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Kabore
© ddp

Jury: Die Afrika-Connection

Afrika kam bei der diesjährigen Berlinale zu kurz. Doch immerhin haben drei Jurymitglieder ein enges Verhältnis zu dem Kontinent.

Die diesjährige Berlinale fand praktisch unter Ausschluss des Kontinents Afrika statt, abgesehen von – immerhin – zwei Koproduktionen und einem Programm mit südafrikanischen Dokumentarfilmen im wackeren Forum. Ganz entgegen dieser Tendenz stand die Besetzung der internationalen Jury; gleich drei ihrer Mitglieder haben starke Bezüge zu Afrika.

Für die ist es zwar ein Graus, wenn man von Afrika spricht anstatt von einem der über 50 Länder zwischen Algerien und Südafrika, Mauretanien und Äthiopien. Allein Nigeria, so der schwedische Schriftsteller und Afrika- Liebhaber Henning Mankell, könnte mit seiner Fläche ganz Europa bedecken: „Wir müssen also über viele verschiedene Afrikas sprechen. Aber natürlich sind da auch Gemeinsamkeiten. So gibt es, weil die Bantu sich in den letzten sechs Jahrhunderten so weit verbreitet haben, gemeinsame Traditionen in ganz Afrika“, erklärte Mankell in einer Jury-Pause. Leicht erkältet, mit einem Berlinale-Schal um den Hals, machte der Bestseller-Autor den Eindruck, als ob er lieber heute als morgen dem kalten Berlin den Rücken kehren wollte.

Mankell hat Afrika zum ersten Mal vor 36 Jahren bereist, und seit einem Vierteljahrhundert lebt er hauptsächlich in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik in Südostafrika. Welten, Kulturen und tausende Kilometer trennen seine Wahlheimat von der seines Jury -Kollegen Gaston Kaboré, auch er ein Wanderer zwischen den Kontinenten. Kaboré stammt aus Ouagadougou, der Hauptstadt des nordwestafrikanischen Landes Burkina Faso, studierte jedoch in den 1970er Jahren in Paris. Er ist nicht nur Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, sondern auch Lehrer, Autor und einer der engagiertesten Filmlobbyisten in ganz Afrika.

Dritter im Bunde ist Christoph Schlingensief, der mit Hilfe des Goethe-Institutes ein Festspielhaus in Douala, Kamerun in Westafrika errichten will. Er findet, dass die Architektur in Bayreuth Ähnlichkeiten zu der in der ehemaligen franösischen Kolonie aufweist, und die Kostüme bei den Bayreuther Wagner-Aufführungen afrikanischen Stammestrachten gleichen. „Wir müssen da was klauen“, sagt Schlingensief, und vermeidet bewusst eine nähere Beschreibung von Dieben und Bestohlenen und auch des Diebesguts. Die Leiterin des Kulturvereins in Douala jedenfalls ist vom Plan begeistert, und sie hat auch schon ein Objekt gefunden: ein ehemaliges Kolonialgebäude von morbider Pracht. Dass es zur Zeit besetzt ist, findet Schlingensief ganz in Ordnung.

Mankell möchte lieber grundsätzlicher ansetzen, mit Ingrimm plädiert er für die Alphabetisierung des Kontinents: „In Mosambik gibt es etwa 75 Prozent Analphabeten. Wie sollen junge Menschen Zugang zu Informationen, zum Beispiel über HIV und Aids kriegen, wenn sie nicht lesen und schreiben können? Was mich anwidert, ist, dass wir so einen Zustand im Jahr 2009 einfach akzeptieren. Dass wir Millionen von Kindern auf der ganzen Welt haben, die aufwachsen, ohne Lesen und Schreibe zu lernen. Wir hätten es ihnen längst beibringen können, wir haben das Geld, wir haben die Logistik. Das ist eines der größten Versäumnisse der europäischen Politik.“

