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Helma Sanders-Brahms (links) 2008 - mit Martina Gedeck anlässlich des Films "Geliebte Clara".
© dpa

Filmregisseurin Helma Sanders-Brahms gestorben: Die Berührbare

Sie war das weibliche Gesicht des Jungen Deutschen Films: Helma Sanders-Brahms. Mit profilierten Dokumentar- und Spielfilmen über Frauenschicksale wurde sie bekannt. Nun ist die Filmemacherin 73-jährig in Berlin gestorben.

1990 war Helma Sanders-Brahms zu Gast in einem Seminar bei den Filmwissenschaftlern an der FU, dessen Gegenstand ihre eigene Arbeit war. Bevor sie auch nur ein Wort gesagt hatte, stellte sie sich in der Yoga-Position „Baum“ – eine Fußsohle an den Innenschenkel des Standbeins gelegt, die Arme mit zusammengepressten Handflächen über den Kopf erhoben – vor die Studierenden, was diese äußerst befremdlich fanden. Man oder eher frau war schließlich nicht gekommen, um Gymnastik oder Esoterik zu betreiben, sondern um mit einer echten Regisseurin übers Filmemachen zu reden, möglichst übers feministische.

Letzteren Erwartungen entzog sich Helma Sanders-Brahms konsequent, obwohl sie zur Zeit ihrer größten Erfolge in den siebziger und frühen achtziger Jahren dem „Frauenfilm“ zugeschlagen wurde, einfach, weil im Neuen Deutschen Film nur bei männlichen Regisseuren nach Genre differenziert wurde. Regisseurinnen machten Frauenfilme, so sahen das nicht nur die Kollegen, sondern auch die Kritiker. Dass aber ihre Filme in Zeiten, als ihre Kolleginnen beinharte Gesellschaftsanalyse betrieben, mitunter ins Gefühlige abdrifteten, ist ebenso wenig ein Geheimnis wie die Tatsache, dass sie sich schwer kategorisieren ließen.

Begonnen hat die Karriere der 1940 im ostfriesischen Emden geborenen Helma Sanders-Brahms beim Fernsehen; sie war Ansagerin, bevor sie 1969 ihren ersten eigenen Kurz-Dokumentarfilm realisieren konnte: „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt“ wurde 1970 beim Oberhausener Festival ausgezeichnet, und Sanders-Brahms bekam weitere Aufträge für Dokumentationen. Die Schein-Objektivität aber war nicht ihr Metier. 1974 drehte sie „Unter dem Pflaster liegt der Strand“, in dem die Schaubühnen-Darsteller Grischa Huber als Alter Ego der Regisseurin und Heinrich Giskes über Beziehungsutopien der 1968er-Generation improvisieren; der Film ist der erste von vielen, denen Sanders-Brahms eine autobiografische und damit subjektive Note gab.

Helma Sanders-Brahms erzählte allerdings immer wieder Geschichten von Frauen, so in ihren berühmtesten Werken wie „Shirins Hochzeit“ (1975) über eine junge Türkin in der Bundesrepublik oder in „Deutschland, bleiche Mutter“ (1979), der Geschichte ihrer eigenen Mutter in Kriegs- und Nachkriegszeit, in dem ihre Tochter als deren Kind – also sie selbst – besetzt ist. Einen Mutter-Tochter-Konflikt beschrieb sie in „Flügel und Fesseln“ (1984), in dem sie die von ihr bewunderte Hildegard Knef ein letztes Mal vor die Kamera holte.

In Frankreich, wo die zeitgenössische Kritik sie für ihr Künstlerporträt „Heinrich“ (1977) über Heinrich von Kleist ebenso schätzte wie für ihre Beziehungsgeschichte „Laputa“ (1986) oder ihren Nach-Wende-Film „Apfelbäume“ (1992), fühlte Sanders-Brahms sich besser aufgehoben als hierzulande, wie sie selbst immer wieder mal erzählte. Womöglich zu deutsch waren ihre Themen, zu schwer die autobiografischen Versatzstücke in ihren Drehbüchern, zu hemmungslos subjektiv ihre Perspektive. Larmoyanz und Betroffenheit hat man Helma Sanders-Brahms oft vorgeworfen, dabei aber ganz vergessen, dass sie wunderbare Bilder geschaffen hat.

Auch bei ihrem letzten Film, dem unter Mühen finanzierten Herzensprojekt „Geliebte Clara“ (2008) mit Martina Gedeck in der Titelrolle, in dem das Ehepaar Clara und Robert Schumann sich von dem jungen Bewunderer Johannes Brahms faszinieren und betören lässt, hat Helma Sanders-Brahms ihre eigene Geschichte mit eingeschmuggelt – der Komponist ist einer ihrer Vorfahren.

Helma Sanders-Brahms hat, ganz im Sinne des Autorenfilms, ihre eigenen Drehbücher verfasst und mitproduziert, sie trat gelegentlich selbst vor die Kamera oder sprach Voice-over-Kommentare ein. Daneben schrieb sie immer wieder über Filme anderer, so etwa über „Faust“ (1926) von Friedrich Wilhelm Murnau: „Hier hat die siebente Kunst eine Einfachheit und Klarheit, aber auch eine Würde und Tiefe erreicht, die das Sakrale und Mystische als ihren innersten Kern einschließen und sie zur Größe von Bach-Oratorien erheben.“

Der Text ist zur Berlinale-Retrospektive 2003 erschienen und trägt den Titel „So deutsch, so schön“. Er verrät viel über die Leidenschaften der Regisseurin und über ihre Vorbilder, die vielleicht ein bisschen zu groß waren, als dass sie ihnen hätte nahe kommen können. Am Morgen des 25. Mai ist die Regisseurin im Alter von 73 Jahren ihrem Krebsleiden erlegen. Daniela Sannwald

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