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Hannelore Elsner in "Die Unberührbare" von Oskar Röhler aus dem Jahr 2000.
© imago images / United Archives

Hannelore Elsner ist tot: Die Berührbare

Wenn sie spielte, war beides zu sehen: die Fassade der Bundesrepublik und ihre Risse. Hannelore Elsner gehörte zu den wenigen Stars in Deutschland. Ein Nachruf.

Im Kino war Hannelore Elsner zuletzt als Gespenst zu sehen. Das passt zu einer Schauspielerin, der immer etwas Irreales, Durchlässiges zu eigen war. „Kirschblüten & Dämonen“ heißt der Film, die Fortsetzung von Doris Dörries 2008 im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführtem Japan-Melodram „Kirschblüten Hanami“. Hannelore Elsners Rolle ist eine brave Ehefrau aus dem bayerischen Schongau, die sich nicht traut, ihre Faszination für Japan, den heiligen Berg Fuji und den traditionellen Butoh-Tanz auszuleben. Das besorgt nach ihrem überraschenden Tod auf einer Ostsee-Reise ihr von Elmar Wepper gespielter Mann Rudi, der schließlich sogar die Kleider seiner Trudi anlegt.

Die trägt Trudi in „Kirschblüten & Dämonen“ nun wieder selbst, als sie zusammen mit Rudi dem gemeinsamen Sohn Karl erscheint. Und auch im verschwommenen, geisterhaften Zustand sind Elmar Wepper und Hannelore Elsner wieder filmprägende Charaktere. Diesmal ist es dann der Sohn, den es auf Mutters Spuren nach Japan zieht, wo es mit den übersinnlichen Erlebnissen weiter geht. Wobei Doris Dörrie Gespenster nicht als esoterischen Spuk sieht, sondern als Metapher für Erinnerungen.

Zu diesen Wesen gehört nun auch Hannelore Elsner, mit der Doris Dörrie gern gearbeitet hat. Aber ein Trost ist es auch, seltsamerweise: Hannelore Elsner war immer eine Erscheinung, ein Phänomen. „Für mich war Hannelore Elsner eine große Abenteuerin, die sich mit Neugier, Hingabe und Tapferkeit in jede Rolle und in ihr Leben gestürzt hat“, hat die Regisseurin zum Tod der Schauspielerin gesagt und dazu gesetzt: „Ich werde sie sehr vermissen.“ Das ist das Mindeste, was einem zu der herausragenden, immer auffälligen Persönlichkeit der Hannelore Elsner einfällt.

Eine Meisterin des Kapriziösen

Ihre Autobiografie, vor acht Jahren erschienen, nannte sie „Im Überschwang“, das trifft sie ungemein gut. Hannelore Elsner war eine Meisterin des Kapriziösen, dieses mal hauchfeinen, mal hysterischen Zuviel, mit dem sie signalisierte, dass das Leben nicht im Lot ist, niemals. Ein flackernder Blick, der einen Moment lang starr wird. Ein Lächeln, hinter dem ein Abgrund aufblitzt. Eine brüske Geste, die am Ende Verletztheit verrät. Ein Pose, in der nichts als die Wahrheit steckt.

Kunst und Leben, das lässt sich nicht trennen. Und solche Szenen bleiben unvergesslich. Hannelore Elsner spielt Hanna Flanders, angelehnt an das Leben der Schriftstellerin Gisela Elsner, die Mutter des Regisseurs Oskar Roehler in dessen Film „Die Unberührbare“. Sie spielt jene Frau, die sich mit 55 das Leben nahm, aus dem Fenster sprang, die auch mit ihrer Literatur zwischen Leben und Tod balancierte – es war die Rolle ihres Lebens. Totale Veräußerung und zugleich ein erschütternd intimes Porträt.

Man wünschte sie sich häufiger im Kino

Es ist heute, bald 20 Jahre nach der Filmpremiere, als ob man sie gerade erst so gesehen hätte. Verwandt waren sie nicht, oder doch auf eine höhere Art: Hannelore Elsner als Gisela Elsner, die kindliche Tragödin, eine herumalbernde, trunkene, verzweifelte Existenz, eine „Kriegerin“, sagte die Schauspielerin selbst, eine, die keinen Halt kennt und immer die Contenance wahrt. Die perfekte Maske und die reine Offenherzigkeit. Die Wunden, die Sehnsucht, die Panik – ihr Gesicht ist lesbar wie ein Buch.

