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Schwestern-Team. Yasemin (links, 38) und Nesrin (31) Samdereli wurden in Dortmund geboren. Heute lebt Yasemin in Berlin und Nesrin in Hamburg.
© Concorde

Samdereli-Schwestern: "Die Angst der Deutschen ist Unsinn"

Ein Gespräch mit den Filmemacherinnen Yasemin und Nesrin Samdereli über Weihnachten, U-Bahn-Pöbler und Thilo Sarrazin.

Hat Ihre Familie Ähnlichkeiten mit der Filmfamilie aus „Almanya“?

YASEMIN SAMDERELI: Ja. Unser Opa kam als Erster. Er arbeitete im Straßenbau und hatte erst nicht vor, länger zu bleiben. Dann aber holte er seine Familie nach. Mit dabei war auch unsere Mutter, gerade frisch mit unserem Vater verheiratet. Er war Schweißer, sie Schneiderin, später Löterin bei einem Autoteilehersteller. Wir sind klassische Gastarbeiterkinder.

Welche Ihrer Erfahrungen stecken im Film?

YASEMIN SAMDERELI: Viel ist authentisch. Auch die Perspektive und einige Anekdoten, etwa die Weihnachtsepisode.

NESRIN SAMDERELI: Wir waren total angefixt von den feiernden Deutschen, die vor Weihnachten wie verrückt backten und schmückten. Unsere Mutter hat versucht, mitzumachen, aber das Ganze scheiterte wie im Film: Ein mickriger Plastikbaum neben dem Telefon, und die Geschenke unverpackt drumherum.

Sie benutzen Dokumentar-Material, um die Situation der Gastarbeiter zu zeigen.

NESRIN: Archivaufnahmen zeigen am stärksten: Das war wirklich harte Arbeit. Aber die Gastarbeiter hatten eine Perspektive, die es in der Heimat so nicht gab.

YASEMIN: Da gab es viele tragische Geschichten. Die Ärzte haben ja genau geschaut: Können die Bewerber schwer heben? Haben sie vielleicht was am Rücken? Bei den Abgelehnten zerbrachen Träume.

Sie haben sieben Jahre an dem Film gearbeitet. Warum so lange?

NESRIN: Es lag an der Finanzierung. Eine Drehbuchförderung hatten wir schnell, bald waren auch Produzenten dabei und sogar ein Verleih. Aber wir hatten keinen Sender, der die fehlenden 300 000 Euro übernahm. Also haben wir das Projekt zur Seite gelegt. Drei Jahre später, nach „Wer früher stirbt, ist länger tot“, standen die Produzenten besser da und wollten es nochmal versuchen. Schwierig war auch, dass 2002, als wir unser Drehbuch begannen, „Solino“ ins Kino kam. Da hieß es: Jetzt hatten wir das Thema ja.

Ein wenig erinnert Ihr Film an „Solino“.

NESRIN: Was ist denn so ähnlich? Es gibt einen gemeinsamen zeitlichen Rahmen, und es geht im weiteren Sinne um Gastarbeiter. Aber „Solino“ ist eine Brüdergeschichte mit klarerem Drama. Man muss davon wegkommen, diese Art Filme immer gleich als Genre zu sehen. Als Genre, in dem es noch dazu möglichst dramatisch zugehen muss. Das läuft oft nach dem überheblichen Motto: Jetzt schauen wir uns mal an, was da alles schiefläuft bei den Türken. Deswegen haben wir für „Almanya“ auch eine andere Tonart gewählt.

Darüber, was hierzulande angeblich alles schiefläuft, wird seit Thilo Sarrazins Bestseller massiver denn je diskutiert.

NESRIN: Diese Thesen sind für mich keine Grundlage für eine ernsthafte Diskussion. Gerade die biologistischen Argumente haben dazu geführt, dass ich gesagt habe: Da mache ich nicht mit.

YASEMIN: Ich fand es enttäuschend, wie viele Leute darauf eingestiegen sind. Sarrazin hat den Türken auf der Straße sehr geschadet. Die werden jetzt mit so viel Argwohn betrachtet. Ich wohne in Kreuzkölln, und in der Hoch-Zeit der Debatte war die Atmosphäre sehr aufgeheizt. Ich habe in der U-Bahn erlebt, wie eine Frau mit zwei weinenden Kindern von einem betrunkenen Deutschen angepöbelt wurde. Sie solle sich mal integrieren und das Kopftuch abnehmen. Danach war Tumult im Zug. Einige riefen: Halt die Schnauze, du Penner! Wenn ein Banker im Fernsehen so was sagt, dann denken solche Typen, sie können in der U-Bahn auch mal sagen, was sie denken.

Eine ähnliche Szene gibt es auch im Film.

NESRIN: Die war schon vorher drin, wir haben ja 2009 gedreht.

YASEMIN: Das Pöbeln gibt es immer wieder mal. Aber, dass da so ein Flächenbrand entfacht wurde, fand ich schon schockierend.

NESRIN: Es gab aber auch viele kluge Menschen, die das alles auseinandergenommen und widerlegt haben. Man kann ja darüber reden, warum viele Türken immer noch schlecht Deutsch sprechen. Aber diese diffuse Angst der Deutschen, dass sie bald eine Minderheit sind und dass sich eine dumme Rasse hier breit macht, halte ich für Unsinn.

Das Gespräch führte Nadine Lange.

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