museum seiner Geburts- und Todesstadt Aix: „Die Zeichnung und die Farbe sind keineswegs verschieden, nach und nach, wenn man malt, zeichnet man; je mehr sich die Farben harmonisieren, desto genauer wird die Zeichnung. Wenn die Farbe ihren Reichtum erlangt, zeigt sich die Form in ihrer Fülle.“ Dieses Gleichgewicht von Farbe und Form hat Cézanne für sich erreicht.
Andere waren ganz auf die Farbe aus, und die Form als Ziel des Bildnerischen wurde eher in Pariser Ateliers gesucht als ausgerechnet in dieser lebensprallen Landschaft. Nur als der kühl beobachtende Max Beckmann hierherkam, sah er die Palmen von Cannes wie eine Mondlandschaft. Aber das war im Jahr 1934, als es mit der bukolischen Stimmung auch an der Côte d’Azur zu Ende ging. Merkwürdig, ausgerechnet Beckmann in dieser Ausstellung zu begegnen.
Marseille, Palais Longchamp, und Aix-en-Provence, Musée Granet, bis 13. Oktober. Katalog 39 €.
Informationen unter www.mp2013.fr
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