Mankell unterstützt ein Projekt zur Bewahrung von Erinnerungen: Aids-kranke Eltern sollen für ihre Kinder Bücher herstellen, das heißt, da die meisten von ihnen eben nicht schreiben können, malen oder kleben. So sollen die Kinder eine greifbare Erinnerung an die Eltern bewahren. Gaston Kaboré dagegen ist mehr am kollektiven Gedächtnis interessiert: „Afrika ist voller Legenden und Märchen, es gibt außergewöhnliche Schicksale, die erzählt werden sollten.“ Und fast ein bisschen besorgt fährt er fort: „Ich zweifle nicht an der Inspiration afrikanischer Filmemacher. Aber wir brauchen die Finanzierung. Wir müssen das größtmögliche kollektive Gedächtnis produzieren, sonst sehen alle fern. Sonst denken die, dass sowohl Helden als auch Schurken Ausländer sind. Wir müssen ihnen zeigen, dass es beide auch in ihrer unmittelbaren Umgebung gibt. Es ist eine Frage des Inbesitznehmens unserer eigenen Geschichten.“

Ouagadougou ist, dank der dort in den 1970er und 1980er Jahren betriebenen Filmpolitik, die Hauptstadt des afrikanischen Kinos. Seit 1969 findet dort alle zwei Jahre das „Festival Panafricain du Cinéma“ statt, und hier befinden sich auch die wichtigen Filmorganisationen, so seit 1995 die Cinémathèque Africaine. Kaboré ist an all diesen Aktivitäten beteiligt, so dass er seit elf Jahren nicht mehr dazu kam, selbst einen Film zu drehen. Wie fühlt er sich nun auf einem Festival, bei dem die Filmproduktion der eigenen Heimat keine Berücksichtigung findet? Darauf antwortet der muntere, energische Mann mit einem kulturpolitischen Plädoyer: „Das afrikanische Kino produziert nur wenige Filme, deswegen sieht man kaum welche, auch hier nicht. Wir müssen die Jahresproduktion erhöhen. Wir müssen die Filme nicht mit ausländischem Geld, sondern innerhalb Afrikas finanzieren.“ Das Budget sei nicht das einzige Problem: „Es gibt nur wenige Kinos, kaum Verleiher, viel Piraterie, die Kinokarten kosten nur sehr wenig, das alles sind Gründe für die geringe Produktion. Wir haben außerdem nicht genug Ausbildungsmöglichkeiten, wir bräuchten Leute, die das Filmemachen verstehen.“

Die Stunde der afrikanischen Kultur hat noch nicht geschlagen, davon ist auch Henning Mankell übereugt. Er formuliert es zwar anders als Gaston Kaboré, sie meinen aber wohl beide dasselbe: „Denken Sie mal an die fünfziger und frühen sechziger Jahre, als all die Bücher und Filme aus Südamerika kamen. Gabriel Garcia Marquez hat unsere Wahrnehmung des Menschen und der Welt verändert. Jetzt ist es Zeit, dass von Afrika derselbe Impuls ausgeht. Wir warten darauf, dass die Afrikaner uns ihre eigenen Geschichten erählen. In Filmen, in Büchern, in der Malerei und anderen Künsten. Sie tun es ja schon, aber sie müssen ihre Aktivitäten erweitern. Das wird in fünf bis zehn Jahren passieren, und ich freue mich sehr darauf.“

Gefragt, was er von Schlingensiefs Plänen für das Festspielhaus hält, antwortet er diplomatisch. „Christoph Schlingensief hat mir ein bisschen was über seine Pläne erzählt, aber wir hatten keine Zeit zu sprechen, wir holen das nach der Berlinale nach, ich habe ihn nach Maputo eingeladen.“ Das wäre doch was: ein Nach Berlinale-Treffen der drei in Maputo.

Henning Mankell wurde durch seine Wallander- Krimis bekannt, die in 38 Sprachen übersetzt wurden. Dem Autor, der abwechselnd in Schweden und in Mosambik lebt (wo er das „Teatro Avenida“ leitet), liegen politische und gesellschaftliche Themen sehr am Heren.

Gaston Kaboré ist Drehbuchautor, Regisseur und Produent und zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten der afrikanischen Filmszene. Er studierte in Burkina Faso und Frankreich.

Christoph Schlingensief ist als Film-, Theater- und Opernregisseur, als Hörspielautor sowie Performancekünstler Kult. Seine Arbeiten verwischen immer wieder die Grenze zwischen Politik und Kunst und provozieren öffentliche Diskussionen.

Zur diesjährigen Berlinale-Jury gehören neben den drei Interviewten Tilda Swinton, Isabel Coixet, Alice Waters und Wayne Wang.

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