zum Hauptinhalt
Die beiden Warhols – „Triple Elvis“ (1963) und „Four Marlon“ (1966).
© dpa

Umstrittene Andy-Warhol-Versteigerung: Die Angst vor dem Kurzschluss

Gefährliches Modell: 120 Millionen Euro hat der Verkauf zweier Werke von Andy Warhol aus Nordrhein-Westfalen eingebracht. Nun wächst die Angst, dass der Ausverkauf öffentlicher Kunst Schule machen könnte.

Nicht einmal zehn Minuten dauerte das Schauspiel, dann war der große Moment vorbei. Die beiden Siebdrucke von Andy Warhol aus Aachen wechselten bei Christie’s in New York ihren Besitzer, sie gingen an zwei anonyme Bieter, die nordrhein-westfälische Casino-Gesellschaft Westspiel hatte ihren Coup gelandet. 100 Millionen Euro hoffte das angeschlagene Unternehmen einzustreichen, um seine Häuser zu sanieren und ein weiteres Casino in Köln bauen zu lassen. Beim Gebot von 73 Millionen Dollar für den „Triple Elvis“ schlug der Hammer des Auktionators zu, nach genau fünf Minuten und 14 Sekunden – statistisch gesehen fast 160 000 Euro pro Sekunde.

Ähnlich gut und schnell lief es für das zweite Werk, die „Four Marlons“, das wie der „Triple Elvis“ gut 2 Meter mal 1,70 Meter misst. Es brachte 69,6 Millionen Dollar ein, mehr als 151,5 Millionen Dollar insgesamt. Das sind umgerechnet 120 Millionen Euro, 20 Millionen mehr als optimistisch geschätzt. Ein Höchstergebnis wurde damit zwar nicht aufgestellt, der Rekord von vor fünf Jahren mit 100 Millionen Dollar für „Eight Elvis“ und 2013 mit rund 105 Millionen Dollar für „Silver Car Crash (Double Disaster)“ nicht übertroffen. Trotzdem konnte sich die Casino-Gesellschaft die Erhitzung des Kunstmarktes geschickt zunutze machen. Ihr bleiben nach Abzug des Aufschlags für das Auktionshaus umgerechnet 108 Millionen Euro.

Für die Spielbanker gleicht das einem Hauptgewinn – zumal wenn man die Einkaufspreise für die Warhols dagegen rechnet: Ende der siebziger Jahre waren der „Triple Elvis“ für 183 000 D-Mark und die „Four Marlons“ für 205 000 D-Mark als Ausstattung für die Aachener Spielbank angekauft worden. Vor fünf Jahren wurden sie aus Sicherheitsgründen von der Wand genommen und nur noch leihweise im Grand Palais in Paris und in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gezeigt. Ansonsten blieben die beiden Popart-Ikonen den Augen des Publikums entzogen, vermisst hatte sie bis vor kurzem niemand. Über die Spielbank-Betreiber, den Blick fest auf Gewinn, dürfte die Aufregung der vergangenen Wochen umso überraschender hereingebrochen sein.

Angst vor dem Ausverkauf öffentlicher Kunst

Und so mögen bei der Westspiel gestern Nacht kaum die Korken geknallt haben, als das New Yorker Ergebnis bekannt gegeben wurde. Dafür hat das Unternehmen für seinen gewagten Schritt zu sehr Kritik einstecken müssen, ja ist eine ganze Landesregierung in Misskredit geraten. Selten herrschte so viel Einmütigkeit unter den Museumsleuten, dass hiermit ein Tabubruch begangen worden sei. 26 Direktoren unterschrieben eine Petition an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, den Verkauf noch zu verhindern, wurden aber hemdsärmelig abgebügelt. Auch die von Kulturstaatsministerin Monika Grütters artikulierte Entrüstung („unanständig“) änderte nichts daran, ebenso wenig Briefe von der Kulturstiftung der Länder und vom Künstlerbund. Die Christie’s gewährte Verkaufsgarantie hätte einen Rückzug aus dem lukrativen Geschäft ohnehin verhindert.

Das Entsetzen über den Fehltritt wird noch mehr geschürt durch die Angst, dass dieser Ausverkauf öffentlicher Kunst zwecks Haushaltssanierung Schule machen könnte, dass ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Prompt kam in den letzten Tagen nach und nach ans Licht, dass Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit schon mehrfach Bilder versilbern ließ. So verkaufte die West-LB 2006 ein Gemälde von Max Beckmann. Die NRW-Bank konnte durch den um die Aachener Warhols entfachten Skandal gerade noch daran gehindert werden, zwei Bilder von Sigmar Polke auf den Markt zu werfen. Über den Verkauf von zwei Gemälden von Paula Modersohn-Becker, einer Leihgabe des Bremer Casinos im nach der Künstlerin benannten Bremer Museum, wird gerade verhandelt.

Die Büchse der Pandora steht bereits offen

Der Paradigmenwechsel hat schleichend längst begonnen, die Büchse der Pandora steht bereits offen, da mag der nordrhein-westfälische SPD-Finanzminister Norbert Walter-Borjans noch so sehr betonen, dass weder Land noch Kommunen seine Museen plündern werden. Die Begehrlichkeit an zu verscherbelndem Kulturgut ist geweckt. Den landeseigenen Unternehmen, die selbstständig wirtschaften dürfen, ist freie Hand gegeben. Durch die Wiedereinspeisung in den Zirkellauf des Geldes macht sich der Staat gemein als Player in einem gierigen Spiel, in dem er ohnehin nicht mithalten kann. Als Mitbieter ist er schon lange abgeschlagen gegenüber den Privaten, den Multi-Milliardären, als Lieferant frischer Ware aber den Auktionshäusern umso willkommener.

Wie wenig der Finanzminister verstanden hat, in welche Bredouille die Kulturpolitik seines Landes geraten ist, zeigt sich an der Chuzpe seiner Ankündigung, was mit den knapp 28 Millionen Euro geschehen werde, die nicht an die Westspiel gehen, sondern in die Landeskasse schwappen. Der Zusatzerlös, sei „eine globale Mehreinnahme im Haushalt“ und diene „allgemeinen Aufgaben“, so Walter-Borjans. Das müsse nicht zwingend Kunstförderung sein, es gebe auch Aufgaben im Sozial- und Sportbereich. Schon beginnt die böse gegenseitige Aufrechnerei, die Frage nach dem höheren Nutzen.

Womit man wieder bei der Spielbank angekommen ist, die sich in Zeiten wachsender Online-Casinos neu aufstellen muss. Ihren Betrieb hält das Land für moralisch unbedenklich, denn die jährlichen Einnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro kommen der Stiftung Wohlfahrtspflege zugute. Insgesamt hat Westspiel in den letzten fünf Jahren 250 Millionen Euro ans Land abgeführt. Der Verkauf der Warhols zeigt eine phänomenale Verkürzung der Wege und gibt eine Ahnung davon, welche Kurzschlüsse noch drohen.

Zur Startseite