Da wünschte man sie sich häufiger im Kino, und es haben ja auch andere mit ihr für die große Leinwand gedreht, Oskar Roehler noch einmal für „Suck my Dick“, der Regisseur Oliver Hirschbiegel für den 90-minütigen Lebensbeichten-Monolog einer alternden Schauspielerin, „Mein letzter Film“, im Jahr 2002. Eine Tour de Force, eine Abrechnung mit dem Leben, mit den Menschen, nach einem Drehbuch des Schriftstellers Bodo Kirchhoff. Der Schweizer Dani Levy besetzte Hannelore Elsner in seiner jüdischen Berlin-Komödie „Alles auf Zucker“ als prollig berlinernde Blondine so mutig wie köstlich gegen ihr neues Image als Tragödin. Rudolf Thome drehte gleich fünf Mal mit ihr.

Bushidos Mutter – in „Zeiten ändern dich“

Dabei spielte sie vor allem im Fernsehen. Angefangen hatte sie nach einer Schauspielausbildung in München zunächst am Theater, in Berlin am Kurfürstendamm und im Hebbeltheater, sowie an den Münchner Kammerspielen. Ihre Filmographie listet unzählige Werke unterschiedlicher Qualität auf ab 1959. Sie war 17, jung, schön und begabt, trat bald als „Das Mädchen mit den schmalen Hüften“ auf und in Filmen mit Titeln wie „Zum Teufel mit der Penne“. Die Nachkriegsrepublik wollte es leicht. Will Trempers „Die endlose Nacht“ von 1963 nannte sie ihren ersten ernstzunehmenden Film; junge Menschen, verloren, in einer Nacht auf dem Flughafen Tempelhof.

Sie war „Die Kommissarin“ Lea Sommer, in 66 Krimi-Folgen bis 2006. Sie spielte Gräfinnen, Ärztinnen, Gespielinnen, Charakterrollen, Komödiantinnen oder die Mutter des Rappers Bushido, in „Zeiten ändern dich“. Sie arbeitete mit Autorenfilmern wie Edgar Reitz, aber auch Mainstreamern wie Dieter Wedel und Ulrich Edel. Die schiere Menge ihrer Leinwand- und Fernsehauftritte – man kann es sich nur als Kraftakt vorstellen.

Menschen, die sich zusammenreißen

Das deutsche Nachkriegsfernsehen, auch der Autorenfilm, wäre anders ohne sie, in jedem Fall ärmer. Deutschland ist keine große Filmnation, anders als in Frankreich oder den USA gibt es hier wenige Stars. Hannelore Elsner war einer. Die starke Frau, die schwache Frau, das sexy Mädel, das überkommene deutsche Rollenbild der adretten, patenten, tüchtigen Frau, und auch die moderne, selbstständige Frau, die sich um Rollenbilder nicht länger schert – sie hat sie verkörpert. Auch die scheiternde Heldin. Die Frauen der Nachkriegs-Jahrzehnte, in Haupt- und in Nebenrollen: Bei ihr sind es Menschen, die sich zusammenreißen und denen es nicht ganz gelingt. Wenn Hannelore Elsner spielte, war beides zu sehen: die Fassade der Bundesrepublik und ihre Risse.

Hannelore Elsner bei den Dreharbeiten für die SAT.1-Serie "Quandt".
Hannelore Elsner bei den Dreharbeiten für die SAT.1-Serie "Quandt".
© Nestor Bachmann/Zentralbild/dpa

Geboren wurde sie 1942 im bayrischen Burghausen, im Krieg. Sie war drei, ihr Bruder war fünf, er starb, als ein Tiefflieger einen Zug beschoss. Ein Trauma, erzählte sie später, und dass sie sich beschützter gefühlt hätte, wäre er nicht gestorben. Ihr Vater, ein Ingenieur, starb, als sie acht war. Die Ungeschützten hat sie immer am besten gespielt.

Sie schlief friedlich ein

Als Mädchen kam sie aufs Internat, ging in eine Klosterschule, fand die Fünfzigerjahre düster, „frivol und bieder“. Was ihr Privatleben betraf, blieb sie immer diskret. Über den Vater ihres Sohnes, den Regisseur Dieter Wedel, dem im Zuge der „MeToo“-Debatte von etlichen Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, verliert sie in ihrer Autobiografie praktisch kaum ein Wort.

Am Ostersonntag ist Hannelore Elsner nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Sie schlief friedlich ein, sagte der Anwalt der Familie. Noch im März stand sie für einen ARD-Film vor der Kamera, in der Rolle einer an Krebs erkrankten Mutter. Der Titel: „Lang lebe die Königin“. Hannelore Elsner wurde 76 Jahre alt.

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